03. Dezember 2024
Mobilität in Deutschland: Bahnerlebnisse
Entspanntes Fahren war einmal …
Mit und in der Deutschen Bahn habe ich schon alles erlebt. Nein, falsch, pardon: fast alles. Nämlich noch nicht erlebt habe ich die Entgleisung eines Zuges, in dem ich saß, in voller Fahrt. Toi, toi, toi. Noch nicht erlebt habe ich, wie mein Zug mit einem anderen zusammenkrachte und zum Trümmerhaufen wurde. Toi, toi, toi. Noch nicht erlebt habe ich einen Blitzschlag, der im gesamten Fernverkehr der Bahn zu Verspätungen und Zugausfällen geführt hat. Toi, toi, toi. Davon habe ich gerade in „Lübecker Nachrichten“ gelesen. Es waren massive Auswirkungen.
Aber wo hat der Blitz eingeschlagen?
Worüber ich in dem Artikel nichts las, war die Auskunft darüber, wo der Blitz genau niederging. Es hieß nur „im Landkreis Lüneburg“. Auch nichts darüber, wo er eingeschlagen hat. In einen Zug? Wenn ja, in welchen? Oder nur in die Bahnstrecke und ihre Oberleitung? Wenn ja, in welche Strecke? Irgendwo sonst in der Landschaft? Nichts dergleichen. Die Bahn wird sich darüber ausgeschwiegen haben. Die Zeitung wird es in der nächsten Ausgabe sicher nachliefern. Aber sehr ausführlich und lobenswert berichtete das Blatt, auf welchen Strecken nichts mehr normal funktionierte. Es war erstaunlich viel:
- Ausfall aller ICE-Züge zwischen Hamburg und München über Berlin, Halle/Leipzig, Erfurt und Nürnberg in beiden Richtungen
- Ausfall aller ICE-Züge zwischen Kiel/Lübeck/Hamburg und München über Hannover, Göttingen, Kassel, Würzburg und Nürnberg
- Ausfall aller ICE/IC-Züge zwischen Stralsund und Karlsruhe
- Ausfall aller ICE/IC-Züge zwischen Hamburg und Karlsruhe
- Dazu Verspätungen über Verspätungen und Empfehlung anderer Verbindungen
Kummer ist der Fahrgast längst gewohnt, entspanntes Fahren war einmal
Blitzeinschläge gibt es viele, kommen häufig vor, ereignen sich seit Menschengedenken, sind Naturereignisse. Dass sie stattfinden, kann der Mensch schwerlich verhindern. Nur versuchen, sich davor zu schützen, kann er. Merkwürdig nur, dass man sich so gar nicht erinnern kann, je von derart massiven Auswirkungen auf den Zugverkehr durch einen einzigen Blitzschlag vernommen zu haben. Sollte auch dieses Ereignis damit zusammenhängen, dass vieles bei der Deutschen Bahn nun schon ziemlich lange nicht mehr rundläuft? Kummer ist der Fahrgast längst gewohnt: die vielen Gleisbaustellen, die Umleitungen mit ihren längeren Fahrtzeiten, die Verspätungen, die Zugausfälle, das Dahinscheiden der Klimaanlage, das Ende der Weiterfahrt mitten auf der Strecke … Entspanntes Fahren war einmal. Ich selbst meide den Zug, wo immer es geht, und greife zurück auf mein Auto. Der Nutzen meiner Bahncard schwindet dahin. Ich habe sie, seit es sie gibt. Immer bin ich ein Verehrer des Fahrens mit der Bahn gewesen, beruflich und privat. Nun verleidet sie es.
Dazu dann die kleinen Schikanen
Plötzliche kleine Schikanen kommen hinzu. Am 15. Dezember schafft die Deutsche Bahn an ihren Bahnhöfen die weiße Seite mit den Ankunftszeiten der Züge ab.Wegen der vielen Baustellen sei der gedruckte Aushang meist überholt, lautet die Begründung. Gewiss, das ist nachvollziehbar, aber trotzdem ein Verlust. Menschen, die jemanden vom Zug abholen wollen, werden auf die elektronischen Auskunftstafeln in den Bahnhöfen verwiesen. Oder auf einen QR-Code in den Aushängekästen. Der führt dann zur tatsächlichen Ankunftszeit im Internet. Aber zum Scannen braucht man ein dafür geeignetes Mobiltelefon. Ebenso für die App „DB-Navigator“, die die aktuellen Ankünfte und die Nummern der Ankunftsgleise ebenfalls preisgibt. So ein „Handy“ haben zwar die meisten, aber nicht alle, jedenfalls nicht alle betagten Menschen. Verschwunden sind auch die gedruckten Wagenstandsanzeiger auf den Bahnsteigen. Immerhin sollen die gelben Aushängeblätter mit den gedruckten Abfahrtzeiten vorerst bestehen bleiben. Ein Gnadenakt. Danke, liebe Bahn, danke.
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Autors.
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