23. März 2024
RezensionAdorján Kovács: Sándor Petöfi – »Dichter sein oder nicht sein«
Dichtung und Deutung
Sándor Petöfi wird in Ungarn als Nationaldichter verehrt. Eine gründliche biographische Studie zu diesem bedeutenden Literaten war ein Desiderat. Adorján Kovács hat zum 200. Geburtstag des Lyrikers und Dramatikers eine beeindruckende Werkschau vorgelegt. Schon in seiner Einführung nennt er sein anspruchsvolles Konzept, indem er fünf Aspekte auflistet, die er untersuchen möchte: Proteushaftigkeit, Vielschichtigkeit, Experimentalität, Antizipation und die Poetik der Wiederholung. Bereits nach Vorwort, Prolog und Einleitung ist das Wissen um Petöfi enorm vermehrt, weit mehr als in sonstiger deutschsprachiger Spezialliteratur, dabei mit Textbeispielen der ins Deutsche übertragenen Lyrik mustergültig belegt. Auf 224 Seiten analysiert und deutet Kovács sodann eine große Zahl der Gedichte, die in eine knapp fünfjährige Phase intensiven Schaffens Petöfis vor seinem Tod in der Schlacht von Schäßburg 1849 gehören. Die Analyse geschieht dabei nach Art einer sorgfältigen medizinischen Anamnese, hier auf das literaturwissenschaftliche Fach angewandt. Zugleich darf der Leser eine tour d’Horizon durch die Geistesgeschichte des Vormärz erwarten. Diese Monographie ist durch die vielen zitierten Gedichte – übrigens durchwegs in ausgezeichneten Übersetzungen – zugleich eine Auswahlsammlung der zehn Bände Petöfis, die zwischen 1844 und 1848 erschienen. Eine Art „Super-Romantiker“: Das ist der Dichter Petöfi für den Publizisten Kovács, er nennt ihn „sprachlich unfehlbar“, von „eleganter Selbstverständlichkeit“, „quasi unübersetzbar gut“. Sein Unterfangen, dem großen ungarischen Poeten seine berechtigte Würdigung zu verschaffen, kann als rundum gelungen betrachtet werden. Dieses Buch wird in die Forschung zur ungarischen Literatur insgesamt für viele, viele Jahre ein unverzichtbares Referenzwerk sein, das Bezüge und Quervergleiche aufzeigt und eine erweiterte und durch die Literatur geschärfte Sicht auf eine ganze europäische Epoche ermöglicht. Mission erfüllt – auf beeindruckende Weise!
Anzeigen
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv Abonnenten der Zeitschrift „eigentümlich frei“ zur Verfügung.
Wenn Sie Abonnent sind und bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, nutzen Sie bitte das Registrierungsformular für Abonnenten.
Mit einem ef-Abonnement erhalten Sie zehn Mal im Jahr eine Zeitschrift (print und/oder elektronisch), die anders ist als andere. Dazu können Sie dann auch viele andere exklusive Inhalte lesen und kommentieren.