23. September 2025

RezensionHauke Ritz: Vom Niedergang des Westens zur Neuerfindung Europas

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Hauke Ritz, ein Philosoph mit Russlanderfahrung, geht in seinem neuen Buch zunächst der Frage nach, woher der Jahrhunderte dauernde Hass des Westens auf Russland rührt. In einem Parforceritt durch die Geschichte erfährt der Leser in einem Zeitraum von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, gegliedert in sieben Kapiteln, die wesentlichen Meilensteine und ihre Protagonisten in dieser gestörten Beziehung. Wie sein französischer Zeitgenosse Emmanuel Todd in seinem letzten Buch sieht auch Ritz den Westen im Niedergang. Die neue Antipode zum Westen beschränkt sich seiner Ansicht nach aber nicht nur auf Russland, sondern umfasst neben den Brics-Staaten inzwischen auch den gesamten globalen Süden, der das über die Ressourcenausbeutung immer noch vorhandene Joch des Imperialismus endlich abwerfen möchte. Besonders spannend schildet er die Geschichte ab dem Zerfall der Sowjetunion, die im Westen als endgültiger Sieg des Liberalismus über den Kommunismus gedeutet wurde, der das vermeintliche Ende der Geschichte und eine unipolare Weltordnung unter Führung der USA einläutete. Anders als viele historische Deutungen sieht der Autor aber den Zerfall des Sowjetimperiums nicht als Folge eines wirtschaftlichen Bankrotts, ausgelöst durch das vom Westen betriebene Wettrüsten, sondern in einer Kapitulation Gorbatschows vor der wirkmächtigen Kultur, die der Westen auf die Bevölkerungen des europäischen Ostens ausübte, dem der Kommunismus nichts Vergleichbares entgegensetzen konnte. Ende der 1980er Jahre begeisterte die Boomer-Generationen diese Softpower, ausgedrückt in Mode, Musik, Film und Lebensmodellen, nicht nur im Westen, sondern auch im Osten. Der Niedergang dieser liberalen Softpower des Westens beginnt mit 9/11 und dem „War on Terror“ und lässt den Westen nicht nur autokratischer werden, sondern auch kulturell und intellektuell verflachen. Mit Neid schaut man daher jetzt auf die Renaissance der russischen Kultur, nachdem man seine eigene zerstört hat.


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Dossier: ef 256

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Christian Lange

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