18. April 2025
Die Bibelgeschichte zum Karfreitag: Die Verleugnung
Niemand ist perfekt
von Joachim Kuhnle

Wer zu den zwölf Aposteln gehört, darf sich zur Kernelite im Umfeld von Jesus Christus, also quasi Gott selbst, zählen. Die Jünger wurden alle einzeln vom Heiland persönlich auserwählt und begleiten den großartigen Wanderprediger rund um die Uhr. Doch auch unter diesen Top-Leuten gibt es nochmals eine Art inoffizieller Hierarchie. Simeon (Schim’on) gilt als der Kopf der zwölf Apostel, er ist allgemein anerkannt als wichtigster Mann in der Gefolgschaft Jesu. Dieser gibt Simeon bald den Spitznamen Kefa, was mit „Stein“ übersetzt werden kann. In der griechischen Bibel wurde das mit „Pétros“ übersetzt, lateinisch „Petrus“, zu Deutsch „Fels“. Auf diesen Felsen sollte die christliche Kirche einmal gebaut werden, heißt es. Warum genießt Simeon ein solches Ansehen? Der Grund ist natürlich seine außergewöhnliche Persönlichkeit, sein Charisma. Sein Glaube gilt als unerschütterlich, seine Treue zu Jesus als vorbildlich.
In Jerusalem, der Endstation des phantastischen Wirkens Jesu, wird es für alle Beteiligten brenzlig. Die Gegner des beliebten Predigers, angeführt von weniger populären Geistlichen, wollen aufs Ganze gehen, sie wollen Blut sehen. Nicht nur Jesus, sondern auch seine Jünger sind in Lebensgefahr. Wer ist in der Lage, sich in einer derart kniffligen Situation noch zum Guten zu bekennen? Wer hat so viel Eier in der Hose? Wer, wenn nicht Simeon? Er ist sich seiner Sonderstellung durchaus bewusst. Als Jesu Gefangennahme bevorsteht, beteuert Simeon noch einmal seinen Treueschwur: „Selbst wenn alle an dir Anstoß nehmen, ich nicht. Ich werde immer zu dir halten.“ Jesus’ Antwort ist überraschend und schockierend zugleich: „Noch heute Nacht, noch ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Empört und energisch widerspricht Simeon: „Und wenn ich mit dir sterben müsste, ich werde dich niemals verleugnen.“
Theoretisch ist Simeons Haltung selbstverständlich. Doch praktisch hat auch der stärkste Charakter schwache Momente. Simeon will sich in der klirrend kalten Nacht nur kurz an einem Feuer vor einem Haus aufwärmen, als eine Magd des Hohenpriesters (des Anklägers gegen Jesus) Simeon als Jesus-Jünger enttarnt: „Du warst doch mit diesem Jesus zusammen!“ Simeon sagt erschrocken, „Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, und verlässt hastig den Platz. Doch die Magd lässt nicht locker, verfolgt ihn und verpetzt Simeon bei weiteren Männern, die sich in der Nähe aufhalten. Simeon leugnet erneut und als die Männer der Magd beipflichten und anmerken, dass Simeon genau wie Jesus Galiläer sei, schimpft Simeon lautstark und schwört, diesen Jesus nicht zu kennen. Gleich darauf kräht der Hahn zweimal. Simeon weint, er hat versagt.
Man kann die Geschichte so deuten, dass Jesus wie gewohnt seine Zauberkräfte hat spielen lassen, und dagegen kann man schließlich nichts machen, auch nicht, wenn man Petrus ist. Wie dem auch sei, das Ganze ist eine sehr lehrreiche Lektion. Es gibt ein perfektes Ideal, aber kein Mensch kann dieses Ideal zu 100 Prozent erreichen. Die schwachen Momente, die Sünden, gehören zu jedem Menschen. Hochmut kommt vor dem Fall. Ein wenig Demut steht jedem gut. Die Vergebung ist ein zentrales Element der christlichen Philosophie. Jeder Mensch ist darauf angewiesen und jeder Mensch sollte prinzipiell zur Vergebung gegenüber anderen bereit sein.
Mit der im Jahr 2025 bereits fortgeschrittenen Gottlosigkeit geraten solche lehrreichen Bibelgeschichten leider in Vergessenheit. Es wird nicht mehr differenziert, Menschen werden eingeteilt in Gut und Böse, die Gesellschaft spaltet sich zunehmend. Sogar ein neuer Weltkrieg wird nicht ausgeschlossen. Jesus ist für alle Sünden gestorben und die Hoffnung basiert auf künftigen guten Momenten – von wem auch immer.
Allen Lesern einen besinnlichen Karfreitag.
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