24. Juni 2024

ef 244 Editorial

von André F. Lichtschlag

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Artikel aus ef 244, Juli 2024.

Die Europawahl am 9. Juni war von vielen mit Spannung erwartet worden, manche hatten sich davor gefürchtet. Und nun? War da was? Ja und nein.

Grundlegend ändern wird sich auf mittlere Sicht eher nichts. Vielleicht würde sich auch mit einer AfD-Regierung nicht wirklich etwas ändern, siehe etwa Italien oder bald womöglich Frankreich. Aber selbst wenn wir das einmal annehmen – eine Alleinregierung der AfD ist für die kommenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nach dem Testlauf im Juni nun nirgends mehr realistisch, selbst wenn Grüne und FDP, womöglich auch Linke oder SPD aus den Parlamenten fliegen und vielleicht 38 oder 40 Prozent der Stimmen zur absoluten Mehrheit im Parlament ausreichen würden. Auch davon ist die AfD seit dem Durchstarten der Wagenknecht-Truppe meilenweit entfernt.

Dennoch ist am 9. Juni das Parteiensystem erschüttert worden. Gut, für die Union hat es noch einmal zum zweitschlechtesten Ergebnis aller Zeiten bei Europawahlen gereicht – sie feiern sich und ihr letztes Aufbäumen einer allenfalls noch mittelprächtig starken Altpartei. Einige jener, die noch auf dem Umfragehöhepunkt der AfD Ende letzten Jahres gedanklich schon bei den Blauen gelandet waren, sind noch einmal zurückgeschreckt und zur Union zurückgekehrt. Oder zur FDP, die dadurch noch einmal bundesweit über die Fünferhürde gehievt wurde, trotz und nicht wegen einer unsäglichen Spitzenkandidatin (ähnliches gilt für die personelle Zumutung der Union). Im Osten aber ist die FDP (wie übrigens auch die Grünen) mausetot, da wählt kaum einer mehr aus Angst vor der eigenen Courage schwarz oder gelb, nur weil seit Januar ein Propagandastakkato biblischen Ausmaßes auf allen Kanälen „gegen rechts“ inszeniert wird (wir berichteten). Im Westen aber haben eben doch einige Prozentpunkte an Wählern kalte Füße bekommen beim Gedanken daran, doch recht eigentlich die Nichtwählbaren wählen zu wollen.

Die SPD? Ist längst eine Zombiepartei und könnte im Herbst im Osten die Fünf-Prozent-Grasnarbe erstmals in einem Bundesland von unten sehen. Ich erinnere mich noch, als die einstmals stolze Sozialdemokratie irgendwann unter 40 Prozent fiel. Das Gezeter war gewaltig. Schnell war man dann im 20er-Prozentraum angekommen. Nun sind es deutschlandweit gerade noch 13,9 Prozent der Wähler, die ihr Kreuz noch bei der einstigen Volkspartei machen, Tendenz weiter fallend. Das kommt davon, wenn man jahrzehntelang konsequent gegen die eigenen Stammwähler Politik betreibt. Die sind nun bei den Blauen gelandet, und die anderen, die man gendergerecht betüdelt, wählen lieber gleich das grüne Original. Ja, immer noch!

Denn kaum etwas wurde falscher kommentiert als das angebliche grüne Waterloo bei der Europawahl. Tatsächlich landeten die zuletzt beachtlich viel gescholtenen Grünen mit 11,9 Prozent locker über ihrem Ergebnis bei der vorletzten Europawahl (2014: 10,7 Prozent). Dabei ist nicht einmal berücksichtigt, dass zwei Ersatzparteien der Grünen mit weitgehend gleichen Anliegen ebenfalls ins Europaparlament gewählt wurden (Volt: 2,6 Prozent, 3 Sitze; Partei des Fortschritts: 0,6 Prozent, 1 Sitz). In Hamburg landete die ersatzgrüne Volt-Partei bei 6,0 Prozent und in Berlin bei landesweiten 4,8 Prozent. Die neugrünen Violetten könnten sich zu mehr als einer Eintagsfliege entpuppen. Jedenfalls fuhren Grüne und Gesinnungsgrüne am 9. Juni zusammen 15,1 Prozent ein. Ihre treuen Wählen sind und bleiben Überzeugungstäter, denen die neoleninistische Große Transformation nicht schnell genug kommen und kaum radikal genug ausfallen kann.

Ach ja, und die Werteunion? Trat zur Europawahl gar nicht erst an, was ein strategisches Armutszeugnis ist und bleibt. Wo die WU bei den drei Landtagswahlen im Herbst ungefähr landen wird, das kann erahnen, wer sich das Europawahlergebnis des sehr ähnlich positionierten Bündnis Deutschland anschaut: 0,4 Prozent, stimmenmäßig knapp hinter der zweitstärksten Tierschutzpartei. Gerade im Osten fragt niemand nach einer CDU der 80er Jahre. Hier ist die AfD die neue Volkspartei und damit funktional längst der wahre Erbe.

Aber eine Machtperspektive allein haben die Blauen dennoch nicht – ganz unabhängig davon übrigens, dass sie innerparteilich vor und nach der Wahl äußerst schwach agierten, als sie eines ihrer charismatischsten Politik-Talente Maximilian Krah auf selten dämliche Weise gleich zweimal hintereinander auszubooten versuchten. Entscheidend für die Regierungskonstellationen nach den Landtagswahlen im September dürfte nun sein, wie die neuen Shootingstars auf Sahras Liste sich in den Länderparlamenten verhalten werden. Die CDU wird sie brauchen und ihnen Koalitionsangebote unterbreiten, ganz sicher. Aber wird das BSW einschlagen? Oder das Undenkbare wagen – eine Zusammenarbeit mit der AfD? In einer „Expertenregierung“? Allein diese Frage bleibt spannend – und zumindest Sahra Wagenknecht ist so viel politstrategische Intelligenz zuzutrauen. Aber hat sie ihre altlinke Truppe im Griff? Auch dann, wenn die CDU mit Posten und Geldern wedelt?

Wir werden nach den Landtagswahlen Gelegenheit haben, intensiv Bilanz zu ziehen und zu fragen: Wie geht es weiter in allen Bereichen? Zeitenwende oder Untergang? Wo? Natürlich auf Usedom bei unserer achten großen ef-Konferenz (Anmeldung unter https://ef-magazin.de/konferenz/). Die Plätze füllen sich. Zögern Sie also bitte nicht zu lange mit einer Buchung! Ich würde mich über ein persönliches Kennenlernen oder Wiedersehen anlässlich unserer großen libertären Tafelrunde sehr freuen! Einstweilen aber wünsche ich wie immer viel Lesefreude und Erkenntnisgewinn mit dieser Ausgabe. Wie im Herbst, Winter und Frühling gilt auch für den Sommer: Kein Fußbreit den neosozialistischen Ausbeutern in allen Jahreszeiten! Mehr Freiheit!

Information

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 27. Juni erscheinenden Juli-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 244.


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