31. Oktober 2025
Make love not law: Der Rundfunk vor Gericht
Journalistische Qualität ohne Qualitätsprüfung?
Wer abends – erschöpft von der Arbeit – in seinem heimischen Sofa zusammensinkt und ablenkungsheischend nach der Fernbedienung seines vielzölligen Flachbildfernsehers mit brillanten Farben und gestochen scharfem Bild greift, der ahnt in aller Regel gar nicht, welchen normativen Aufwand die Macher der notorisch orthographieschwachen „Tagesschau“ oder des ihm an Rechtschreibkunst nicht nachstehenden „Heute-journals“ getrieben haben, bis sie ihn mit ihren Botschaften beschallen und umfangen konnten. Denn da hält nicht einfach irgendwer, der was mit Medien studiert hat, seine Kamera in ein Studio, wo ein anderer, der Moderationskurse belegt hatte, etwas mehr oder weniger Intelligentes sagt. Für achtzehn Euro sechsunddreißig im Monat darf der Beitragszahler Qualität erwarten. Und deren Rahmendaten sind im Medienstaatsvertrag wortmächtig vor die Tore der öffentlich-rechtlichen Sender gemauert. Im zentral tragenden und systematisch wesentlichen sechsundzwanzigsten Paragraphen des Vertrages aller Bundesländer heißt es eingangs: „Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen.“ Rundfunkangebote müssen also Bedürfnisse erfüllen. Nicht individuelle, sondern kollektive Gesellschaftsbedürfnisse. Und die Anstalten haben dabei nicht nur als Medium – also als nur vermittelnder Bote – zu wirken, sondern auch als Faktor. Der Faktor hat seinen Namen von dem lateinischen Verb „facere“: Er ist der Macher, der Schöpfer, der Kreateur. Die Anstalt ist daher nicht nur Transporteur oder Lieferant von meinungsbildenden Inhalten, sondern auch Urgrund ihrer eigenen Angebote. Sie schöpft deren Inhalte aus sich selbst heraus.
Ihr Leistungsspektrum bei der Auswahl der Themen ist gleichsam gigantisch: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie den gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Bund und Ländern fördern. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben die Aufgabe, ein Gesamtangebot für alle zu unterbreiten.“ Alles Wesentliche muss daher umfasst und zur Verständigung für alle gesamthaft in den Blick gegeben werden. Nicht jeder kann so etwas. Mancher würde unter einer solchen Anforderungslast zusammenbrechen. Viele, wird man annehmen dürfen, ließen bei so einem Auftrag zwangsläufig Lücken.
Doch die Norm fordert noch mehr von den Sendern: „Bei der Angebotsgestaltung sollen sie dabei die Möglichkeiten nutzen, die ihnen aus der Beitragsfinanzierung erwachsen, und durch eigene Impulse und Perspektiven zur medialen Angebotsvielfalt beitragen.“ Der Faktor hat also Impulse zu setzen und eigene Perspektiven auszuwählen. So erhält das Funken in die Runde neben seiner Vermittlungsfunktion zwischen den Gesellschaftsteilen ein eigenständiges Gewicht. Rundfunkanstalten sind keine Kellner, die ihren Gästen nur auf deren Bestellung hin Bedürfnisse aus der Küche erfüllen. Sie sind vielmehr auch ausersehen, die Speisekarten mitzugestalten und für ihre Kunden sogar aus deren Angeboten auszuwählen. Die besondere Möglichkeit der Beitragsfinanzierung nutzen sie dabei, indem ihre Gäste das, was ihnen auf den medialen Tisch gestellt wird, weder zurückweisen noch auch nur die Bezahlung der Rechnung verweigern können. Der Rundfunkkellner und seine Kollegen in der Küche genießen die Garantie, dass ihre Speisen in jedem Fall verkauft werden können. Adressatengeschmack ist unbeachtlich. Über die Zeit passt er sich ja – erfahrungsgemäß – auch dem Angebot an. Jede Mutter ist die beste Köchin.
Niemand darf zurückgelassen werden: „Allen Bevölkerungsgruppen soll die Teilhabe an der Informationsgesellschaft ermöglicht werden.“ Aber ältere und alte Erwachsene scheinen nicht angemessen in die Bedeutung einbezogen werden zu müssen: „Dabei erfolgt eine angemessene Berücksichtigung aller Altersgruppen, insbesondere von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, der Belange von Menschen mit Behinderungen und der Anliegen von Familien.“ Im Vordergrund, so will es scheinen, müsse ernste Musik erklingen, Schlagertrallala ist innerhalb des Profils gestattet, aber nur ein Bruchstück der Gesamtmission: „Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen. Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Profil entspricht, ist Teil des Auftrags.“ Einen besonderen Leckerbissen normativer Formulierungskunst bildet schließlich das Ende des ersten Paragraphenabsatzes: „Der Auftrag im Sinne der Sätze acht und neun soll in seiner gesamten Breite auf der ersten Auswahlebene der eigenen Portale und über alle Tageszeiten hinweg in den Vollprogrammen wahrnehmbar sein.“ Eine solche gesamtbreite erste Ebene kennt der Innenstadtbesucher sonst nur von traditionellen Kaufhäusern. Aber selbst die dimmen des Nachts bisweilen weltklimaschonend das Licht. Anders der Rundfunk, der über alle Tageszeiten hinweg strahlen muss. Im Vollprogramm. Und sogar wahrnehmbar. Was aber, fragt man sich bange, wenn die perspektivischen Impulsvorgaben der Faktoren so abseitig werden in ihrer Angemessenheitseinschätzung, dass niemand da noch irgendetwas wahrnehmen will? Und mehr noch: Kann man das, was da zum verständigenden Überblick vom TV-Kellner angeliefert wird, überhaupt noch für wahr nehmen?
Im zweiten Absatz der Norm wird die qualitative Hürde für die Sender richtigerweise normativ hoch gehängt. Nicht übermäßig in den Himmel, aber für manche wohl doch außerhalb ihrer intellektuellen und emotionalen, oft auch jenseits ihrer moralischen Greifweite: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind bei der Erfüllung ihres Auftrags der verfassungsmäßigen Ordnung und in besonderem Maße der Einhaltung journalistischer Standards, insbesondere zur Gewährleistung einer unabhängigen, sachlichen, wahrheitsgemäßen und umfassenden Information und Berichterstattung wie auch zur Achtung von Persönlichkeitsrechten verpflichtet.“ Als gehörte zu diesem Curriculum aus den Anstandsregeln der Sachlichkeit und Unabhängigkeit nicht bereits ein Ethos des Ausbalancierens innergesellschaftlicher Unterschiede, winkt die Norm vorsorglich auch mit einer weiteren Mahnung an die Sender: „Ferner sollen sie die einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechenden Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit achten und in ihren Angeboten eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen.“ Da ist es wieder: das Profil. Wie bei der Unterhaltung muss es berücksichtigt werden. Wird es das aber? Immer mehr Menschen landauf, landab zweifeln. Und sie sind zunehmend ungehalten.
All diese Regelungen, heißt es im letzten Absatz des Paragraphen, „dienen allein dem öffentlichen Interesse; subjektive Rechte Dritter werden dadurch nicht begründet.“ Die Normgeber haben mit diesem Satz bislang – erstaunlicherweise im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung – den Beitragszahlern die Möglichkeit verbaut, sich gegen regelwidrige Rundfunkleistungen gerichtlich zur Wehr zu setzen. Man muss zahlen, darf aber nicht protestieren. Nur Programmbeschwerden sind möglich, über die dann die eigenen Gremien der Sender unter Ausschluss der Öffentlichkeit befinden. Meist zulasten der Beschwerdeführer. Ist es liederlich, für naheliegend zu halten, dass ein Sender, der bei Erfüllung seines Auftrages der verfassungsmäßigen Ordnung verpflichtet ist, von sich aus fordern müsste, seinen Financiers den üblichen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs bei einem Gericht zu gewähren? Bislang scheint ein solcher Sendeinhalt noch nicht ausgestrahlt worden zu sein.
Seit dem 1. Oktober 2025 hat das Bundesverwaltungsgericht über all diese Fragen zu befinden. Das Bundesverfassungsgericht – und ihm folgend auch der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalens – hatte moniert, dass endlich Kriterien von den Verwaltungsgerichten formuliert werden, wie man die Erfüllung des öffentlichen Rundfunkauftrages objektiv messen kann. Tschechien und die Schweiz machen vor, wie man so etwas misst und wie man unabhängig über Beschwerden entscheiden lässt. Der Sockel, auf den sich die Sender bislang stellen, ist hoch. Sie klagen sogar selbst bei dem Bundesverfassungsgericht, weil sie glauben, mehr Geld aus der Bevölkerung beanspruchen zu dürfen. Das wird ihre Akzeptanz kaum stärken. Denn wo Rechnungshöfe schon kreisende Pleitegeier über den Pensionskassen der Sender entdeckt haben, da wird es eng für die rundgefunkte Selbstherrlichkeit. Demut ist angesagt. Denn eigentlich ist eine neutrale Kommunikationsplattform für alle doch eine sympathische Idee. Eigentlich.
Information
Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 24. Oktober erscheinenden November-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 257.
Anzeigen
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv Abonnenten der Zeitschrift „eigentümlich frei“ zur Verfügung.
Wenn Sie Abonnent sind und bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, nutzen Sie bitte das Registrierungsformular für Abonnenten.
Mit einem ef-Abonnement erhalten Sie zehn Mal im Jahr eine Zeitschrift (print und/oder elektronisch), die anders ist als andere. Dazu können Sie dann auch viele andere exklusive Inhalte lesen und kommentieren.


