10. Januar 2025
Mediale Aufregung – Teil 2: Asymmetrische Kriegsführung hoch X
Musks Einmischung in den deutschen Wahlkampf
von Jan Mehring
Die Mainstream-Blase ist seit Wochen in Aufruhr – Zug um Zug schaltet sich Musk immer mehr in die allgemeine deutsche Politikdebatte ein und verleiht ihr jene erfrischende Lebendigkeit, die das Grundgesetz etwa mit den Grundsätzen der Meinungsfreiheit und des absoluten Zensurverbots ausdrücklich beabsichtigt, unter anderem von den „Altparteien“ etwa durch Streichung ganzer parlamentarischer Sitzungswochen allerdings regelrecht geschlachtet wird. Bezeichnend ist, dass all jene, die sich bezüglich Musks Debattenbeteiligung und -belebung dieser Tage beinahe im Stundentakt abfällig zu Wort melden und von „Einflussnahme“ sowie in Orwell’scher Umkehrung sogar von „Verfassungsfeindlichkeit“ sprechen, in anderen Zusammenhängen allerdings kein Problem darin sahen, ihren staatenübergreifenden Meinungssenf hinzuzugeben. Im letzten Artikel hatte ich dieses Phänomen bereits angerissen.
Man denke etwa an den monatelangen Dauerbeschuss, der während insgesamt dreier US-Präsidentschaftswahlkämpfe in Print und Netz auf uns alle niederging und sich problemlos auf die unwürdige simple Formel „Clinton beziehungsweise Biden beziehungsweise Harris statt Trump“ reduzieren lässt. Kaum ein Blatt ließ sich nicht vom Panic Train mitreißen, während Qualitätserzeugnisse wie „Spiegel“, „Stern“ und Co mit ihren Titelbildern und Schlagzeilen sogar an vorderster Front zentnerweise Kohle in dessen Kessel schaufelten: Trumps Kopf, der als flammender Meteorit auf die Erde zurast oder höchstpersönlich die Freiheitsstatue enthauptet, während Harris mit aufwendigen Fotomontagen und sanft gezeichneten Karikaturen als selbige dargestellt und mit Unterschriften wie „Die Erlöserin“ regelrecht glorifiziert wird – eine Medienlandschaft, so stramm auf Einheitslinie, wie man es sonst nur aus dystopischen Romanen kennt. Von ebendieser Doppelmoral, sich über etwas zu echauffieren, dessen man sich selbst kürzlich noch reichlich bedient hat (und weiter bedienen wird), möchte man nun allerdings natürlich nichts wissen und ignoriert darauf hinweisende Wortmeldungen im Netz so bockstur wie konsequent.
Dabei könnte die Interessenlage asymmetrischer kaum sein: Während den deutschen Mainstream lediglich kostenlose politische Sorge umtreibt, wortmächtige politische Fürsprecher und Verbündete jenseits des Atlantiks zu verlieren, ist Musk nachvollziehbarerweise durch handfeste unternehmerische Verantwortung auf eigene Rechnung motiviert, sich mit gutem Recht in Deutschlands Politikdebatte einzuschalten, die unmittelbar auf seine unternehmerischen Interessen rückwirkt. Keinem Unternehmer, der hier im großen Stil investiert und somit auf Jahre diverse Weichen gestellt hat, kann – Subventionen hin oder her – an einem regelrecht kollabierenden ökonomischen Umfeld wie jenem gelegen sein, in dem wir derzeit leben.
Insofern ist ebenso verständlich, dass Musk sich überdies für ein politischen Erstarken der Alternative für Deutschland einsetzt, die sich zwar weder für Subventionen oder sonstige staatliche Marktbeihilfe im Allgemeinen noch für E-Mobilität im Speziellen erwärmen, doch als einzige relevante politische Partei (wirtschafts-) programmatische Ansätze vorlegen kann, welche die deutsche ökonomische Integrität im Allgemeinen wiederherzustellen in der Lage ist. In diesem Sinne dürfte Musk also nicht nur in mikro-, sondern in makroökonomischen Zusammenhängen denken, während viele nun aufschreiende Persönlichkeiten zu Lebzeiten nicht einmal ein auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtetes Privatunternehmen von innen gesehen haben.
Ein Gewehr gegen tausend Knüppel
Ebenso asymmetrisch wie die Interessen stellt sich auch das Instrumentarium dar, mit dem dieser Meinungskrieg ausgefochten wird: Musk muss lediglich einen simplen, in 30 Sekunden zwischen Tür und Angel eingetippten Post auf X zum Nulltarif absetzen, während der infolgedessen kollektiv schäumende deutsche Mainstream ganze Kübel von dem zusammenkratzen muss, was er aufzubieten hat. Dutzende Blätter und Portale, Hunderte Schreiberlinge, Tausende Accounts samt Troll-Armeen, Spontan-Interviews mit allerlei „schockierten“ Politikern aus der ersten Reihe, Kolumnen in Tagesschau und Tagesthemen – eine ziemlich mittel- und kostenintensive, kaum dauerhaft durchzuhaltende Art der quantitativ asymmetrischen Kriegsführung, in der Musk den längeren Atem behalten dürfte. Wie viel diesem entgegengeworfen muss, um der eigenen Gegenrede auch nur annähernd dasselbe Gewicht zu verleihen, dürfte für Verzweiflung an den Redaktionstastaturen sorgen. Dass Musk sogar Einzelpersonen wie Scholz, Habeck oder Steinmeier höchstpersönlich kritisiert in Zeiten, in denen ebensolche unsere Justiz für private Feldzüge gegen tatsächliche oder vermeintliche Beleidiger missbrauchen, während viele ihrer Gegner froh darüber wären, würde sich der Widerstand gegen sie lediglich auf Beleidigungen beschränken, grenzt so manchem Amts- und Mandatsfürsten womöglich an Majestätsbeleidigung.
Ähnlich frustrierend muss die Tatsache sein, dass Musk schneller nachlegen kann, als die vereinte Medienfront in der Lage ist, überhaupt auch nur zur Tastatur zu sprinten. Hier erweist sich neben der Reichweite auch die zeitliche Unmittelbarkeit als uneinholbarer Vorteil gegenüber dem klassischen, immer stärker ins Hintertreffen geratenden Medienhandwerk. So kann auch kaum verwundern, wenn diejenigen, die aus „Haltung“ mit großem Tamtam (teils mehrfach) ihren Rückzug von X ankündigen, in aller Regel kurz vor „Tag X“ plötzlich ihre Vorwände finden, doch nicht auf ihre Accounts zu verzichten, beziehungsweise diese lediglich auf „privat“ stellen und in absehbarer Zeit wieder reaktivieren. Musk, Eigentümer von X, hat jene Reichweitenabhängigkeit, die dessen Plattform notgedrungen durch Mitnutzung erhöhte Relevanz verschaffen, die sie ihr am liebsten verweigern würden, kollektiv im Kasten – und das macht die Restles, Reschkes und Hayalis dieser Republik Tag um Tag hysterischer.
Abgerundet wird all dies etwa durch die diesmal nicht dem (EU-) Mainstream obliegende (tatsächliche) Obergewalt darüber, wer sich wann, wo äußern darf, seit Trump-Vize Vance in einem Interview recht unverblümt mit Konsequenzen drohte, sollte man sich an X als Verwirklichungsvehikel des Free-Speech-Grundgedankens zu vergreifen wagen. Ob aus taktischem Kalkül oder wahrer Überzeugung geäußert – hier kommt den X-Nutzern entgegen, dass Trumps kommende Administration dem selbst erzeugten Erwartungsdruck unterliegt, sich (zumindest in gewissem Maße) tatsächlich jenen Idealen zu verpflichten, auf denen der republikanische Wahlkampf unter anderem aufgebaut wurde.
Der Witz: Mit Deutschlands übereifrigem Musterschülergebaren, sich als Stellvertreter fanatischer in den russisch-US-amerikanischen Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu werfen als die USA selbst, hat man gegebene US-Abhängigkeit in Sachen Verteidigungsfähigkeit mit all den milliardenschweren Gaben nach Kiew sogar noch weiter vertieft – ein aufgesetzter Ball, den Trumps Administration durch Androhung des Entzugs militärischen Beistands nur noch bequem abschlagen muss und jene als Verlierer am Pokertisch entlarvt, die in Europa zuletzt am lautesten verbal gegen Musk beziehungsweise X zu Felde zogen.
Schlägt das Imperium zurück?
Auch aus diesem Grunde ergeht gerade der Doppelversuch, die „eigene Seite“ auf- und die „andere Seite“ abzurüsten. So schickt man sich derzeit etwa an, eine weitere GEZ-Beitragserhöhung (diesmal sogar gerichtlich) durchzuboxen und die gesellschaftliche Stimmung hinsichtlich eines „staatlichen X“ mit entsprechenden öffentlichen Forderungen anzutesten, um mittelfristig nicht länger von Musks Infrastruktur allein abhängig zu sein.
Als was ein solches Socialist-Media-Konstrukt letztlich enden soll, wenn nicht als algorithmisch einseitig gestricktes und durch Behörden und Vorfeld-NGOs manuell nachkorrigiertes Zerrbild eines „sozialen“ Netzwerkes, das sich als „gesellschaftlich repräsentativ“ anzustreichen versuchen wird, weiß nur der Fuchs. Dass etwas anderes zu schaffen auch nie beabsichtigt wäre, ist allerdings bereits jetzt daran zu erkennen, dass X unter Musk doch längst jedem erlaubt, sich am allgemeinen Diskurs zu beteiligen.
Das Problem: ÖRR-Imperium und Staats-Twitter blieben nationale Konstrukte mit vermutlich weitgehend nationaler Reichweite. Insofern ist durchaus denkbar, dass bereits erste Konzeptideen existieren, wie staatenübergreifende Strukturen (etwa EU-weit) juristisch, politisch und finanziell auf den Weg gebracht werden könnten. Und zack, kaum angedacht, forderte Ex-ZDF-Chefredakteur Peter Frey am vergangenen Wochenende genau das – eine europäische ÖR-„Alternative“ zu X.
Ob man in Washington einen solchen medialen Gegenpol allerdings überhaupt dulden und ein solcher in einem übersättigten Markt überhaupt auf nennenswertes Nutzerinteresse stoßen würde, sind wiederum ganz eigene Fragen – ebenso wie jene, ob ein solches Vorhaben nicht sogar primär als Gelegenheit dienen soll, Ideen der Marke Internet- oder sogar Social-Media-Führerschein mit Klarnamenzwang erneut ins Gespräch zu bringen. Wenn X selbst nicht unter die Knute zu kriegen ist, so doch deren Nutzer beziehungsweise deren Zugangsrechte. Ein dystopisches Ersatzziel, dessen Erreichung kaum minder befriedigend wäre.
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