16. August 2025

Ideologiegeschichte Die Wandlungen des Liberalismus

Vom offenen Markt zum großen Plan und zurück?

von Christian Lange

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Bildquelle: KI: ChatGPT Spontane Ordnung gegen den Plan – Liberalismus 1.0 vs. 2.0.

Zu Beginn möchte ich folgende Definition dem Beitrag voranstellen. Wir befinden uns im Westen aktuell in der Phase Liberalismus 2.0. Anfang des letzten Jahrhunderts wurde die Österreichische Schule maßgeblich von Friedrich August von Hayek geprägt. Diesen Liberalismus bezeichne ich als Version 1.0.

Friedrich August von Hayek war ein reiner Liberaler, der in seinen Werken sowohl den Kommunismus als auch den Faschismus stark kritisierte, indem er ihre inhärente Verpflichtung gegenüber dem „Plan“ hervorhob. Im Namen dieser Verpflichtung zwangen die kommunistischen und faschistischen Regime ihre gewalttätigen politischen und wirtschaftlichen Praktiken den Gesellschaften auf und pervertierten dabei die natürliche Logik des sozialen und politischen Lebens. Beide machten übermäßigen Gebrauch von der Zukunft und dem Fortschritt als entscheidende Argumente für ihr Recht, zu herrschen und die politische Struktur zu dominieren, ausgestattet mit der Mission, diese Zukunft um jeden Preis wahr werden zu lassen. Folglich vergewaltigten die Kommunisten und Faschisten die Realität, indem sie diese den selbst proklamierten „Gesetzen des Fortschritts“ unterwarfen.

Hayek dagegen bekräftigte den Status quo als Ausgangspunkt. Aus der systemischen Theorie leitete Hayek ab, dass die Zukunft nicht planbar ist, da die Komplexität des Gesamtsystems aus Gesellschaft und Wirtschaft zu hoch ist. Hayek stellt sich daher dem Plan mit dem Konzept der Tradition entgegen, die in seinen Augen die einzige Grundlage einer organischen marktgetriebenen Entwicklung darstellt. Die Tradition identifiziert er mit der Summe der rationalen Entscheidungen, die von den vielen vorhergehenden Generationen getroffen wurden. Sie besteht aus einer großen Summe von Fehlern und Korrekturen, der kein Plan jemals das Wasser reichen kann.

Ein Schüler von Hayek war Karl Popper. Dieser stand den Ideen seines Lehrers auf den ersten Blick  loyal gegenüber. Formal Hayeks Zugang folgend, verschob Popper die wichtigsten Betonungen beträchtlich. Zum Titel seines Hauptwerks „Die offene Gesellschaft“ fügte er „und ihre Feinde“ hinzu, wodurch er den Dualismus betonte. Hayek selbst war sehr vorsichtig bei der Formulierung jeglicher Art von dualistischem Zugang zu Politik und Ideologie. Mit Popper können wir das Drehbuch des Liberalismus nun allerdings umschreiben. Die offene Gesellschaft ist nämlich ein unmissverständlich liberaler Plan. Er ordnet jeden Menschen in eines von zwei Lagern: die offene Gesellschaft hier und die Feinde der offenen Gesellschaft dort.

Popper tritt für die Zerstörung der Feinde der offenen Gesellschaft ein und argumentiert, dass, wenn dies nicht passiere, diese, da sie selbst keine inneren Grenzen kennen, wiederum die offene Gesellschaft zerstören würden. Hier fängt also die Verschiebung zum Liberalismus 2.0 an. In Poppers Augen gibt es keine Erlaubnis, illiberal zu sein. Jeder Feind der offenen Gesellschaft ist per definitionem ein ideologischer Verbrecher. Dabei ist es unwichtig, ob dieser sich auf der linken oder rechten Seite des politischen Spektrums befindet. Popper selbst war dabei noch ein offener Kapitalist und wirtschaftlich auf der rechten zu verorten.

Die vollständige Umwandlung des Liberalismus in die Version 2.0 erledigte dann George Soros, der selbst wiederum ein Schüler von Karl Popper war. Soros machte es sich zum Lebensziel, die offene Gesellschaft überall auf der Welt zu propagieren. Hier haben wir es also mit einem vollausgereiften Plan zu tun, vollkommen im Widerspruch zu Hayek. Durch Soros wurde der Liberalismus extremistisch. Im Gegensatz zu seinem Lehrer, der seinen Aktivismus darauf beschränkte, seine Ansichten auszudrücken, zögert Soros nicht, Farbrevolutionen zu finanzieren – und Aufstände, Putsche, NGOs und was auch immer er als tauglich betrachtet, um die Feinde der offenen Gesellschaft zu bekämpfen.

Gleichzeitig verändert sich die politisch ideologische Haltung von Soros in der Hinwendung zu extremen Linksliberalen, Postmodernisten und sogar linksextremen Aktivisten. Mit Soros sind wir tatsächlich am anderen Ende des Liberalismus angekommen. 

Wenn Popper Hayek verwandt war und Soros Popper ähnlich war, dann erscheinen doch Soros und Hayek als zwei Extreme. Hayek spricht sich für die Tradition aus und richtet sich radikal gegen jede Art von Plan. Er überlässt den Fortschritt den Gesetzen des Marktes. Soros hingegen spricht sich für das genaue Gegenteil aus – den in einem Plan vorgegebenen Fortschritt und das „liberale Projekt“.

Mit dem Wechsel der US-Administration im Januar 2025 könnten wir einen Ideologiewechsel  des Liberalismus zurück in Richtung Version 1.0 beobachten, was den Europäern, die sich fest in der ideologischen Hand des Liberalismus 2.0 befinden, nicht gefallen kann. Schließlich ist diese Rückkehr im Plan der Version 2.0 nicht vorgesehen.

Information

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 25. Juli erscheinenden Aug.-Sep.-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 255.


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Christian Lange

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