26. September 2025
Make love not law: Rundfunkfreiheit ist keine Narrenfreiheit
Öffentlich-rechtliche Sender stehen nicht außerhalb des Rechts

Am 1. Oktober 2025 wird der Sechste Senat des Bundesverwaltungsgerichtes mündlich über die ihm vorgelegte Frage verhandeln, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich – wie bisher – tatsächlich niemals einer inhaltlichen Qualitätskontrolle in verwaltungsgerichtlichen Prozessen stellen muss, sondern weiterhin das exquisite Privileg genießt, die Rechtmäßigkeit seines Handelns im Rahmen von Programmbeschwerden nur selbst mit eigenen Gremien prüfen zu dürfen. Zugleich steht die Frage im Raum, ob die unbedingt zur Beitragszahlung verpflichteten Bürger ungeachtet tendenziöser und nicht hinreichend ausgewogener Senderarbeit rechtlos gestellt sind, wenn sie ihre Beiträge wegen Nicht- oder Schlechterfüllung ganz oder teilweise einbehalten möchten.
Die gleichsam sonnenköniglich unantastbare Rechtsposition der öffentlichen Sender ist in der jüngeren Vergangenheit immer schärfer in die Kritik geraten. Insbesondere die Außerkraftsetzung des Grundrechts auf Justizgewährung aus Artikel 19 Absatz 4 unserer Verfassung im Rundfunkrecht irritiert. Wenn Paragraph 26 des Medienstaatsvertrags die Pflichten der Sender ausbuchstabiert, dann aber auch wörtlich besagt, „subjektive Rechte werden dadurch nicht begründet“, so kann das nicht heißen, dass es solche subjektiven Rechte anderer Rechtsträger überhaupt nicht gäbe. Subjektive Rechte anderer (außenstehender Dritter ebenso wie der Beitragsschuldner), die aus anderen Rechtsquellen herrühren, können hier mitnichten gesamthaft ausgeschlossen werden. Denn dem Medienstaatsvertrag kommt schon rechtsdogmatisch wegen seines Charakters als Landesgesetz gar nicht die normenhierarchische Kraft zu, Bundes- oder gar Verfassungsrecht abzubedingen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll als eine von staatlichen Einflussnahmen gezielt organisatorisch abgekapselte Institution die Allgemeinheit durch seine Sendetätigkeit dazu ertüchtigen, einen entwicklungsoffenen, gesamtgesellschaftlichen Diskurs zur breit informierten Meinungsbildung in einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen – ungestört von illegitimen Manipulationen, inhaltlichen Verkürzungen oder realitätsverzerrenden Fehlgewichtungen – zu führen. Eine zielgerichtet ordnungsgemäße und rechtlich zweckkonform gelingende Rundfunkdienstleistung ist also im Kern die allein wesentliche und entscheidende Raison d’être der Sendeanstalten als unbedingt beitragsfinanzierter öffentlicher Einrichtungen überhaupt.
Ob es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Institution tatsächlich gelingt, diesen „Programmauftrag“ normativ erwartungsgerecht zu erfüllen, kann weder ihm selbst noch auch einem ihm angehörigen Binnenorgan zu prüfen überlassen werden. Eine solchermaßen von staatlichen Einflüssen abgekapselte Organisation braucht vielmehr einen konkreten Kontakt in die Realität außerhalb des eigenen institutionellen Bezugsrahmens, der nur durch eine gerichtliche Überprüfung (verfassungskonform) vermittelt wird.
Rundfunkinterne Beschwerdeausschüsse sind jedenfalls so lange verfassungsrechtlich unzulässige Spruchkörper im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz, wie ihre Entscheidungen einer weiteren letztverbindlichen gerichtlichen Kontrolle nach Maßgabe des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz entzogen bleiben.
Der Umstand, dass die derzeit zuständigen Rundfunkräte – wie die entsprechende Empirie der letzten Jahre erweist – mehr als 99 Prozent aller ihnen vorgelegten Programmbeschwerden als unbegründet zurückweisen, legitimiert die Annahme einer tatsächlichen Vermutung für die wirkliche Ineffizienz dieser Kontrollinstanz; dies gilt jedenfalls dann, wenn man als Vergleichsmaßstab die Quote von mehr als hälftig erfolgreichen Beschwerdeentscheidungen des Presserates heranzieht. In Ermangelung einer plausiblen Erklärung für dieses Missverhältnis der Beschwerdeerfolge bei beiden Aufsichtsgremien ist mindestens prima facie eine Dysfunktionalität der rundfunkinternen Aufsichtsgremien zu vermuten.
Die den öffentlichen Rundfunkanstalten (neben ihrer garantierten Existenz als solcher) verfassungsrechtlich bewusst auch als systembesonderes Abwehrgrundrecht zugewiesene Rundfunkfreiheit ist kein Rechtsgut, das jeder Abwägung entzogen wäre. Auch die Rundfunkfreiheit des Artikels 5 Absatz Satz 2 Grundgesetz ist eines jener Rechte im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 Grundgesetz, das seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen findet, zu denen sicher auch das Justizgewährgrundrecht zählt. Anders gesagt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk fällt nicht in die Kategorie der nichtjustiziablen Gnadenakte, die aus unbenannt übergreifenden ethischen Gründen hoheitliches Tun außerhalb der formalen Rechtsordnung in eng umgrenzten Einzelfällen legitim erscheinen lassen.
Ob die geschuldete Verschaffung eines individuellen Vorteiles für jeden Beitragszahler ordnungsgerecht gelingt, ist am Ende Kontrollaufgabe der Gerichte. Diese müssen von den Beitragszahlern angerufen werden können; denn der ordnungsgerecht erfüllte Informationsanspruch des Beitragszahlers ist in einer Demokratie nicht weniger wichtig als die schlechthin konstituierende Meinungsfreiheit der Bürger selbst.
Die in der Rechtsprechung auch des Bundesverwaltungsgerichtes für nötig erachtete institutionelle Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist eine Unabhängigkeit „gegenüber politischen und gesellschaftlichen Kräften“; dies aber legitimiert weder eine Unabhängigkeit von der Rechtsordnung, noch auch gegenüber Gerichten. Die „institutionelle Unabhängigkeit“ in diesem Sinne fordert keine inhaltliche „Narrenfreiheit“; sondern die Erfüllung der inhaltlichen Unabhängigkeit setzt gerade – ganz im Gegenteil – die Möglichkeit der Prüfung ihrer Einhaltung auf Regelkonformität voraus. Anders gesagt: Institutionelle und redaktionelle Unabhängigkeit sind keine Synonyme für rechtsfreie Räume, sondern sie beziehen die Legitimität ihrer Freiräume gerade aus einer überprüfbaren Einhaltung der ihnen gesetzten Regeln.
Will man dem Beitragsschuldner gegen geschriebenes Verfassungsrecht kein Recht zugestehen, die Berechtigung einer Kritik an ordnungsgemäßen Rundfunkdienstleistungen in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen, dann wird die Zubilligung eines Zurückbehaltungsrechtes am Beitrag erst recht zum gebotenen Instrument, um ihn dazu zu ertüchtigen, die gebotene Rechtstreue der Sender innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens zu bewirken. Die finanzierenden Beitragsschuldner des öffentlichen Rundfunks erhielten hierdurch dann das nötige Instrument zur eigenen Mitwirkung an der Regelabsicherung für eine Institution, die gerichtlicher Kontrolle nicht unterläge. Die Berechtigung der Beitragseinbehaltung wäre dann von den Beschwerdegremien der Rundfunkanstalten von Fall zu Fall eigenständig zu prüfen. Gesteht man dem Beitragszahler umgekehrt kein Zurückbehaltungsrecht zu, muss er seine Rechte dem Sender gegenüber aber gerichtlich geltend machen können.
Eine strukturelle Verfehlung des Auftrags zur vielfaltsichernden Programmdarbietung liegt im Übrigen wohl schon dann vor, wenn eine nicht unerhebliche Vielzahl von Beitragszahlern die Verschaffung eines individuellen Vorteils durch Protest gegen die Beitragspflicht zum Ausdruck bringt. Denn dekonstruiert sich die „Allgemeinheit“ der beitragszahlenden Adressaten durch breiten faktischen Protest bereits von selbst (weil ihr förmliche Rechtsmittel zur Überprüfung versagt sind), dann kann ein strukturell erfüllter Programmauftrag im Geiste der nötigen Demokratiesensibilität nicht mehr unterstellt werden.
Die Frage nach einer ordnungsgerechten Erfüllung der Rundfunkdienstleistung ist auch nicht (wie manche Rundfunkrechtler glauben machen wollen) erst mit einem Totalausfall der Sender aufgeworfen. Denn auch die Frage nach einer ordnungsgerechten Erfüllung der Beitragszahlungspflicht steht ja bereits mit einer bloßen Teilzahlung der Beitragsschuld im Raum.
Information
Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 20. September erscheinenden Oktober-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 256.
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