25. Februar 2025
Bundestagswahl: Der Verlierer heißt Deutschland
Eine ungeschönte Analyse
von Jan Mehring

Was die meisten Leser interessieren dürfte: Was bedeutet das Ergebnis für Rang und Möglichkeiten der AfD? Einerseits ist es nicht gelungen, die symbolisch-psychologisch wichtige absolute 25-Prozent-Zweitstimmenmarke zu knacken („Jeder vierte Wähler“). Selbiges gilt andererseits für die parlamentarische 25-Prozent-Mandatemarke, deren Erreichen der AfD mehr parlamentarisch-juristische Instrumente an die Hand gegeben hätte, um noch bissigere, medial schwieriger zu ignorierende Oppositionsarbeit zu leisten. Rang und Vorrechte als Oppositionsführerin sind begrüßenswert, doch ohne besagte Zusatzinstrumente kaum hinreichend für echten Druck auf die kommende Bundesregierung.
Mundgerecht filetiert
Pikant ist, dass es gelungen ist, den Sweet Spot innerhalb eines relativ engen parlamentsarithmetischen Korridors mit Blick auf die Anzahl der jeweiligen Fraktionsmandate zu treffen. Einerseits hat der Rausflug von FDP und BSW eine schwarz-rote Sitzmehrheit ermöglicht (mindestens 316 Sitze benötigt, 328 Sitze erreicht), doch der AfD nicht zur besagten 25-Prozent-Mandatemarke oder darüber hinaus verholfen (mindestens 158 Sitze benötigt, 152 erreicht). Immerhin: Der Gang zur AfD ist wie eine Sperrklinke – wer einmal dort ist, bleibt in der Regel dort.
Dennoch findet die voraussichtliche Regierung Merz zusammengenommen eine doppelt komfortable Situation vor: eine zwar quantitativ deutlich, aber qualitativ kaum besser bewaffnete AfD und zugleich, der äußerlich wie innerlich hässlichen Sandwich-Konstellation zwischen Rot einerseits und Grün andererseits entkommen zu sein. Dass Merz und dessen Union von diesem Rettungssprung in eine weitere „Große“ Koalition Gebrauch machen werden, ist äußerst wahrscheinlich – und rechnerisch ohnehin problemlos möglich. Insofern birgt mein hiermit eingeräumter wahrscheinlicher Irrtum, eine weitere grüne Bundesregierung zu sehen, eine frohe Botschaft: Einen neuen und alten Wirtschaftsminister oder auch – siehe Gerüchteküche – Finanzminister Habeck dürfte es nicht geben. Gleichwohl, und das ist die kehrseitige bittere Botschaft, sinkt mit einer schwarz-roten Regierung die Chance auf einen weiteren vorzeitigen Koalitionsbruch, auf den die AfD und ein schwer vernarbtes Deutschland bis vor der Wahl noch mit nicht zu vernachlässigender Wahrscheinlichkeit spekulieren konnten.
Ein weiterer Sweet-Spot-Treffer ist auch mit Blick auf FDP und BSW gelungen. Einerseits konnte man mit dem Rausflug von vornherein ausschließen, dass einzelne Pragmatiker sich im Laufe der Zeit bei weiterer Normalisierung und Gewöhnung der beziehungsweise an die AfD zur Einzelkooperationen mit dieser hinreißen lassen und ihr die fehlenden sechs Stimmen zur Erreichung der 158-Stimmen-Schwelle verleihen könnten. Stattdessen wurden beide Parteien gegen die ideologisch vernagelte und nicht im Geringsten kooperationsbereite Linkspartei eingetauscht.
Andererseits konnte der Aderlass der SPD in Richtung BSW aufgrund der anzunehmenden Verunsicherung vieler Wähler, dass ihre Stimme beim BSW verfallen könnte, vermutlich deutlich gebremst werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, der SPD angehört und das BSW unter allen gängigen demoskopischen Instituten mit Abstand am niedrigsten taxierte – so etwa einen Monat vor der Bundestagswahl bereits bei nur drei Prozent. Vom selben Verunsicherungseffekt konnte die SPD wohl auch bei der FDP profitieren, der einzigen Partei, von der ein Netto-Wählerzulauf erzielt werden konnte. Auf diese Weise konnte der erwartbare Rausflug von FDP und BSW, zusätzlich zur dadurch anderen Mandatsverteilung, Schwarz-Rot zur Mehrheit verhelfen.
Auch ein Schelm, wer in der nach den ostdeutschen Landtagswahlen massiv reduzierten Abbildung des BSW sowie in jüngst zugelassenen Publikumsattacken auf Grünen-Guru Habeck in diversen Talk-Runden (inklusive Moderatorin Hayali, die Habeck für „nahezu fehlerfreier Wahlkampf“-Befund auslachte) Kalkül sieht, um eine ebenfalls erfolgte Abwanderung von Rot zu Grün zu dämpfen. Zum Vergleich: Die SPD verlor lediglich circa 540.000 Wähler an Grüne und BSW, doch ganze circa 1,76 Millionen allein an die Union. Selbst die (medial sichtlich bevorzugte) Linkspartei konnte der SPD mit circa 560.000 Wählern circa 20.000 Wähler mehr abjagen als Grüne und BSW gemeinsam. Insofern ist eine gewisse mediale Einflussnahme contra BSW einerseits und Grüne andererseits (FDP sowieso absehbar raus), um der SPD Linderung zu verschaffen, nicht unplausibel.
In Alarmbereitschaft
Mit Blick auf die konkrete Regierungsbildung dürfte klar sein, dass höchstwahrscheinlich bereits im Voraus Verhandlungen und Absprachen zwischen Schwarz und Rot stattgefunden haben, als Rot Schwarz zur Mehrheit zu verhelfen und als Schwarz bzw. Persona Merz Rot im Gegenzug Ministerämter zuzuschachern.
Dass Pistorius Verteidigungsminister bleibt, ist sehr wahrscheinlich, während der personelle Rest bequemerweise kaum durch Abweichlertum vom Rüstungsduo Merz-Pistorius auffallen dürfte. Kurz: Das neue Kabinett wird sowohl mit Blick auf dessen Einzelmitglieder als auch auf deren parteipolitische Linie in diesem Kontext ein Kabinett der Eskalateure und Hasardeure.
Sollten sich die Gerüchte zum unfassbare 700 Milliarden Euro umfassenden neuen Ukraine-„Hilfspaket“ (was auch immer dieses bedeuten mag) bewahrheiten, werden weder die nicht minder kriegslüsternen Nato-Olivgrünen zu bremsen noch die kurzfristig zwangsbeatmete Linkspartei angesichts ihrer vernachlässigbaren Größe zu hör- und sichtbarem Widerstand fähig sein. Das unter anderem mit Sahra Wagenknecht durchaus wortgewichtige Persönlichkeiten beheimatende sowie Eskalationsrhetorik und -politik ablehnende BSW wird dem 21. Bundestag derweil ohnehin nicht angehören, während man mit Blick auf die AfD den Kurs vermutlich strikt fortsetzen wird, ihr bedingungslose Kreml-Hörigkeit vorzuwerfen – trotz guter US-Kontakte, die man kürzlich noch bejammerte. Merz und Linnemann äußerten sich schließlich in den allerletzten Talk-Runden mit derartiger, im Übrigen fast identischer und demnach höchstwahrscheinlich gezielt abgesprochener Rhetorik.
Nicht zuletzt ist nicht zu vernachlässigen, dass Blackrock als weltgrößter Vermögensverwalter und ehemaliger Arbeitgeber von Friedrich Merz sowohl im großen Stil an diversen vom Ukraine-Wiederaufbau profitierenden als auch an allen nennenswerten Rüstungsunternehmen beteiligt ist, die im Rahmen der 2022 wiederbelebten Rüstungskonjunktur aufs Neue erblühten. Im Zuge der wahrscheinlich korrekten Vermutung, dass man Merz aus Blackrock herausbekommt, doch Blackrock nicht aus Merz, ist wenig Verantwortungsvolles für Deutschland und Europa zu erwarten. Hoffen wir, dass laufende Verhandlungen zwischen der zweiten Trump-Regierung und der Regierung der Russischen Föderation diesen Brandherd abräumen können, bevor maßlos überschätzende Alt-Transatlantiker diesen wieder entfachen können.
Zum Ergebnis der Bundestagswahl bleibt abschließend nur zu sagen: Sieger ist das so obligatorische wie bleierne Weiter-So, Verlierer sind aller vorhandener Korrekturwille und unser schönes deutsches Vaterland.
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Kommentare
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