07. Januar 2025
Österreich: Die „Brandmauer“ ist gefallen
Werden die „Rechtsnationalen“ den nächsten Kanzler stellen?
von Andreas Tögel
Die Wirtschaft der Alpenrepublik befindet sich in einer überaus tristen Lage. Die beiden Wirtschaftsforschungsinstitute IHS und WIFO prognostizieren für 2025 ein Wachstum von 0,6 beziehungsweise 0,7 Prozent – also faktisch nichts. Weit und breit bieten sich keine erfreulichen Perspektiven. Kein volkswirtschaftskundiger Kommentator, der nicht vor der immer mehr Fahrt aufnehmenden Deindustrialisierung des Landes warnt. Horrende Energiekosten und viel zu hohe Lohnabschlüsse der letzten Zeit erweisen sich – Hand in Hand mit würgenden Regulierungslasten – als Gift für die Konjunktur. Die stark ansteigende Zahl der Insolvenzen, mit rekordverdächtig hohen Summen an uneinbringlichen Forderungen, ist ebenfalls alarmierend. Die jahrzehntelange Politik der stetig zunehmenden Verteilung schuldenfinanzierter Mittel (etwa als „Klimabonus“, um nur ein Beispiel zu nennen), hat die Republik in eine Sackgasse manövriert. Wie auch in Deutschland, ist hierzulande das Bewusstsein dafür vollkommen abhandengekommen, woher der Wohlstand stammt. Nämlich nicht von der „sozialen Umverteilung“, den Wohltaten des Sozialstaats, sondern von einer prosperierenden Wirtschaft – insbesondere von gesunden mittelständischen Unternehmen. Und denen geht es immer schlechter.
Zum Zeitpunkt, da dieser Beitrag geschrieben wird, sind die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ geplatzt, nachdem zuvor bereits die „liberalen“ Neos das Handtuch geworfen hatten. Nach dem Rücktritt des Kickl-Intimfeindes Karl Nehammer vom Kanzleramt wird eine blau-schwarze Koalition plötzlich möglich. Bundespräsident Van der Bellen hat dem Chef der FPÖ mit dreimonatiger Verzögerung – und mangels aus seiner Sicht günstigerer Alternativen – nun doch den Auftrag zur Bildung einer Regierung gegeben. Was wirklich kommen wird, ist gegenwärtig noch nicht absehbar. Immerhin wird sich FPÖ-Chef Kickl, dem sich – im Gegensatz zur ÖVP – auch die durchaus verlockende Option von Neuwahlen bietet, nicht zum Nulltarif unters Joch eines Sanierungskanzlers spannen lassen.
Bleibt festzustellen, dass die Neos, Nachfolgetruppe des linken „Liberalen Forums“, die einzige Kraft in der zunächst angepeilten „Zuckerlkoalition“ gewesen wäre, der keine Schuld am Niedergang der Wirtschaft und den explodierenden Staatschulden anzulasten ist. Die einst bürgerlich-konservative ÖVP ist, darauf kann gar nicht mit genügend Nachdruck hingewiesen werden, die einzige Partei, die seit 1987 ununterbrochen in Regierungsverantwortung steht und dabei lange Zeit den Kanzler stellte. Ob sie tatsächlich das Zeug zur Umsetzung eines umfassenden Reformkurses hat, sei dahingestellt. Selten hat nämlich derjenige, der einen Missstand herbeigeführt hat, auch das Zeug dazu, ihn wieder zu bereinigen.
Kleiner Einschub: Die Finanzschuld der Republik beläuft sich zum 3. Januar 2025 auf mehr als 400 Milliarden Euro. Das sind über 80 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes, was eine klare Verletzung der Maastricht-Kriterien bedeutet, die eine Grenze bei 60 Prozent setzen.
Ein guter Teil der dynamischen Entwicklung der Staatsschulden der Alpenrepublik geht auf die stetig steigenden Zuschüsse des Bundes zu den Pensionen zurück, die sich im Jahr 2024 – ohne Beamtenpensionen – auf gewaltige 14,1 Milliarden Euro belaufen haben (unten verlinkt). In der rasch alternden Gesellschaft Österreichs läuft das umlagebasierte Pensionssystem auf ein Pyramidenspiel hinaus. An welchen der drei vorhandenen Stellschrauben gedreht werden muss, um dennoch systemstabilisierende Korrekturen vorzunehmen, ist indes kein Geheimnis: Beitragserhöhungen, Pensionskürzungen oder Verkürzung der Bezugsdauer – also die Ausdehnung der Beitragsjahre. Beitragserhöhungen kommen, angesichts der bereits jetzt exorbitanten Lohnnebenkosten, kaum infrage. Die Fähigkeit der Betriebe, im Wettbewerb gegen ausländische Konkurrenten zu bestehen, würde dadurch weiter geschwächt.
Pensionskürzungen würden, bei annähernd drei Millionen Pensionsbeziehern (unten verlinkt), mutmaßlich den politischen Selbstmord des Initiators bedeuten. Übrig bleibt somit nur die Korrektur des Pensionsantrittsalters. Die Neos haben konsequenterweise dessen Erhöhung auf gesetzlich 67 Jahre gefordert, was von der sich als besitzstandwahrende Rentnerpartei verstehenden SPÖ als unzumutbar zurückgewiesen wurde.
Die nächste Regierung wird – so unpopulär es auch sein mag – um eine grundlegende Reform des sich immer mehr zum Milliardengrab entwickelnden Pensionssystems nicht herumkommen. Und zwar gleich nach der Abgabenentlastung für den produktiv tätigen Teil der Bevölkerung. Da die vom Sozialstaat umzuverteilenden Mittel von den Betrieben und deren Mitarbeitern erst einmal erwirtschaftet werden müssen (eine Binsenweisheit, die den Sozialisten in allen Parteien leider nicht einleuchtet!), liegt der Schlüssel zum Erhalt des sozialen Friedens im Lande in der Stärkung deren Wettbewerbsfähigkeit. Ohne eine Reduktion der Regulierungs- und Abgabenlasten für die Unternehmen geht es also nicht. In einer Regierung unter Beteiligung der von dem Marxisten Andreas Babler geführten SPÖ, die außer neuen Steuern und einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich nichts in petto hat, wäre das ohnehin vollkommen unmöglich gewesen. Das hätte auch schon vor dem Beginn der Verhandlungen zu einer Dreierkoalition bereits jedermann – auch Herrn Van der Bellen – klar sein müssen.
Der deutsche Polit-Kommentator Alexander Kissler bescheinigt Bundespräsident Van der Bellen „Desorientierung“ und kritisiert die Vernachlässigung der Wünsche der Wählermehrheit, die keine Verliererkoalition wünscht. Nun wurde der Ball an die Freiheitlichen unter Herbert Kickl weitergespielt.
Ob es tatsächlich zu einer blau-schwarzen Koalition kommt oder ob Neuwahlen zu erwarten sind, liegt derzeit noch im Dunkeln. Sollte neu gewählt werden, würde sich möglicherweise – zum ersten Mal seit Bestehen der Zweiten Republik – eine völlig neue Regierungskoalitionsvariante ergeben: Beim absehbaren Absturz der einst staatstragenden Parteien ÖVP und SPÖ und der weiterhin zu erwartenden Erosion der Grünen könnte sich eine Regierungsmehrheit von FPÖ und Neos (!) ausgehen. Eine derartige Regierungsvariante hätte zweifelsfrei eine ganze Menge Sexappeal.
Ob ein ernstzunehmender Sanierungskurs unter Beteiligung jener politischen Parteien bewerkstelligt werden kann, die den Großteil der Schuld an der prekären Lage der Alpenrepublik zu tragen haben (also ÖVP und SPÖ), darf angezweifelt werden.
Staatsschulden der Republik Österreich
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