18. Mai 2025

Klassiker der fotorealistischen Malerei Tom Blackwell

In jeder Hinsicht glänzende Gemälde

von David Andres

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Bildquelle: Screenshot (tomblackwell.com) Screenshot (tomblackwell.com)

Eine wuchtige, schwarze Harley-Davidson steht im klaren Licht des späten Nachmittags. Die glänzenden Chromflächen des Motors, des Lenkers und der Lichter reflektieren die Umgebung, während man das Leder des Sattels und der abgerundeten, mit Nieten versehenen Seitentasche am liebsten anfassen möchte. Weil man es im wahrsten Sinne des Wortes wieder „nicht fassen“ kann, wie ein hyperrealistischer Maler es hinbekommt, mit Öl auf Leinwand ein Bild zu erzeugen, das der Geist ganz sicher für ein Foto hält. Es muss doch eines sein, mit dem weißen Pick-up dahinter, in dessen abgedunkelter Scheibe hinter dem Fahrersitz sich die Silhouette des Waldes spiegelt, während man durch das Cockpit und die halb geöffnete Scheibe am Beifahrersitz weitere wuschige Baumspitzen sehen kann. 

Ein Erweckungserlebnis bezüglich seiner Berufung erlebte der 1938 in Chicago, Illinois geborene Tom Blackwell als Elfjähriger – ausgerechnet bei einer Ausstellung zu Van Gogh. Nach seiner Zeit bei der Navy betätigte er sich in der Kunstszene von Laguna Beach zunächst als abstrakter Expressionist, bevor er für kurze Zeit das tat, was einem Künstler immer Rückenwind bringen kann, damals aber tatsächlich noch nicht vom Staat selbst mit Fördergeldern gedeckelt war – er rebellierte. Im angesagten Pop-Art-Stil. Gegen den Vietnamkrieg. Doch seine große Liebe, so sollte es sich schnell herausstellen, war dies nicht. Schon Ende der 60er Jahre wandte er sich dem Fotorealismus zu und innerhalb diesem den Motorrädern, den Autos, später auch den Flugzeugen. Das eingangs beschriebene Gemälde „Black Harley, Late Afternoon“ stammt aus dem Jahre 2001, dessen Ereignisse Blackwells Heimat nachhaltig erschütterte. Doch was könnte mehr die amerikanische Leit- und Lebenskultur verkörpern als eine solche Maschine vor einem Pick-up in sonnigem, fast grellem Ausflugslicht? 

Blackwells Darstellungen von Fahrzeugen schreien nicht. Sie summen. Sie zischen. Womöglich zirpen sogar die Grillen. Die Fahrt wurde entweder vor geraumer Zeit beendet oder steht noch bevor. Obgleich die Motive zunächst nach Adrenalin, Geschwindigkeit und Action aussehen, zeigen sie keine oder eher nur geruhsame Bewegung. Alles steht oder wartet. Der Reiz liegt im Moment „davor“. In der Oberfläche des Seins. In der Spiegelung einer Stadt auf einem Motorradtank. 

Oder in einem Schaufenster. „Martina’s Porsche“ von 2007 zeigt seinen Hauptdarsteller – ein quietschgelbes Modell – als Spiegelung in einem Schaufenster, vor dem ein Mann steht, der bereits eine ganz ähnliche Jacke trägt wie die Puppen hinter dem blitzsauberen Glas. Hier treffen sich Blackwells frühere Motive mit seinen jüngeren, da er sich später immer mehr von Schaufenstern fasziniert zeigte. „Linda at Waterside Shops, Naples, FLA“ aus dem Jahre 2013 präsentiert uns gar kein Auto mehr, sondern faszinierende Spiegelungen sowie eine junge Frau in weißer Bluse und wehender Handtasche, die im Sonnenlicht des Nachmittags vorbeieilt. Wer hier allerdings genau hinschaut, findet vor allem die Scheinwerfer im oberen Bereich, die die Auslage beleuchten, nicht mehr so fotorealistisch vor, wie der Betrachter es noch bei der Harley und ihren vielen Kollegen erlebte. Ganz ähnlich auch bei „Gap Outlet, Waterside Shops, Naples, FL“ von 2004, wo der mittlere Bereich – das Schaufenster selbst – so fotorealistisch wirkt, dass man den Fensterputzern gratulieren möchte, sich die oberen und unteren Bereiche aber wieder der klassischen Malerei annähern. 

Womöglich ist das der entscheidende Aspekt, der den 2020 offiziell „an den Folgen von Covid-19“ verstorbenen Blackwell von anderen Foto- oder Hyperrealisten unterscheidet – er hat seine frühe Prägung nie ganz vergessen. Sicher, ein „Screamin’ Eagle Harley, Naples, FL“ von 2015 ist vor allem im vorderen Bereich der Bremsscheiben, der Lenkerverkleidung oder des Scheinwerfers der Präzisionswahnsinn. Eine „Naples Custom Chopper“ von 2009 wiederum oder ein „Ferrariworld, Fall“ von 2006 mit seiner in der Tat herbstlichen Melancholie abseits einer unbefahrenen Rennstrecke hat wieder mehr von klassischer Malerei, die auch als solche erkannt werden möchte. Vollständig erlebt man diese Richtung bei ihm in Werken wie den alles andere als hyperrealistischen Schaufenstermotiven „Fistful of Dollars, Bloomingdale’s“ oder „Kiss Kiss (Self-Portrait)“, das eine von 1989 und das andere von 2014. „Lunch, Piazza Navona, Rome“ von 2019 ist schon fast Impressionismus, der Monet unter den Blackwells. 

Obschon also eine prägende Figur des Fotorealismus, blieb Blackwell immer der Freigeist, der er bereits als „Schlüsselkind“ sozusagen notgedrungen wurde. Weil es „damals so etwas wie Tagesbetreuung nicht gab“, wie er in einem seiner wenigen Interviews mit Judith Richards für die „Archives of American Art“ des Smithsonian erzählt, schickten ihn seine Eltern auf die Foulkes School – eine private Institution, vergleichbar dem, „was heute Montessori“ wäre. Zur Highschool-Zeit hatte er dann schließlich eine prägende Begegnung, die die Grundlagen für sein gleichzeitiges Interesse am Fotorealistischen und  am Klassischen legte. Er besuchte den berühmten Fotografen Ansel Adams im Yosemite Valley, der ihm nicht nur vernünftige Wasserfarben und Pinsel verkaufte, auf dass der junge Tom die Wasserfälle malen konnte, sondern sich selber als bildender Künstler entpuppte. „Eines Tages sagte er“, erzählt Blackwell, „,komm, ich will dir was zeigen‘. Er nahm mich mit nach hinten und sagte: ,Weißt du, ich war Maler, bevor ich Fotograf wurde.‘ Er zeigte mir einige seiner Gemälde. Sie waren ziemlich gut. Ich meine, sie waren, Sie wissen schon, von der Art, wie Gemälde des 19. Jahrhunderts aussehen, klassische Motive und glänzend, aber sehr gelungene Malerei. Ich war sehr beeindruckt.“ 

Information

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 24. April erschienenen Mai-Ausgabe, eigentümlich frei Nr. 252.


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