28. Dezember 2025
DeutschlandBrief: Börsenjahr 2026
Ein neues Spiel für Realisten
von Bruno Bandulet
100 Jahre im Rückblick
Auch wenn das Frühjahr oft bessere Kaufgelegenheiten beschert, ist der Jahreswechsel eine gute Zeit, um Bilanz zu ziehen und Chancen und Risiken abzuwägen. Die Fondsmanager haben bis Dezember ihre Portfolios bereinigt, und die Privatanleger haben Verluste realisiert, um die Steuerlast zu drücken. Dann kann überlegt werden, welche alten Trends im neuen Jahr weiterlaufen und welche die Richtung wechseln könnten. Kaum jemand hatte zum Beispiel im Januar 2025 auf der Rechnung, dass die beliebte SAP das Jahr mit einem Minus und die unbeliebte Bayer das Jahr mit einem Plus abschließen würde.
Am besten, wir beginnen mit der sehr langfristigen Perspektive. In den USA wurde berechnet, was aus 100 Dollar wurde, die 1928 investiert und bis 2023 gehalten wurden. Demnach wuchsen Treasury-Bills, die Anlage mit dem geringsten Risiko und der niedrigsten Volatilität, in diesen knapp 100 Jahren auf 2.249 Dollar, langfristige T-Bonds auf 7.278 Dollar und Gold auf 10.042 Dollar. Interessant ist, dass Immobilien im Durchschnitt weniger als die T-Bonds einbrachten, wobei lokale Unterschiede enorm waren. Manhattan oder das Silicon Valley lohnten sich wirklich, während vieles in Detroit heute unverkäuflich ist.
Lyn Alden, eine kluge amerikanische Analytikerin, weist auf ein anderes Phänomen hin: Im Zeitraum von 1926 bis 2019 haben laut einer Untersuchung die meisten US-Aktien, nämlich 96 Prozent, nicht besser als T-Bills abgeschnitten. Dass der amerikanische Aktienmarkt im vergangenen Jahrhundert dennoch alle anderen schlug, erklärt sich aus der „Outperformance“ von nur vier Prozent aller amerikanischer Aktien. Nicht viel anders sah es im Rest der Welt aus – und dort ist mancher Besitz von Wertpapieren oder Grund und Boden durch Kriege und Revolutionen komplett vernichtet worden.
Die Konzentration auf wenige Aktien wiederholt sich gegenwärtig. Nvidia macht acht Prozent der Kapitalisierung des S&P 500 aus, noch mehr Gewicht hatte IBM in den späten 1960er Jahren. Das Narrativ, dem die Investoren aktuell folgen, fokussiert sich auf künstliche Intelligenz. Vor 2000 befeuerte das Internet die kollektive Phantasie, bis die damalige Dotcom-Blase platzte. In beiden Fällen war die Manie verbunden mit gewaltigen Überinvestitionen, die in Kapitalvernichtung endeten. Auch nach dem Crash blieb das Internet, nur haben dann andere Firmen davon profitiert. Auch der KI-Boom wird in Ernüchterung enden.
Inflation und Rohstoffzyklus
Wann das passiert, lässt sich nicht vorhersagen. Der Blick auf die Vergangenheit und die Gegenwart ist ohnehin aufschlussreicher als der in die Zukunft. Es geht darum, strukturelle Kräfte und Verschiebungen richtig einzuschätzen.
Beispiel Inflation, vor allem die von den USA ausgehende: Sie liegt hartnäckig bei drei Prozent und damit seit Jahren über dem Zielband der Federal Reserve von zwei Prozent. Viel spricht für die Annahme, dass der jahrzehntelange Zyklus sinkender Inflationsraten abgeschlossen ist. Erstens ist es der Regierung Trump gelungen, die Zuwanderung zu stoppen, sodass keine zusätzlichen Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, was die Löhne eher nach oben drücken müsste. Zweitens favorisiert Trump eine Politik des leichten Geldes, und er kann bereits im Mai den Notenbankchef Powell durch einen ihm genehmen Mann ersetzen. Und drittens werden sich die Zölle doch noch zeitverzögert in höheren Verbraucherpreisen niederschlagen. Wenn dann die Realzinsen nicht steigen, sondern fallen, wäre das per se positiv für Gold und Silber.
Ein anderer Trend ist der geopolitisch motivierte Kampf um den Zugang zu Rohstoffen, zu seltenen Erden, zu Industriemetallen, zu Uran und Erdöl. Am Ölmarkt fällt auf, dass große Produzenten wie Shell, ENI oder Exxon den Preisverfall nicht mitgemacht haben und dass die Spekulanten immer noch auf fallende Ölpreise setzen. Weil die Ölförderer wenig investiert haben und weil sich die Lager zu leeren beginnen, projiziert der Chef von Occidental Petroleum schon eine Ölknappheit. Urs Marti vom Schweizer Vermögensverwalter SIA (WKN A0ML6C) setzt für die kommenden Jahre generell auf Rohstoffe, sieht nicht im Euro, sondern in Gold die Alternative zum Dollar und ist optimistisch für den kanadischen Ölkonzern Canadian Natural Resources. Er bestreitet, dass die Juniors in einer Rohstoffhausse stets besser laufen als die etablierten Unternehmen, weil mit den Rohstoffpreisen auch die Inflation steigt und weil damit jede noch nicht gebaute Mine nur teurer werden kann. Kohle und viele andere Rohstoffe spielt er über den schweizerischen Multi Glencore, der gerade eine Reihe von Problemen bei seinen Minen aufarbeitet, zudem mit Rohstoffen handelt und international bestens vernetzt ist. Auch Eisenerz mit dem Hauptabnehmer China gefällt ihm. Rio Tinto und die brasilianische Vale liefern in dieser Branche ordentliche Dividenden. Überhaupt ist der brasilianische Aktienmarkt (WKN A0HGWA) im internationalen Vergleich stark unterbewertet, siehe den hochrentablen Ölproduzenten Petrobras. Eine globale Rezession, die sich freilich nicht abzeichnet, würde den Rohstoffzyklus unterbrechen, aber nicht beenden.
Chancen in Europa
Auch die europäischen Aktienmärkte sind günstiger bewertet als der amerikanische. Hier lohnt es sich, auf die Branchenindizes zu schauen, die als ETF handelbar sind. Größte Positionen im Stoxx Europe 600 Basic Resources sind Rio Tinto, Glencore und Anglo American. Der ausschüttende ETF (WKN A0F5UK) schaffte zuletzt den Sprung über die 200-Tage-Linie. Besser entwickelte sich 2025 der Stoxx Europe 600 Oil & Gas mit den Schwergewichten Shell, TotalEnergies und BP (WKN A0H08M). Über fünf Jahre hat Shell besser abgeschnitten als der Index. Größere Einbrüche wie der vom April 2025 müssen auch hier einkalkuliert werden.
Zum Publikumsliebling wurden 2025 die Versorger (WKN A0Q4R0 für den ETF Stoxx Europe 600 Utilities). Jahrelang konnte der ETF den Widerstand bei 40 Euro nicht nachhaltig überwinden. Erst 2025 gelang der Ausbruch. Größte Positionen sind die spanische Iberdrola, die italienische Enel, die britische National Grid und die französische Engie. Bei Aktienanlagen nicht nur auf Deutschland, sondern auf ganz Europa (leider derzeit ohne Russland) zu setzen, ist sinnvoll. Auch, weil Deutschland im Rohstoffsektor blank ist und keine nennenswerte Firma aus diesem Sektor auf dem Kurszettel hat. Wirklich abkoppeln von der Wall Street wird sich der DAX nicht können. Von Bloomberg stammt die Berechnung, wonach der US-Aktienmarkt seit 1900 nie so überbewertet war wie jetzt – Grund für die beispiellos hohe Cashquote von Warren Buffet. Preiswerte Titel sind auch an deutschen Börsen zu finden, zum Beispiel DHL mit einer Free-Cashflow-Rendite von 12,9 Prozent oder Fuchs mit 7,3 Prozent oder Evonik mit 10,3 Prozent. Die Chemieaktie Evonik ist ein besonderer Fall. Sie war 2025 schwer unter Druck, rentierte zuletzt mit sieben Prozent, konnte die Dividende seit 2015 stabil halten und notiert jetzt bei der Hälfte des Buchwertes. Der Baissetrend war Ende November ungebrochen. Neben der Dividendenrendite ist die FCF-Rendite ein guter Anhaltspunkt, oft besser als das KGV. Bei Shell liegt sie bei 9,3 Prozent, bei Canadian Natural Resources bei 7,1 Prozent. Zum Vergleich: Barrick Mining, der zweitgrößte Goldkonzern nach Newmont, könnte 2026 die FCF-Rendite auf 5,5 Prozent steigern und das KGV von 16 auf elf absenken, dies unter der Annahme eines durchschnittlichen Goldpreises von 4.300 Dollar im kommenden Jahr. Die Hebelwirkung steigender und fallender Goldpreise auf den Aktienkurs ist enorm. Zudem sind Barrick und vergleichbare Konzerne neuerdings schuldenfrei.
Positiv für Rohstoffe in diesem Jahrzehnt kann nur gestimmt sein, wer Inflation, tiefe Realzinsen und den wirtschaftlichen Aufstieg der Schwellenländer auf die Rechnung setzt. Zum Zweck der Risikostreuung bietet sich zum Beispiel der ausschüttende Van Eck Morning Star Developed Market Dividend Leaders ETF (A2JAHJ) an. Er schlägt seit langem den Euro Stoxx 50 – ein Vergleich, den Sie bei jedem Fonds anstellen sollten. Ebenfalls wichtig: Der ETF ist weniger schwankungsanfällig, siehe 2022 und den April 2025. Ein weiterer Kaufkandidat ist der Stoxx Europe 600 Health Care (A0Q4R3) mit Astra Zeneca, Novartis, Roche und Novo Nordisk.
Anlagen am Geldmarkt und in Anleihen mit kurzer Laufzeit dienen der Stabilisierung des Portfolios. Einen Beitrag zum Vermögensaufbau können sie nicht leisten. Kurzfristiges Denken, hektisches Handeln, Überbewertung von Tagesnachrichten sind Gift für erfolgreiches Investieren. Und ungekehrt ist stets hilfreich: Geduld und die Bereitschaft, die Meinung zu ändern, wenn sich die Verhältnisse ändern.
Information
Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 22. Dezember erscheinenden Jan.-Feb.-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 259.
Anzeigen
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv Abonnenten der Zeitschrift „eigentümlich frei“ zur Verfügung.
Wenn Sie Abonnent sind und bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, nutzen Sie bitte das Registrierungsformular für Abonnenten.
Mit einem ef-Abonnement erhalten Sie zehn Mal im Jahr eine Zeitschrift (print und/oder elektronisch), die anders ist als andere. Dazu können Sie dann auch viele andere exklusive Inhalte lesen und kommentieren.


