20. Dezember 2025

SARS-CoV-2, Impfung und Verantwortlichkeit Haftungsrechtliche Zwischenbilanz

Über das Urteil des Bundesgerichtshofes

von Carlos A. Gebauer

Artikelbild
Bildquelle: KI-generiert (Chat-GPT) Impfende Ärzte: Fein raus?

Der Dritte Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat mit Urteil vom 9. Oktober 2025 (III ZR 180/24) entschieden, dass die in der Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 genannten Leistungserbringer bei Vornahme einer solchen Impfung bis zum 7. April 2023 in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt haben. In der Konsequenz dieser Entscheidung sollen Schadensersatzansprüche impfgeschädigter Personen nicht mehr gegen unmittelbar selbst tätig gewordene impfende Ärzte bestehen, sondern lediglich gegen „den Staat“. Auch ein privat aufgesuchter Arzt in seiner eigenen Praxis hat – der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes folgend – die persönliche Qualität eines Beamten im haftungsrechtlichen Sinne. Denn alle privaten Leistungserbringer für solche Impfungen seien „als Verwaltungshelfer einzuordnen“. Die Ärzte hätten allesamt „in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes“ gehandelt. Dies gelte ungeachtet des Umstandes, dass die ärztliche Heilbehandlung ihrerseits regelmäßig gerade nicht Ausübung eines öffentlichen Amtes sei. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, impfende Ärzte hätten „unabhängig von der Organisation und dem Ort ihrer Tätigkeit“ bei diesen Impfungen „als verlängerter Arm des Staats zur Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe gehandelt“, sei „im Ergebnis nicht zu beanstanden“.

Alle impfenden Ärzte seien ausdrücklich in eine staatliche „Corona-Impfkampagne“ eingebunden gewesen. Mit der „Erfüllung des staatlichen Impfanspruchs“ sei auch von ihnen „den übergeordneten Zielen eines individuellen Gesundheitsschutzes sowie der Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen und zentraler Bereiche der Daseinsfürsorge“ gedient worden.

Der Bundesgerichtshof stellt bei der weiteren Erläuterung seiner Rechtsauffassung insbesondere auch ab auf § 1 Abs. 2 Satz 1 der Corona-Impfverordnung und betont, „dass der Anspruch auf Schutzimpfung die Aufklärung und Impfberatung der zu impfenden Person, die symptombezogene Untersuchung zum Ausschluss akuter Erkrankung oder Allergien, die Verabreichung des Impfstoffs, die Beobachtung der sich an die Verabreichung des Impfstoffs unmittelbar anschließende Nachsorgephase und die erforderliche medizinische Intervention im Falle des Auftretens von Impfreaktionen umfasste“. Zudem seien die Beteiligten verpflichtet gewesen, täglich an der Impfsurveillance teilzunehmen, was Voraussetzung für die Vergütung ihrer ärztlichen Leistungen gewesen sei.

Mit dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes scheint berufshaftpflichtrechtlich ein Schlusspunkt in der Debatte gesetzt zu sein, ob impfende Ärzte während des beschriebenen pandemischen Intervalls persönlich für ärztliche Fehler einzustehen haben.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der Bundesgerichtshof seine referierte Judikatur vom 9. Oktober 2025 (jedenfalls in absehbarer Zeit) neu ausrichten werde, ist äußerst gering. Es steht im Gegenteil zu erwarten, dass diese Rechtsprechung sich in nächster Zeit in der Instanzrechtsprechung verfestigt. Genau das allerdings wird nicht ohne weitere juristisch-systematische Konsequenzen bleiben können.

Indem der Bundesgerichtshof jeden mit Substanzen gegen das Risiko einer Atemwegserkrankung durch Corona-Viren schutzimpfenden Arzt zu einem Verwaltungshelfer des Staates definiert hat, der eine „von der öffentlichen Hand zu erfüllende hoheitliche Aufgabe“ erfüllt, hat er nicht nur den Anwendungsbereich des § 839 Bürgerliches Gesetzbuch eröffnet, sondern dessen gesamten Regelungsgehalt in die Rechtsbeziehung der Beteiligten einbezogen. In der genannten Vorschrift wird die von dem verwaltungshelfenden „Beamten“ zu erfüllende Pflicht zentral als – so wörtlich – „Amtspflicht“ bezeichnet.

Dies hat mittelbar auch strafrechtliche Konsequenzen. Denn gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2c Strafgesetzbuch ist derjenige ein „Amtsträger“ im strafrechtlichen Sinne, der „dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen“. Für impfende Ärzte als Amtsträger in diesem Sinne ist dies eine rechtlich nicht zu unterschätzende Konsequenz. Denn eine sogenannte „einfache“ Körperverletzung ist strafrechtlich nur dann von Bedeutung, wenn der Geschädigte einen Strafantrag stellt (§ 230 Strafgesetzbuch). Ein solcher Strafantrag kann nicht unbegrenzt gestellt werden. Nach § 77b Strafgesetzbuch gilt: „Eine Tat, die nur auf Antrag verfolgbar ist, wird nicht verfolgt, wenn der Antragsberechtigte es unterlässt, den Antrag bis zum Ablauf einer Frist von drei Monaten zu stellen.“ Diese Drei-Monats-Frist beginnt mit der Kenntnis des Opfers von Tat und Person des Täters.

Die sogenannte „gefährliche“ Körperverletzung (nach § 224 Strafgesetzbuch) ist zwar kein solches Antragsdelikt. Es entspricht aber der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass eine Injektionsnadel in der Hand eines kundigen Arztes kein gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift ist.

Durch die Qualifikation der impfenden Ärzte als Amtsträger infolge der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 9. Oktober 2025 haben diese jedoch dann – ohne Antrags- und Fristenrestriktionen wie bei einer „einfachen“ Körperverletzung – eine sogenannte „Körperverletzung im Amt“ nach § 340 Strafgesetzbuch verwirklicht, wenn sie diese „während der Ausübung des Dienstes oder in Beziehung auf den Dienst“ begangen haben. Dieser Dienstbezug liegt nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 9. Oktober 2025 darin, dass die impfenden Ärzte „als Verwaltungshelfer bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben tätig“ wurden. Sie handelten – wie der Bundesgerichtshof wörtlich ausführt – „gleichsam als bloßes ‚Werkzeug‘ oder ‚Erfüllungsgehilfe‘ des Hoheitsträgers“.

Da die impfenden Ärzte nach § 1 Abs. 2 Satz 1 der Corona-Impfverordnung auch zur „Aufklärung und Impfberatung der zu impfenden“ Personen verpflichtet waren, wie der Bundesgerichtshof am 9. Oktober 2025 klarstellt, fiel in ihren Aufgabenkreis, die zu impfenden Personen nach Maßgabe des § 630e Bürgerliches Gesetzbuch über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie aufzuklären. Zu einer ordnungsgerechten Aufklärung in diesem Sinne gehört daher – wie der seinerzeitige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jüngst am 15. Dezember 2025 vielbeachtet gegenüber der Enquete-Kommission des Bundestages klargestellt hat – einen Drittschutz nicht bot. Zu der ärztlichen Aufklärung gehört nach dem Gesetz „auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können“. Findet eine solche Aufklärung nicht ordnungsgemäß statt, ist auch eine protokollierte Einwilligung rechtlich unwirksam (§ 630d Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Selbst ein indizierter und sogar ein fachgerecht ausgeführter Heileingriff sind somit eine tatbestandliche Körperverletzung.

In der anwaltlichen Praxis hat sich in jüngerer Vergangenheit wiederholt gezeigt, dass die Betreiber sogenannter „Impfzentren“ zur Aufklärung und Belehrung ihrer „Impfgäste“ Formulare verwendet haben. Abgesehen davon, dass derartige Unterlagen eine Aufklärung nicht ersetzen, sondern nach dem Gesetz alleine „ergänzend“ in Bezug genommen werden dürfen, blieben viele Unterschriften impfender Ärzte auf diesen Formularbögen schlicht unleserlich. Die Betreiber von Impfzentren zeigen sich in der Korrespondenz mit den Anwälten Geschädigter nicht bereit, die Namen dieser impfenden Ärzte offenzulegen – aus datenschutzrechtlichen Gründen.

In diesem Zusammenhang entfaltet die Qualifikation einer Körperschaden stiftenden Verletzung im Amt nach § 340 Strafgesetzbuch eine zentrale Bedeutung. Die Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde ist nämlich verpflichtet, „wegen aller verfolgbaren Taten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen“ (§ 152 Abs. 2 Strafprozessordnung). Bieten die daraufhin eingeleiteten Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung einer öffentlichen Anklage, hat die Staatsanwaltschaft Anklage bei dem zuständigen Gericht zu erheben (§ 170 Abs. 1 Strafprozessordnung). In seiner diesbezüglichen Entscheidung ist ein Staatsanwalt auch nicht frei. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen steht er selbst in der Gefahr, sich strafbar zu machen, ermittelt er nicht oder erhebt er bei Vorliegen der gegebenen Voraussetzungen nicht Anklage (Bundesgerichtshof 4 StR 274/16 vom 14. September 2017).

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungs- und Eingriffsbefugnisse helfen – zuletzt über Beiziehung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte durch einen Geschädigten – bei der Suche nach dem tatsächlich tätig gewordenen impfenden Arzt. Hat ein Geschädigter bereits Zivilklage auf Schadensersatzleistungen (beispielsweise gegen den impfenden Arzt) erhoben, kann er nach Einschaltung der Staatsanwaltschaft zu der Sache im Schadensersatzprozess ein Gesuch an das Zivilgericht anbringen, das Schadensersatzverfahren auszusetzen bis zur Erledigung des Strafverfahrens (§ 149 Zivilprozessordnung). Häufig finden sich in Ermittlungsakten dann Hinweise darauf, wer als Gesamtschuldner ergänzend in Haftung genommen werden kann. Die Ermittlung beteiligter Personen ist zwar für denjenigen nicht primär von Interesse, der bereits Klage gegen einen ihm bekannten Arzt nach Körperverletzung und Impfschaden erhoben hat. Wer indes in Unkenntnis der Verantwortlichkeit bestimmter Personen gelassen ist, kann mit Hilfe der Staatsanwaltschaft auf diese Weise den Weg zu einem Schadensersatzverpflichteten finden.

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. Oktober 2025 an keiner Stelle spezifiziert, ob der haftende Staat im Sinne seiner Rechtserkenntnis die Bundesrepublik Deutschland sei oder das Bundesland, in dem ein Geschädigter geimpft wurde. Im Hinblick auf die Organisationsstruktur des Infektionsschutzgesetzes und die durch Bundesverordnung organisierten Verteilungsmechanismen spricht indes vieles dafür, das örtlich zuständige Bundesland für passivlegitimiert zu halten. Denn nach Art. 83 des Grundgesetzes gilt, dass Länder Bundesgesetze „als eigene Angelegenheit“ ausführen. Etwas anders gilt nur dann, wenn das Grundgesetz etwas anderes bestimmt oder zulässt. Für eine solche Bestimmung oder Zulassung finden sich im Grundgesetz keine Regelungen.

In Anbetracht der Unsicherheiten zur sogenannten „Passivlegitimation“ des in Anspruch genommenen Staates sollte die eingangs erwähnte Debatte um eine (auch) persönliche Mitverantwortung des impfenden Arztes selbst nicht vorschnell als beendet angesehen werden. Vieles – wenn nicht alles – spricht nämlich dafür, dass jeder impfende Arzt unbeschadet der Ausnahmerechtsprechung des Bundesgerichtshofes vom 9. Oktober 2025 hinsichtlich des Corona-Virus im Falle einer mangelhaften Aufklärung vor Injektion und mithin fehlender Einwilligung aus einem anderen Rechtsgrund persönlich verpflichtet sein kann, impfkausal entstandene Schäden zu ersetzen.

Da dieser Gedanke juristisch nicht auf den ersten Blick erkennbar sein mag, bietet sich an, zunächst noch einmal einen Schritt zurückzugehen. Gäbe es die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 9. Oktober 2025 nicht, bestünde im Kern für jedes ärztliche Impfgeschehen eine simple Zweier-Beziehung: Impfender Arzt und Patient träten sich als zwei Personen gegenüber und vollzögen ein Behandlungsgeschäft. Indem der Bundesgerichtshof den impfenden Arzt aber zum „Verwaltungshelfer“ umdefiniert hat, wird aus der ursprünglichen Zweier-Beziehung eine Dreier-Beziehung: Beteiligt sind nun Arzt, Patient und Staat. Haftungsrechtlich wird hier – wegen der Schadensersatzverpflichtung des Staates gegenüber dem Patienten – eine Zweier-Beziehung zwischen Patient und Staat etabliert. In der Folge dieser rechtlichen Sichtweise mutiert der Arzt also zum „Dritten“. Er steht neben der zweiseitigen Haftungsbeziehung zwischen Patient und Staat.

Ein solcher „Dritter“ ist aber durch sein Heraustreten aus der haftungsrechtlichen Zweier-Beziehung nicht bereits selbst endgültig aus jeder Haftungsverantwortung für das geregelte Lebensverhältnis entlassen. Im Gegenteil. Ein „Schuldverhältnis“ zwischen zwei Personen im Sinne der Grundnorm des § 241 Bürgerliches Gesetzbuch kann auch zu einem solchen Dritten entstehen, „wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst“. Diesen Fall regelt § 311 Abs. 3 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch.

Die Rechtsprechung hat – in Anknüpfung an Judikatur, die schon vor Abfassung der aktuell gültigen Gesetzesfassung des § 311 Bürgerliches Gesetzbuch ergangen war – die Rechtsfigur des sogenannten „Sachwalters“ und seiner Haftung entwickelt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in einem Urteil vom 7. September 2017 (I-16 U 33/17) zu § 311 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch und der dort genannten „Eigenhaftung Dritter“ erklärt: „Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsabschluss erheblich beeinflusst.“

Nach dieser Vorschrift könne daher ein „Sachwalter auch persönlich wegen Verschuldens bei Vertragsschluss in Anspruch genommen werden, wenn er die Verhandlungen oder den Vertragsschluss in unmittelbarem eigenem wirtschaftlichem Interesse herbeigeführt oder dadurch, dass er ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat, erheblich beeinflusst hat“.

Entscheidend für die Einschlägigkeit der Sachwalterhaftung als Eigenhaftung des Arztes als Drittem ist tatbestandlich, dass die Norm Vertragsverhandlungen oder einen Vertragsabschluss nicht abschließend nennt, sondern lediglich als sogenannte Regelfallbeispiele der Sachwalterhaftung. Dies ergibt sich aus dem juristischen Signalwort des dort tatbestandlichen „insbesondere“. Auch wenn man also – mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vom 9. Oktober 2025 – die „Corona-Impfung“ nicht als ein vertragsrechtliches Rechtsgeschäft zwischen Arzt und Patienten einordnet, sondern als einen Hoheitsakt eigener Art, so bleibt dennoch Raum zur Anwendung der Sachwalterhaftung des impfenden Arztes persönlich.

In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes wird für diese Sachwalterhaftung darauf abgestellt, ob der Dritte mit seinen Erklärungen eine Art „selbständiges Garantieversprechen“ in die Abläufe hineingegeben hat (8 AzR 2020/10 vom 18. August 2011). Vor allem ist hier auch ein eigenes, persönliches wirtschaftliches Interesse des Sachwalters an dem Hauptgeschäft bedeutsam. Dieses unmittelbar eigene wirtschaftliche Interesse wird von dem Bundesgerichtshof am 9. Oktober 2025 dadurch bestätigt, dass die Erfüllung an Teilnahmeverpflichtungen zur Impfsurveillance als Voraussetzung zur Vergütung der ärztlichen Leistungen beschrieben wird. Hierin lag das unmittelbar eigene ärztliche Interesse an dem „Geschäft“ der Impfung.

Besonders erkenntnisleitend zur Rechtsfindung im Zusammenhang mit dieser Sachwalterhaftung ist eine detaillierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart, die sich mit der Verantwortlichkeit eines Wirtschaftsprüfers auseinandersetzt, der in ein Kapitalanlagesystem eingebunden war. In dieser Entscheidung vom 30. Oktober 2020 (12 U 42/19) legt das dortige Gericht dar: In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass die berufliche Stellung bedeutsam dafür sein kann, ob ein Sachwalter Personen gegenüber, zu denen er keine unmittelbaren eigenen vertraglichen Beziehungen unterhält, nach den Grundsätzen der quasi-vertraglichen Haftung einzustehen hat. Personen, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügen und in dieser Eigenschaft handeln, können aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (Patienten) auch persönlich haften, wenn ein anderer (vorliegend der auftraggebende Staat) von ihrer Mitwirkungshandlung zielgerichtet Gebrauch macht. Personen, die aufgrund ihrer besonderen beruflichen Stellung oder auch aufgrund ihrer Fachkunde eine Garantenstellung einnehmen (besonders Angehörige ver-kammerter Berufe, wie Steuerberater oder – in entsprechender Anwendung – Ärzte), können also persönlich schadensersatzpflichtig sein, wenn sie durch ihr nach außen in Erscheinung tretendes Mitwirken an einem Gesamtkonstrukt Vertrauenstatbestände geschaffen oder aufrechterhalten haben.

Was in der zitierten Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart die Einbindung von Wirtschaftsprüfern in ein Kapitalanlagesystem war, entspricht der Einbindung impfender Ärzte in das Corona-Schutzkonzept des Staates. In diesem arbeitsteiligen System haben sie sich als Kontrollorgan – auch zu Aufklärungs- und Beratungszwecken – einbinden lassen und aufgrund des ihnen als Ärzten entgegengebrachten Vertrauens Einfluss auf die Mitwirkungshandlungen (Einwilligungen) der Patienten zur Injektion genommen.

Ärzte genießen aufgrund ihrer staatlich anerkannten Sachkunde (Staatsexamina und Approbation) in der Öffentlichkeit besonderes Vertrauen. Sie haben ihren Beruf – ebenso wie ein Wirtschaftsprüfer – unabhängig, gewissenhaft, verschwiegen und eigenverantwortlich auszuüben und keine fremden Interessen zu verfolgen. Ist ein Arzt in ein derartiges System so eingebunden, dass dessen Sicherheit von der Richtigkeit der Prüfung des Arztes abhängt, dann wird hierdurch für Außenstehende der Eindruck besonderer Zuverlässigkeit des Systems insgesamt geschaffen und für Patienten eine zusätzliche, wenn nicht gar die ausschlaggebende Gewähr für die Richtigkeit der gemachten Angaben und aller Abläufe gegeben.

Schaffen Ärzte einen solchen besonderen Vertrauenstatbestand dadurch, dass sie in Kenntnis der Angaben in einer Leistungsanpreisung Umstände testieren, mit denen sie unter Bezug auf ihre eigene Tätigkeit bestätigen, der Ablauf sei zusagegerecht abgewickelt und ordnungsgemäß nachgewiesen, dann kann das von Dritten (Patienten) nur dahin verstanden werden, der Ablauf sei gerade wegen der sachkundigen Kontrolle des Arztes besonders zuverlässig und enthalte nur ein geringes, vernachlässigenswertes Risiko. In dieser Auffassung müssten sich Dritte insbesondere dadurch bestärkt sehen, wenn die Abläufe durch unabhängige, namhafte Stellen durchgeführt und sichergestellt werden und eine lückenlose Kontrolle gewährleistet sei.

Warum diese in sich schlüssige und stimmige Argumentation des Oberlandesgerichts Stuttgart betreffend Wirtschaftsprüfer nicht entsprechend auch für impfende Ärzte gelten sollte, erschließt sich nicht. Im Gegenteil. Was für den Schutz von Vermögen gilt, muss für den Schutz von Leben, Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit erst recht gelten.

Ein pflichtwidrig handelnder impfender Arzt kann sich im Übrigen – unbeschadet seiner Einbindung in ein staatliches Impfszenario – nicht dadurch entlasten, dass er durch eine „starke Einschränkung seiner Entscheidungsspielräume“ (wie der Bundesgerichtshof am 9. Oktober 2025 ausführt) an einer unbeschränkten Wahrnehmung seiner ärztlichen Pflichten gehindert gewesen wäre. Nach § 2 Abs. 4 der Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte ist Ärzten verboten, hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen „Weisungen von Nichtärzten entgegenzunehmen“. Ein gesetzlicher Verordnungsgeber und/oder ein tonangebendes Robert-Koch-Institut kann kein Arzt in diesem Sinne sein. Der Gesetzgeber ist Nichtarzt im Sinne des Berufsrechtes. Nach § 18 Abs. 2 dieser Berufsordnung steht die Einbeziehung in den Kontext eines Impfzentrums der eigenverantwortlichen und medizinisch unabhängigen Tätigkeit aller impfenden Ärzte nicht entgegen, da sie auch im Zusammenwirken mit anderen durchgängig gewährleistet sein muss.

Mit § 23 Abs. 1 der Berufsordnung ist sichergestellt, dass die Regeln der Berufsordnung explizit auch für Ärzte gelten, die ihre Tätigkeit im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses ausüben. Selbst wenn in einem Impfzentrum für Patienten durch Aushänge oder sonstige Werbemaßnahmen ein unbotmäßiger „Impfdruck“ zur psychologischen Motivation der Patienten ausgeübt worden wäre, würde dies den Pflichtenkreis der impfenden Ärzte nicht reduzieren. Denn eine solche Werbung darf von Ärzten weder veranlasst noch geduldet werden (§ 27 Abs. 3 der Berufsordnung).

Wenn sich ein impfender Arzt, der einen Patienten unzulänglich über die Bedeutung einer Corona-Impfung aufgeklärt hatte, darauf beruft, der Patient habe die Therapie „unbedingt“ gewollt, da dies Konsequenz der allgemeinen Stimmungslage gewesen sei, wäre diese Berufung nach der genannten berufsrechtlichen Regel rechtlich unbeachtlich. Zeitnot oder Arbeitsüberlastung eines Arztes reduzieren nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes den erforderlichen Pflichtenkreis impfender Ärzte nicht. In einem Urteil vom 15. Februar 1990 hatte der Bundesgerichtshof bereits durch seinen Dritten Zivilsenat (3 ZR 100/88) ausgeführt: „Der Hinweis der Revision auf die im Rahmen der ‚Massenmedizin‘ nur eingeschränkt bestehende praktische Möglichkeit einer Einzeluntersuchung und -aufklärung geht fehl. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsirrtum ausgeführt, dass die Impfärztin weder von einer umfassenden vorherigen Aufklärung der Eltern durch die Kinderärztin der Klägerin ausgehen, noch sonst eine ausreichende Unterrichtung der Eltern über die Risiken einer Keuchhustenimpfung annehmen durfte. Die auf der Rückseite des Impfanmeldeformulars abgedruckten allgemeinen Hinweise genügen nicht. Sie besagten über die Frage, ob eine Keuchhustenimpfung gerade bei der Klägerin angezeigt war, nichts und bezogen sich … auch nicht auf die mit einer Keuchhustenimpfung verbundene besondere Gefahr einer schweren Schädigung. Eine Prüfung der Impfindikation und eine Aufklärung der Mutter der Klägerin durch die Impfärztin waren deshalb, wie das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum angenommen hat, unumgänglich“.

Mit guten Gründen hat derselbe Dritte Staatshaftungssenat des Bundesgerichtshofes in anderem Kontext am 5. Oktober 1989 im Übrigen (III ZR 66/88) darauf hingewiesen, dass behördliche Risikoeinschätzungen nicht hinreichen, wenn sie sich nur auf einen einjährigen Vergleichszeitraum beziehen. Für eine ordnungsgerechte (und hinreichende) Risikobewertung bedarf es nach dieser Rechtsprechung Zeitintervalle in Erwägung zu ziehen, die drei, fünf, zehn oder gar fünfzig Jahre betreffen. Eine Risikoaufklärung für experimentelle, bedingt zugelassene, neuartige Arzneimittel nur auf Basis mehrwöchiger oder mehrmonatiger Erfahrung ist daher unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unzureichend.

Gesamthaft ist daher festzuhalten: Auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 9. Oktober 2025 zur Staatshaftung für impfende Ärzte versperrt geschädigten Patienten nicht die Möglichkeit, eine persönliche Haftung impfender Ärzte gerichtlich prüfen zu lassen. Pflichtgemäß ermittelnde Staatsanwaltschaften eröffnen tragfähige Wege, nötige Sachverhaltselemente in Erfahrung bringen zu können.


Artikel bewerten

Artikel teilen

Anzeigen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv Abonnenten der Zeitschrift „eigentümlich frei“ zur Verfügung.

Wenn Sie Abonnent sind und bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, nutzen Sie bitte das Registrierungsformular für Abonnenten.

Mit einem ef-Abonnement erhalten Sie zehn Mal im Jahr eine Zeitschrift (print und/oder elektronisch), die anders ist als andere. Dazu können Sie dann auch viele andere exklusive Inhalte lesen und kommentieren.

drucken

Dossier: Coronavirus

Mehr von Carlos A. Gebauer

Über Carlos A. Gebauer

Anzeige

ef-Einkaufspartner

Unterstützen Sie ef-online, indem Sie Ihren Amazon-Einkauf durch einen Klick auf diesen Link starten, Das kostet Sie nichts zusätzlich und hilft uns beim weiteren Ausbau des Angebots.

Anzeige