28. November 2024
Demokratie: Das Frankenstein-Problem
Rechtsunsicherheit als System
von Kurt Kowalsky
Der „Schwachkopf“-Vorfall und die unverhältnismäßige Hausdurchsuchung wird von so manchem Akademiker aufgegriffen, analysiert und verurteilt. Prof. Dr. Christian Rieck meinte auf Youtube, dass alles von der „Wachsamkeit der Medien“ abhänge, ob Politiker mit diesem „Einschüchterungsverhalten durchkommen“. Wenn das System erst einmal in einen Zustand der Unterdrückung gekommen sei, sei dies das Ende der Demokratie, weil es dann nicht mehr reversibel sei.
Ich habe bereits 2016 unter der Überschrift „Massenvergewaltigung“ einen diesbezüglichen pseudointellektuellen Erguss der „FAZ“ analysiert, die bezüglich der „Flüchtlingsproblematik“ meinte, dass diese nur deshalb problematisch sei, weil die Leute in dieser Angelegenheit nicht mitreden dürften. Ich zitiere mich selbst und behalte mir vor, mich wegen falscher Zitation anzuzeigen und meine Wohnung durchsuchen zu lassen: „Im Demokratismus, der sich seit dem 24. Mai 1949 durch das Grundgesetz selbst legitimierte, konnten die Menschen noch nie mitreden. Wer also schreibt, dass die Flüchtlingsproblematik dadurch entstanden sei, dass die Leute nicht mitreden konnten, möchte in alter Politikklempnerlogik suggerieren, dass speziell in diesem Fall, die Regierung irgendeine demokratische Regel missachtet hätte. Hat sie nicht! Denn es gibt keine derartige Regel.
Nicht im Grundgesetz, noch in der viel gerühmten Schweizer Verfassung. Es wird sie auch nie geben, weil es dann vorbei wäre, mit der Herrlichkeit der repräsentativen Allmacht, mit der Kontinuität des Diktats und der Penetranz der Volksverdummung. Was unter Mitreden verstanden wird, ist irgendwelches Geschwätz, welches an den (meist virtuellen) Stammtischen so sinn- wie wirkungslos die administrativen Entscheidungen begleitet. Auch die politische Wahl ist kein Mitreden. Oder welche Massenvergewaltigung hatte seit 1949 je zur Wahl gestanden? Nato? EU? Euro? Zwangsversicherungen? Rundfunkabgabe? Steuererhöhungen?“ (Ende des Zitats).
Damals hatten wir den Ausbruch des Infektionsschutzgesetzes noch vor uns. Dieser hat so manchem Systemtrottel verdeutlicht, dass sogar Gedanken nur dann frei sind, wenn man sie für sich behält. Doch wieder war die „Demokratie“ nicht in Gefahr - wieder war es die Demokratie, die mit Polizeihundertschaften die Einhaltung willkürlich gezimmerter Verordnungen überwachen ließ. Und spätestens da bewiesen die „wachsamen Medien“, dass sie nicht die vierte Gewalt im Staat sind, sondern seine Hofberichterstatter.
Mit „das Ende der Demokratie“ hat übrigens meine Generation schon gegen die Notstandsgesetze 1968 erfolglos gekämpft. Es war nicht das Ende. Entartung und Entrechtung gehören zum Wesen des Demokratismus und sind nicht sein Ende. Wie man in einer Monarchie den König nicht beklagen kann, ist es sinnfrei, die Entartung im Demokratismus zu beklagen.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. April 2024 (1 BvR 2290/23) macht dies besonders deutlich. Das Kammergericht Berlin hatte eine Äußerung eines Journalisten auf Antrag der Bundesregierung untersagt, weil die Äußerung geeignet wäre, den Ruf der Bundesregierung in der Öffentlichkeit herabzusetzen. Die Äußerung könne, so das Kammergericht vormals, Zweifel in das Vertrauen der Arbeit der Bundesregierung und ihre Funktionsfähigkeit wecken.
Ich habe mich mal umgehört. Niemand in meiner Nachbarschaft hat Vertrauen in die Arbeit der Bundesregierung. Die Mitglieder der Bundesregierung vertrauten sich im November 2024 noch nicht einmal selbst. Und das Bundesverfassungsgericht hat Monate später klar herausgearbeitet, dass die Entscheidung des Kammergerichts gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit verstößt, da sie den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung erkennbar verfehle. Dem Staat komme kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hätte grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten
„Heureka?“ Weit gefehlt! Wenn ein prominentes Online-Magazin im August 2023 ein Artikel veröffentlicht, dessen Veröffentlichung mit Beschluss im November 2023 untersagt wird und das Bundesverfassungsgericht etwa fünf Monate später dieses Verbot wieder aufhebt, dann haben die Politiker im entsprechenden Ministerium (hier das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, vertreten von Svenja Schulze, SPD) ihr vermeintliches Ziel bereits erreicht, obwohl sie den Prozess verloren.
Ich würde es „Putin-Effekt“ nennen: Was man sagen und schreiben darf und was nicht, können sich die Meinungsträger an den Knöpfen abzählen. Die jeweiligen Autoren können stets nur hoffen, dass es der Milchmann ist, der früh morgens klingelt und nicht die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss.
Alle werden wissen, was ein Diebstahl ist. Eine solche Straftat ist im Paragraphen 242 Strafgesetzbuch geregelt. Meine Großmutter und Millionen Menschen in diesem Land sind gestorben, ohne diesen Paragraphen gekannt zu haben, und haben trotzdem nie etwas gestohlen. Und ob das Bundesverfassungsgericht einmal einem Landgericht verdeutlichen musste, was ein Diebstahl ist und was nicht, kann ebenfalls bezweifelt werden. Das eine nennt man Rechtssicherheit, das andere ist von den Machthabern, wie von den ihnen geneigten Juristen gewollt. Wer etwas „verbreitet“, etwas „meint“, etwas „bewertet“ soll sich nicht mehr sicher sein, ob das nicht irgendeinen Straftatbestand erfüllt. Und nur juristisch völlig Unbedarfte werden glauben, dass das Bundesverfassungsgericht auch ihnen in ihrem Fall Recht geben würde. Dass man die Verfassungsbeschwerde von Hinz und Kunz ohne Rechtswegerschöpfung überhaupt annehmen wird, ist bereits fraglich.
Die Abwertung der durch die Verfassung gnädig gewährten Rechte über das Mittel der Verunsicherung ist systematisch. Der Deus ex machina verliert jedoch seinen Zauber, schauen die Besucher der Tragödie hinter die Bühne. Die Maschine wird von Menschen in Gang gesetzt und von Menschen bedient. Und nur in akademischer Verkennung der Zusammenhänge, kommt man zu dem Schluss, dass hier etwa die Besucher des Theaters oder die Kritiker auf die Hebel Einfluss hätten. Habeck und viele andere Akteure im politischen Zirkus sind ein guter Beweis dafür, dass das Volk so eine Art „Frankenstein-Problem“ hat. Kaum hat man den vermeintlich „Richtigen“ gewählt, schon greift die Kreatur auf mehr oder minder grausame Weise in das Leben seiner Schöpfer ein.
Im Roman ist die von Frankenstein geschaffene Kreatur namenlos. Sie wird von seinen menschlichen Feinden auch Monster, Teufel oder Unhold (nie Schwachkopf) genannt und ist aus unbekannten Materialien in einem nicht beschriebenen Verfahren entstanden. Das ist der Unterschied zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Das Materielle ist in Form der Gesetze bekannt. Schon immer wurden die Rechte gnädig gewährt und durch einfachste Gesetzgebung bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Der Paragraph 102 Strafprozessordnung (Hausdurchsuchung) zum Beispiel hat seinen Ursprung im Deutschen Reichsgesetzblatt Band 1877, Nummer 8, Seite 253 bis 346. Damals schrieb man noch „Thäter“ oder „Theilnehmer“ und „vermuthen“.
Ich habe in den 177 Jahren dazwischen niemanden vernommen, der beklagt hätte, dass damit die Unverletzlichkeit der Wohnung faktisch ins Ermessen irgendwelcher Polizisten gestellt werde. Und seit es bei der Polizei die Sondereinsatzkommandos gibt, erübrigt sich auch der Ruf „Aufwachen, Polizei!“, denn wem seine Wohnungstür früh um sechs Uhr in kleinen Stücken um die Ohren fliegt, weil er vielleicht den Bundeswirtschaftsminister beleidigt hat, wird schon aufwachen. Wer sich nicht so ganz sicher ist, was er schreiben oder posten, liken oder teilen darf, ist sich spätestens bei dieser Pressemeldung ganz sicher, dass er einen solchen morgendlichen Besuch bewaffneter Polizisten vermeiden möchte. Und natürlich ist juristisch eine solche Beschuldigtendurchsuchung keine Einschüchterung. Sie liebe Leserinnen und Frauen müssen das nur ganz, ganz fest glauben.
Auch die Verfahren, wie die Monster entstehen, sind bekannt. Sie sind im Lichte versteckt, öffentlich bekanntgegeben, aber weithin kaum verstanden. Wären die Verfahren einfach und transparent, würden viele erkennen, dass kaum einer dieser Politiker jemals vom Volk im eigentlichen Sinne des Wortes gewählt wurden. Sie sind Ergebnis eines Aushandlungsprozesses unterschiedlicher Cliquen - also aus der Perspektive der Menschen im Land so eine Art Fremdherrschaft.
Das Schwarzbuch über die Lügen der Politiker, ihren Falschaussagen, ihren Vorteilsnahmen, ihre Korrumpierbarkeit mit einem Anhang einer Liste ihrer gefälschten Dissertationen und ihren Vertuschungsversuchen wartet auf einen Verleger. Wer aber ein System des Wettbewerbs der Gauner befürwortet, sollte sich auch als Akademiker nicht wundern, wenn Gauner den Wettbewerb gewinnen. Allein nach den Maßstäben des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb sind schätzungsweise zwei Drittel der heutigen Parlamentarier abzumahnen, zu Schadenersatz verpflichtet und ihr Gewinn wäre abzuschöpfen.
Ich erspare mir eine Analogie zwischen politischen Parteien und dem Paragraphen 129 Strafgesetzbuch (Bildung krimineller Vereinigungen). Denn tatsächlich haben die Juristen im Gesetzgebungsverfahren vorgesorgt. In Absatz 3 der Norm heißt es nämlich: „Das Gesetz ist nicht anzuwenden, wenn die [kriminelle] Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat ...“ Man will also unter sich bleiben und nicht von gewöhnlichen Kriminellen Konkurrenz bekommen.
„Einen Fehler durch eine Lüge zu verdecken heißt, einen Flecken durch ein Loch zu ersetzen“, soll Aristoteles gesagt haben. Auch ich hätte noch vor 30 Jahren behauptet, dass einfachste Rationalitätsüberlegungen allen politischen Exzessen Einhalt gebieten. Wer um die Gunst der Wähler buhlt, wird sie nicht verärgern wollen, dachte ich. Das war ein Irrtum!
Während Frankensteins Monster in tiefer Trauer über seine schlechten Taten und Abscheu vor sich selbst im Feuer eines Scheiterhaufens seinen Tod finden möchte, ist den realen Kreaturen des Herrschaftssystems jeder Selbstzweifel fremd. Erinnern Sie sich noch, liebe Leserinnen und Frauen, an das „Wir haben verstanden!“ des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder? Das war 1999 anlässlich der Europawahl. Die SPD hatte 1,5 Prozent an Stimmen verloren und wurde mit 30,7 Prozent zweitstärkste Partei. 2017 hatte dieselbe Partei dann noch 20,7 Prozent und jüngst liegen sie laut Umfragen bei 15 Prozent. Aufgrund dieser „Erfolgsgeschichte“ wurde der vergessliche Bundeskanzler Scholz von seiner Clique wieder zum Spitzenkandidaten gekürt.
Und nachdem die Partei Die Grünen von 14,8 Prozent bei der Bundestagswahl 2021 auf Umfrageergebnisse von zehn bis elf Prozent gefallen ist und die Partei bei den jüngsten Landtagswahlen nicht die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, beeilte sich der Wirtschaftsversager Habeck, sich als Kanzlerkandidat nominieren zu lassen. (Dabei ist zu beachten, dass die Prozentangaben stets nur bezüglich der abgegebenen Stimmen ermittelt werden. Der Anteil bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist wesentlich geringer und wird offiziell nie erwähnt.)
Haben Sie, liebe Leserinnen und gebärende Personen das verstanden? Haben Sie verstanden, dass eine Clique sich selbst reflektierender Ideologen im Loch sitzend, sich einen feuchten Kehricht darum kümmert, was die Menschen im Land meinen, wollen, befürworten oder missbilligen? Jeder forensische Psychiater könnte es Ihnen erklären. Ich für meine Person möchte nicht dem nächsten Aktionstag zur Eliminierung missliebiger Meinungen zum Opfer fallen und wünsche Ihnen noch alles Gute in unserer Demokratie.
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Kommentare
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