24. November 2024
Freibier: Bringt die Bierpartei das Seelenheil?
Alkohol ist eine Lösung, Politik nicht
von Helge Pahl
Tu felix Austria! Du glückliches Österreich! Neben der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und ihren großen Köpfen, neben Mozart, Haydn, Liszt, Schubert, Rainer Maria Rilke, Stefan Zweig, Siegmund Freud, Niki Lauda, Falco, Udo Jürgens, Peter Alexander, Freddy Quinn und Arnold Schwarzenegger, neben Kaffeehauskultur, Sachertorte, Wiener Schnitzel, Palatschinken und Brettljause entsprang den tiefen Schößen der Alpenrepublik auch eine quicklebendige Bierkultur.
Über das Wiener Lager (ef 210) und die staatlichen Preiskontrollen, die das österreichische Märzen im Körper wundersam schrumpfend vom deutschen Pendant entfremdete, wurde an dieser Stelle bereits berichtet (ef 216). Salzburg, die heimliche Bierhauptstadt, darf und wird einstweilen nicht unerwähnt bleiben. Stolz können die Österreicher auch rufen: „Habemus Papam“, denn mit Conrad Seidl, der seit 35 Jahren zu dem weiten Themenfeld Bier publiziert, stellt die Alpennation den selbsternannten Bierpapst. Heute möchte ich Sie, werte Leser, jedoch auf eine beneidenswerte Besonderheit der Zweiten Republik hinweisen: Es gibt eine Bierpartei.
In der allumfänglich politisierten Welt von heute, im Totalpolitismus des 21. Jahrhunderts, in der die politische Kaste ihren Souverän durch permanente und zunehmende Einmischung bis hinein in die kleinsten Details sämtlicher Lebensbereiche entmündigt, ist es naheliegend, auch das schönste Getränk der Welt durch „politische Würdigung“ zu entweihen. Wo kämen wir hin, wenn der Politikbetrieb das Konsumgut Bier einfach völlig ungezügelt den einzelnen Menschen überlassen würde? Natürlich tut der Staat das nicht, und spätestens seit der Antialkoholbewegung des frühen 20. Jahrhunderts gibt es eine riesige Bandbreite von regulativen Einschränkungen, was die Produktion und den Konsum des Gerstensaftes betrifft. Vom totalen Verbot, wie zum Beispiel während der Prohibition in den USA, über Altersbeschränkungen, exorbitante Besteuerung und staatliche Alkoholmonopole bis hin zu Sperrstunden haben sich die vermeintlich gutmeinenden Bevormundermenschen einen bunten Blumenstrauß ausgedacht, um den Bierkonsumenten zu gängeln und zu schröpfen.
Eine Bierpartei, so könnte man hoffen, ist angetreten, dieser unsäglichen Diskriminierung ein Ende zu bereiten.
Ein Lichtblick? Oder will man aus der positiven Konnotation des Kulturgetränkes nur politisches Kapital schlagen? Denn die von den etablierten Parteien und ihren buckeligen Hofberichterstattern gezielt gesetzten Themen wie Klimawandel und Energiewende, Pflegenotstand und Pandemien, Russophobie und Aufrüstung, Fachkräftemangel, Terror, Migration und Messerstecher verblassen im Angesicht eines frisch gezapften Bieres, das mit seiner feinperligen Schaumkrone frohlockt. Bier ist (fast) das Einzige, was wirklich zählt, das Einzige, worauf sich die Seele des Fleißigen am wohlverdienten Feierabend fokussiert. Politik kann ihm gestohlen bleiben.
Und diese Ihr-könnt-mir-alle-den-Buckel-runterrutschen-Attitüde ist vielleicht der Grund, warum Mittelstrahlmedien Bierparteien allgemein mit dem Etikett „Spaßpartei“ zu diskreditieren versuchen. Auch in anderen Ländern gibt oder gab es Bierparteien, so zum Beispiel in Polen, und auch in der frisch gewendeten DDR forderte 1990 die Deutsche Biertrinker Union ganz putinversteherisch-pazifistisch „Schwerter zu Bierhumpen“ und versprühte fremdenfeindlichen Hass und Hetze mit dem Slogan „Wir sind gegen ausländisches Dünnbier“.
25 Jahre später gründete der aus Wien-Simmering stammende Dominik Wlazny die österreichische Bierpartei BIER. Die Satzung klingt durchaus sympathisch. Laut Präambel strebt die Partei eine „Bierokratie“ an, bei der die Macht vom Bier ausgehe. Weiter heißt es: „Wir vertreten eine politische Kultur des Bierkonsums, in der Diskussionsbereitschaft, Diskurs und gemeinsame Lösungsfindung braukulturtechnischer Fragen an vorderster Stelle stehen. Wir bekennen uns zur Meinungsfreiheit ebenso wie zur freien Wahl des Bieres. Wir glauben, dass Gesellschaften nur dann langfristig bestehen können, wenn ein jedes Mitglied die Grundwerte des Bierkonsums offen zur Schau stellt.“ Das ist eindeutig islamfeindlich.
Zum Glück kommt jetzt aber noch Sustainability: „Wir stehen für nachhaltiges Trinken, Chancengleichheit durch individuelle Trinkprofile sowie Minderheitenförderung von trinktechnisch weniger begabten Menschen. Wir sind tolerant gegenüber den fremden Bieren – mehr noch: Wir begreifen Vielfalt und Individualität in der Braukultur als Bereicherungen des Lebens. Wir sind oft betrunken – dies macht die Stärke der Bierpartei aus.“
Jean-Claude Juncker hat es bewiesen. Bedauerlicherweise hat die Partei innerhalb nur weniger Jahre vieles von ihrem einstigen satirischen Profil über Bord geworfen oder verwässert, indem sie auf den Zug der linksliberal-grünen Agenda aufgesprungen ist. Das Kürzel BIER steht nun für „Bin In Einer Reformbewegung“. Man fordert – wie mehr oder weniger fast alle anderen – eine offene Gesellschaft und soziale Gerechtigkeit, man will sich für Mietzins-Obergrenzen, eine klimafreundliche „Energie- und Mobilitätswende“ sowie die „LGBTQIA+-Community“ einsetzen.
Nichtsdestotrotz hat die Partei einige gute Ansätze, die sie in einem „Entpolitisierungspaket“ zusammengefasst hat, und sie ist immerhin gegen die Einführung der Erbschaftssteuer. Das glückliche Österreich kennt diese nämlich noch nicht. Noch. Bei der Bundespräsidentschaftswahl 2022 erlangte die Partei satte 8,3 Prozent. Bei der der jüngsten Nationalratswahl am 30. September 2024 hoffte man, die Vier-Prozent-Hürde zu überspringen und somit ins Parlament einzuziehen, patzte allerdings bei 2,1 Prozent. Das ist immerhin gut doppelt so viel, wie die FDP bei den jüngsten Landtagswahlen im Durchschnitt erlangte.
Wlazny ist nicht nur alleiniges Aushängeschild, sondern zusammen mit seinem Vater auch Strippenzieher der Partei. Unter dem Pseudonym Marco Pogo tourt er als Sänger der Punkband Turbobier durch die Lande. Der Verdacht liegt nahe, dass der Ausflug in die Politik ein Marketinggag ist, um sich als Kunstfigur zu profilieren und seiner Band zu größerer Popularität zu verhelfen. Durchaus mit Erfolg: Die Punkrocker mit dem Wiener Schmäh touren mittlerweile auch weit außerhalb Österreichs, und der Absatz der Merchandise-Produkte, unter anderem des eigenen Turbobieres, floriert. „Punk“ sollte man in diesem Zusammenhang vielleicht in Anführungsstrichen schreiben, denn abgesehen von dem musikalischen Genre hat man nicht mehr viel mit der anarchischen Subkultur der 70er und 80er Jahre gemein. Die Angepasstheit an den Mainstream gipfelte darin, dass Marco Pogo, der auch Arzt ist, im Sommer 2021 unmittelbar vor einem Konzert 30 Zuschauer „gegen“ Corona „impfte“.
Dennoch ist der Gedanke an eine Bierpartei oder, weiter gefasst, an einen trinkzentrierten Parlamentarismus sehr verlockend. In den alsbald zu errichtenden unzähligen Privatrechtsgesellschaften oder zumindest im Minimalstaat werden viele Quasselbuden beziehungsweise Reichsaffenhäuser, wie Kaiser Wilhelm II. einst den Deutschen Reichstag nannte, weitestgehend verwaist sein. Wäre es da nicht spannend, wenn darin gelegentlich die Bier-, Wein-, Schnaps- und Kaffeeliebhaber et cetera aufeinanderprallten, um jeweils für ihr Lieblingsgetränk zu streiten? Auf Sendern wie „n-tv“ könnte man dann endlich interessante, wirklich pluralistische Live-Debatten anschauen, in denen es nicht mehr darum ginge, wie man das Wahlvolk am besten bevormundet und ausplündert, sondern darum, zu erkunden, welches der facettenreichen Getränke des Menschen ihm den größtmöglichen Genuss bescheren kann, denn Politik kann uns gestohlen bleiben.
Welchen Pluralismus wir derzeit serviert bekommen, verdeutlicht uns die niederösterreichische Brauerei Erzbräu. Rechtzeitig zur jüngsten Nationalratswahl füllte sie drei ihrer untergärigen, sehr ähnlichen Biere in Flaschen und beklebte sie mit den Antlitzen der sechs aussichtsreichsten Kandidaten. Fazit der Verkostung: Es ist eigentlich ganz egal, welche Flasche man wählt.
Information
Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 18. Oktober erschienenen November-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 247.
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