18. Mai 2025
Bürgerlicher Anarchismus: Kernaufgaben des Staates?
Vermutlich nur ein verhängnisvoller Übersetzungsfehler ...
von David Dürr

In Argentinien keimt Hoffnung auf. Anarchokapitalisten, Anarcholibertäre und überhaupt Anarchisten wittern Morgenluft. André F. Lichtschlag kann es fast nicht glauben: „Kann mich mal jemand zwicken, bitte?“ Auch ich, bei eigentümlich frei seit immerhin acht Jahren für bürgerlichen Anarchismus zuständig, schaue begeistert über den Atlantik nach dem Silberland, das dank Javier Mileis Kettensäge dazu ansetzt, seinem Namen schon bald wieder alle Ehre zu machen.
Und so habe ich mit größtem Zuspruch im letzten Heft von eigentümlich frei die mitreißende Rede Mileis anlässlich der Röpke-Preisverleihung des Liberalen Instituts gelesen und nicht weniger zugeneigt seine schonungslose Abrechnung mit dem kollektivistischen Woke-Mainstream beim World Economic Forum 2025. Wie dämlich müssen wohl manche Zuhörer dort in Davos dreingeschaut haben.
Doch dann beim Lesen dieser Rede das: „Die Funktionen des Staates müssen wieder auf die Verteidigung der Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum beschränkt werden. Jede andere Funktion, die sich der Staat anmaßt, wird seine Kernaufgaben beeinträchtigen und unvermeidlich zum allgegenwärtigen Leviathan führen, unter dem wir heute alle leiden.“
Da muss ich etwas gelesen haben, das da nicht stand. Schon einige Male in letzter Zeit kam es mir bei schlechtem Licht vor, ich sollte lieber neue Brillengläser haben. Deshalb zwei Sätze zurück und nochmals bei besserem Licht; doch es las sich noch immer so. Von Milei konnte das aber nicht stammen. So etwas wie „Kernaufgaben“ des Staates gibt es bei ihm nicht und bei so wichtigen Freiheitsrechten wie denjenigen auf Leben und Eigentum erst recht nicht.
Wer setzt schon den Fuchs als Beschützer des Hühnerhofs ein? Wie kamen diese Sätze bloß in diesen Text des Anarchokapitalisten Milei?
Bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel: ein Übersetzungsfehler! Das Original war ja auf Spanisch und wurde in Davos von Milei rasend schnell vorgelesen. Da können, ja müssen sich Übersetzungsfehler eingeschlichen haben. Und sind auch nur wenige Wörter davon betroffen, kann dies zuweilen den Sinn einer Aussage komplett entstellen. Genau dies muss hier passiert sein. Denn die nähere Analyse zeigt, dass nur ganz wenige Wörter (hier nachstehend kursiv gesetzt) zu korrigieren sind, und schon haben wir das, was Milei ohne jeden Zweifel in Davos gesagt hat: „Die Funktionen des Staates müssen auch bei der Verteidigung der Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum beseitigt werden. Wie jede andere Funktion, die sich der Staat anmaßt, wird er auch seine ‚Kernaufgaben‘ beeinträchtigen und unvermeidlich zum allgegenwärtigen Leviathan führen, unter dem wir heute alle leiden.“
Das erklärt auch, weshalb damals in Davos nicht nur hartgesottene Etatisten, sondern auch klassisch liberale Minimalstaatler etwas betreten dreingeschaut haben. Denn bei diesen beiden Sätzen von Milei muss ihnen bewusst geworden sein, dass ein Minimalstaat niemals minimal bleibt und auch bei ihm nichts anderes taugt als die bewährte Milei’sche Kettensäge.
Information
Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 24. April erschienenen Mai-Ausgabe, eigentümlich frei Nr. 252.
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