23. Oktober 2022

RezensionFabio Wolkenstein: Die dunkle Seite der Christdemokratie

Geschichte einer autoritären Versuchung

„Wenn man heute auf die harmlosen christdemokratischen Parteien blickt, vergisst man leicht die illiberale und oft intolerante Natur der katholischen Bewegung, aus der sie hervorgingen.“ Diesem Zitat folgend werden im Buch die verdrängten, gegen den Liberalismus gerichteten Wurzeln der Christdemokratie nachvollziehbar dargelegt. Maßgeblich für den politischen Katholizismus des 19. Jahrhunderts waren die gegen den Liberalismus gerichteten päpstlichen Enzykliken und die Sozialenzykliken, bei denen sich eher eine autoritäre Umsetzung anbot, so wie dies in der christlich-sozialen Diktatur in Österreich, aber auch in Spanien und Portugal erfolgt ist. „Noch in den späten 1950er Jahren war eine scharfe Abgrenzung zu den Traditionen der liberalen Demokratie ein zentraler Aspekt der politischen Selbstbeschreibung deutscher Christdemokraten.“ Der Verfasser sieht die Gefahr eines Aufgreifens dieser Wurzeln als autoritäre Versuchung, die er unter anderem am Ungarn Orbáns, also an einer Rechtswendung festmacht. Vernachlässigt wird dabei der auch linke Ausgangspunkt der Christdemokratie im christlichen Sozialismus. Dieser konnte gerade durch eine Mitte-Rechts-Koalition unter Adenauer abgewehrt werden, während er sich – was nicht behandelt wird – in der DDR als CDU-Blockpartei umsetzte. Immerhin werden die bleibenden illiberalen Ingredienzien zum liberalen Verfassungsrecht der BRD gestreift, die sich als „Verfassungsschutz“ zum Ausdruck bringen. Das Werk ist ein guter Beitrag für eine christdemokratische Vergangenheitsbewältigung, deren Mangel in der BRD erklärt, weshalb der CDU keine Koalition mit der AfD möglich ist, während in Österreich der ÖVP eine Koalition mit der FPÖ nicht verwehrt ist – weil dort die geistesgeschichtliche Kontinuität noch gegenwärtig ist, was es der ÖVP verbietet, die FPÖ so zu behandeln wie die CDU die AfD. Dabei würde sich die CDU aufgrund ihrer Vergangenheit als „Verdachtsfall“ qualifizieren, falls man auf sie die „gegen rechts“ angewandten Kriterien anlegen würde.


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