27. Dezember 2025

Make love not law Politische Parteien als Zeitungsverleger

Wer ist „unabhängig und überparteilich“?

von Carlos A. Gebauer

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Bildquelle: KI-Bild (Gebauer) von Carlos A. Gebauer Sagen, was ist: Sagen, wer man ist

Das beeindruckend umfängliche Medienimperium rund um die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und ihr hundertprozentiges Eigentum an der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG) hat inzwischen eine Debatte angestoßen: Sollten Zeitungen ihren Lesern gut erkennbar und unmissverständlich einen Hinweis erteilen müssen, ob sie redaktionell Einflüssen von politischen Parteien ausgesetzt sind? Sollten Leser überhaupt wissen, dass sie ein im Eigentum einer Partei stehendes Blatt lesen? Oder darf ohne Kennzeichnungspflicht davon ausgegangen werden, dass der Leser eines als gewöhnliche Tageszeitung erscheinenden Periodikums derartige Hintergründe ohnehin schon von sich aus selbstkritisch erkennt?

Gesetzliche Kennzeichnungspflichten sind der Rechtsordnung im Allgemeinen nicht unbekannt. Das Bundesamt für Verbraucherschutz beispielsweise teilt auf seiner Website mit: „Die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist europaweit einheitlich in der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) – Verordnung (EU) 1169/2011 geregelt. Diese Verordnung wird auf nationaler Ebene durch die Lebensmittelinformations-Durchführungsverordnung (LMIDV) ergänzt. Verbraucher sollen verpflichtende Informationen über Lebensmittel direkt auf der Verpackung oder auf einem an dieser Verpackung befestigten Etikett finden. Diese Informationen sollen die Kaufentscheidung erleichtern und den Verbraucher schützen.“

Produktsicherheitsrechtlich stellt das Bundesumweltministerium auf seiner Website etwa klar: Typen-, Chargen- oder Seriennummern sollen Verbrauchern leicht erkennbare Elemente zur Identifizierung der betreffenden Gegenstände bieten, um zusammen mit Angaben zum Hersteller und seiner Postanschrift die Rückverfolgbarkeit von Produkten sicherzustellen.

Nach Paragraph 3 des deutschen Produktsicherheitsgesetzes wird ganz allgemein nicht nur die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme, sondern auch ein vorhersehbar nicht bestimmungsgemäßer Gebrauch zum Maßstab für das angemessen nötige Sicherheitsniveau in Verkehr genommen. Man soll mit menschlicher Unvollkommenheit rechnen, wenn man in die Öffentlichkeit tritt. Orientierungspunkt dahingehend kluger Regelsetzung ist also nie ein hochintelligenter Leistungssportler, sondern der normale, übliche, durchschnittliche Mensch mit allen seinen Fehlern und Irrtümern.

Will man diesen Typus des gewöhnlichen Mitmenschen vor Überraschungen schützen, muss man seine Schwächen durch Hinweispflichten ausbalancieren. Auf der Website „die-medienanstalten.de“ heißt es im „Leitfaden zur Kennzeichnungspflicht betreffend Werbekennzeichnung bei Online-Medien“: „Für die Nutzenden muss auf den ersten Blick zu erkennen sein, dass es sich bei einem Beitrag um Werbung handelt. Ein pauschaler Hinweis genügt nicht. Kennzeichnungspflichtig ist jeweils der werbliche Beitrag selbst.“

Dieses allgemeine Kennzeichnungsrecht könnte auch für presserechtliche Erzeugnisse fruchtbar gemacht werden. Entnimmt man den entscheidenden Bewertungsmaßstab für die Ordnungsmäßigkeit journalistischer Äußerungen aus dem Verständnishorizont des jeweils redaktionell adressierten, durchschnittlich gebildeten und (nur) gewöhnlich aufmerksamen Leserkreises, dann führt diese Rechtsanalogie zu dem für einen vergleichbaren Interessenabgleich geschaffenen werberechtlichen „Lauterkeitsrecht“. „Lauterkeit“ in diesem Sinne zielt darauf ab, klar zu sein, rein und aufrichtig, ungetrübt und unvermischt. Ehrlich und redlich also, anständig. 

Der „Münchener Kommentar Lauterkeitsrecht“ 2020 formuliert hierzu: „Irreführend ist ein Werben dann, wenn bei den Angehörigen des anvisierten Empfängerkreises Fehlvorstellungen über den Inhalt beziehungsweise die Richtigkeit der betreffenden Informationsentäußerung ausgelöst werden können, die deren zukünftige Entscheidungen in diesem Themenbereich richtungsmäßig vorprägen, beeinflussen oder sogar leiten können. Die Irreführung ist nicht an eine entsprechende Absicht, ein schutzbedürftiges zweifelsfreies Opfer oder das Erfordernis ihres tatsächlichen Gelingens im Sinne einer erfolgreich gelungenen Täuschung eines oder mehrerer Mitteilungsadressaten gebunden. Geleitet von dem werbespezifischen Unternehmenscharakter ist allein die objektive Täuschungseignung des informationsentäußernden Täterverhaltens ausreichend. Bewertungsmaßstab objektiver Irreführungseignung ist die Verkehrsauffassung der konkret angesprochenen Werbeadressaten.“

Es sind auf den ersten Blick keine Gründe dafür plausibel, warum es einem Presseerzeugnis erlaubt sein sollte, im Rahmen seiner allgemeinen journalistischen Sorgfalt niedrigeren Präzisionsanforderungen für die Entäußerung seiner Nachrichten zu unterliegen als gewöhnliche Teilnehmer an Wettbewerbshandlungen. Der dahingehend objektivierte „Durchschnittsverständnishorizont“ führt im Wettbewerbsrecht anerkanntermaßen dazu, dass bei Überschreitung einer „Mindestirreführungsquote“ von fünf bis 20 Prozent der adressierten Rezipienten von einer nicht mehr hinreichend rechtmäßigen Leistung ausgegangen wird.

Rührt ein Presseerzeugnis also von einem Urheber her, der – infolge der weltanschaulich homogenen Struktur seiner Mitarbeiterschaft – nicht primär durch zufällige interne Meinungsvielfalt, sondern durch gewisse eigene Überzeugungs-Cluster geprägt ist, dann könnte es durchaus zu den Anforderungen der Lauterkeit gehören, dem jeweils anvisierten Adressatenkreis bei der Mitgestaltung seiner Meinungsbildung unzweifelhaft und eindeutig informierend zu kennzeichnen, dass eine auch nur stillschweigende Verleitung zu bestimmten Auffassungen infolge selbst unbeabsichtigter inkongruenter Darstellungen nicht ausgeschlossen sein könnte.

Allein schon die objektive Störungseignung bei der Informationsvermittlung an ein nur potenziell täuschungsanfälliges Kundenkollektiv zwingt mithin zur Antwort auf die entscheidende Frage nach der allgemeinen Verkehrsauffassung: Kann das bloße Hervorrufen eines unausgesprochen herauslesbaren Eindrucks zwischen den Zeilen objektiv geeignet sein, einen durchschnittlich gebildeten und nur gewöhnlich aufmerksamen Adressaten über kolportierte Inhalte irren zu lassen?

Bejaht man diese Frage auf der Basis hinlänglich bekannter außer- und vorbewusster Beeinflussungspotenziale für die Überzeugungsbildung namentlich argloser Rezipienten, erscheint eine unzweideutig verbraucherschützende Kennzeichnungspflicht für mögliche parteipolitische Einflüsse auf allgemeine Presseerzeugnisse – insbesondere im Hinblick auf die besondere Bedeutung der unbeeinflussten individuellen Meinungsbildung für unser demokratisches Gemeinwesen – sehr gut vorstellbar. 

Vielleicht ist sie in Zeiten der rigorosen Offenlegung von Falsch-, Fehl- und Missinformationen sogar alternativlos.

Information

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 22. Dezember erscheinenden Jan.-Feb.-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 259.


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