20. April 2025

Freibier Die Geschichte vom Eisbock

Über den Wettlauf um das stärkste Bier der Welt

von Helge Pahl

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Bildquelle: ignacio_carosio / Shutterstock Ein Glas Bier mit Schaumkrone

Der Winter ist naturgemäß die kalendarische Heimat der Starkbiere. Sie wärmen Wanst und Seele an kalten Tagen und bringen Leben in die Bierstuben und Gastwirtschaften. In deutschen Landen ist es traditionsgemäß das untergärige Bockbier und sein großer Bruder, der Doppelbock, neben dem zuweilen auffindbaren obergärigen Weizenbock, die die jahreszeitlich bedingte Dunkelheit für einige Momente vergessen lassen. Wenn es richtig kalt wird, greift der Kenner zum Eisbock und lässt sich mit Alkoholgehalten nördlich des Zehn-Prozent-Volumenbreitengrades eine ganz eigene, selbstgemachte Klimaerwärmung erleben.

Der Eisbock, so geht die Geschichte, ist ein typisches Zufallsprodukt. Um 1890 soll es gewesen sein. Ein Braumeister im Fränkischen wies seinen Lehrling an, das Holzfass mit Bockbier, das noch im Brauereihof stand, zum Feierabend hereinzurollen. Der Stift, nachlässig, wie es oft seine Art war, vergaß, die ihm aufgetragene Arbeit zu erledigen, und machte sich auf den beschwerlichen Heimweg. Schließlich war es tiefster Winter und er musste zu Fuß zum nächsten Weiler durch tiefen Schnee stapfen. Die Nacht war bitterkalt, und als der Brauer morgens in den Hof kam, fand er das Fass zerborsten und das Bier gefroren. Den Verlust des Bieres gewahr werdend, befahl er dem Lehrling: „Das kannst du zur Strafe nun allein aussaufen!“ Der Bub tat wie ihm befohlen und stach die im Eis eingeschlossenen Blasen noch flüssigen Bieres an. Die süßen, öligen und wärmenden Tropfen leckend, besserte sich sofort die Laune des geschimpften Jungen. Kurz darauf probierte auch der Meister – und war beeindruckt. Am Ende einer bitterkalten, finsteren Winternacht hatte der wärmende Eisbock das Licht der Welt erblickt.

Aber was war tatsächlich geschehen? Die Kälte hatte das Bier gefrieren lassen. Das geschah jedoch nicht auf einen Schlag zur gleichen Zeit. Es waren zunächst die Wassermoleküle an der Oberfläche, die den Aggregatzustand änderten. Alkohol hat einen deutlich niedrigeren Gefrierpunkt und blieb daher flüssig und in ihm gelöst verblieben auch Großteile der anderen Bierinhaltstoffe wie Zucker, Hopfenbittere und Aroma. Auf diese Weise bildet sich in den Blasen ein Bierkonzentrat, das eine likörähnliche Viskosität, Süße und Alkoholstärke aufweist. 

Die Kulmbacher Brauerei gilt weithin als der erste kommerzielle Produzent des Eisbocks, und sie stellt ihn noch heute her. Obwohl der Eisbock für die frühen, neugierigen Craftbeer-Brauer der USA eigentlich ein prädestinierter Bierstil ist, konnte er im Heimatland des Craftbieres nie wirklich Fuß fassen. Grund dafür ist, dass die Herstellungsmethode, also die Erhöhung des Alkoholgehaltes durch Ausfrieren von Wasser, vom zuständigen Alcohol and Tobacco Tax and Trade Bureau (TBB) als eine Form des Destillierens angesehen wird. Im 19. Jahrhundert war „freeze distillation“ eine billige und gängige Methode, um Schnaps herzustellen. In den Winternächten stellte man Tmit Apfelwein (Cider) gefüllte Tonnen nach draußen, ließ ihn ausfrieren und schied beim Antauen das gefrorene Wasser ab. Apple Jack nannten die Amerikaner den durch Väterchen Frost aufkonzentrierten Apfelweinschnaps. Ein Vorteil der Ausfrier-Destillation ist, dass im Gegensatz zur echten Destillation kein giftiges Methanol entsteht, das nur Brenner mit ausreichend Erfahrung abzutrennen vermögen. Viele dieser Apple Jacks erblickten das Licht der Welt bei Mondschein, waren also aus Sicht des Staates illegal und gehörten verboten oder streng reguliert. Deshalb benötigen amerikanische Bierbrauer für die Produktion des Eisbocks heute eine Brennlizenz, die jedoch recht kostspielig und für die meisten Brauer, die nur Eisbock anbieten möchten, unwirtschaftlich ist. Hinzu kommt, dass kaum eine amerikanische Brauerei die Technik hat, große Mengen Bier auf Gefriertemperaturen herunterzukühlen. 

Selbst Heim- und Hobbybrauern ist seine Herstellung im Land der unbegrenzten Möglichkeiten verboten. Dabei kann grundsätzlich jedermann Eisbock spielend leicht selbst herstellen: Zunächst besorgt man sich zwei Flaschen Doppelbock seiner Wahl. Sodann ergießt man den Inhalt in eine leere Kunststoffflasche mit Schraubverschluss. Vorsicht, beim Umfüllen entbindet sich Kohlendioxid, es schäumt also und Sie müssen ein Klimazertifikat kaufen, wenn es sie besser stimmt! Die Plastikflasche geht dann für ein paar Stunden in die Gefriertruhe. Dann entnehmen Sie die Flaschen und lassen sie antauen. Es bilden sich Blasen mit hochkonzentriertem Alkohol, der als Erstes wieder flüssig wird beziehungsweise sogar flüssig geblieben ist. Diese Blasen werden größer, gelegentliches Schütteln und Klopfen begünstigen, dass sich Risse bilden und die Blasen verbinden. Die Flasche kann man nun umgedreht über ein Auffanggefäß stellen und sodann fortwährend verkosten und je nach eigenem Geschmack die Zufuhr des nachlaufenden, stetig wässriger werdenden Eisbockes beenden. Das Prozedere kann man auch als erkenntnisgewinnendes Highlight in einen geselligen Abend unter Bierfreunden einbauen. Eisbock stürzt man sich jedoch nicht wie Bier die Kehle hinab. Nein, man degustiert ihn wie Dessertwein oder Likör: kleine Gläser, kleine Schlucke, ein langes, intensives, sensorisches Hineinhorchen in die intensive und komplexe Aromatik. Das parallele Verkosten des ursprünglichen Grundbieres zeigt die magische Verwandlung vom süffigen Bockbier hin zum stärksten Bier der Welt.   

Aber wie stark kann es werden, dieses stärkste Bier der Welt? Nun, die Frage stellte sich vor nicht allzu langer Zeit Georg „Schorsch“ Tscheuschner, der sich seit 1996 in seiner fränkischen Brauerei in Gunzenhausen vorwiegend dem Eisbock widmet. In seinem Sudhaus kann er Bierwürzen mit extrem großen Stammwürzen erzeugen. Zudem verwendet er Hefen mit einer hohen Alkoholresistenz und produziert bereits Ausgangsbiere bis zu 13 Volumenprozent Alkohol. Im Jahr 2009 braute Schorsch einen Eisbock mit 31 Volumenprozent und brach damit den bisherigen Rekord von 27 Prozent. Kurze Zeit später brach er seinen eigenen Rekord mit einem Bier, das satte 40 Prozent aufwies. Diese prestigevollen Rekorde riefen umgehend Konkurrenz aus dem Ausland auf den Plan. Die schottische Brauerei Brewdog wollte den Deutschen mit ihrem 41-Prozenter namens „Sink the Bismarck“ triggern. Schorsch legte 2010 mit 43 Prozent nach. Die Schotten sahen sich bereits als Sieger, als sie 2011 „The end of history“ mit 55 Prozent Alkohol auf den Markt brachten. Doch noch im selben Jahr holte Schorschbräu den Titel mit seinem Schorschbock 57 mit sage und schreibe 57,7 Prozent Alkohol wieder zurück. Kurz darauf stieg die belgische Brauerei’t Koelschip und eine weitere Brauerei aus Schottland namens Brewmeister ins Wettrennen um das stärkste Bier ein. Es folgten Alkoholgehalte von 60, 65, 67,5 und schließlich 70 Prozent, jedoch stellte sich nach Laboranalysen heraus, dass bei allen vier vermeintlichen Rekordhaltern destillierter Alkohol zugegeben worden war, was sie natürlich als Biere disqualifizierte. Zwischenfazit: Auch wenn wir in Deutschland nicht mehr viel auf die Reihe kriegen, immerhin das stärkste Bier kommt noch von hier. Schorschbräu sei Dank!

Die Herstellung von Eisböcken ist energieintensiv. In Zeiten von gesprengten Pipelines und Kühltürmen, verschrotteten Kern- und Kohlekraftwerken und der damit einhergehenden Energiekostenexplosionen schrumpft das natürliche Habitat dieser seltenen Untergattung der Böcke. Die Auswahl ist daher überschaubar. Neben den erwähnten Eisböcken von Schorschbräu und Kulmbacher gibt es einige andere fränkische Brauereien (Faust, Rittmeyer …), die sich dem Eisbock widmen. In Österreich sticht die Brauerei Hofstetten mit IPA-basierten Eisböcken unter dem Banner „G’froren’s“ hervor. Gleichermaßen empfehlens- wie preiswert ist der Weißbier-Eisbock der Schneider-Brauerei, die dafür ihren erstklassigen Weizendoppelbock Aventinus ausfriert. 

Die meisten normalen, sprich handelsüblichen Eisböcke haben einen Alkoholgehalt von zehn bis 15 Prozent. Aufgrund ihrer aufkonzentrierten Süße und ihrer alkoholischen Stärke sind es prädestinierte Dessertbiere, die munter den Nachtisch unterhaken, um mit ihm die Speiseröhre hinabzurutschen. Eisböcke eignen sich hervorragend zur Holzfasslagerung. Ihr hoher Alkoholgehalt macht sie nicht nur robust, er sorgt auch für einen guten Aromenaustausch mit dem Holz. Und natürlich kann dem Eisbock auch im dunklen, kühlen Bierkeller ein sehr langes, glückliches Leben bevorstehen, bis es schließlich im Glas des Bierfreundes seinen würdigen Höhepunkt erreicht. 

Information

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 29. März erscheinenden April-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 251.


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