18. Oktober 2024

Der lange Anlauf Björn Höcke beim Holzhacken

Dokumentarfilmkritik

von Martin Lichtmesz

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Bildquelle: Foto (Höcke) von Björn Höcke / Youtube Björn Höcke: In der Morgensonne beim Stiefelanziehen, minutenlange Einstellung, ernsthaft

In Deutschland wird kein Politiker von den Medien derart verteufelt wie Björn Höcke, ironischer- oder bezeichnenderweise, weil er dezidierter Patriot ist und „alles für Deutschland“  tun und geben möchte. Für letzteren Satz wurde er allen Ernstes zu einer Geldstrafe in Höhe von 13.000 Euro verurteilt, weil Staatsanwalt und Richter darin eine „NS-Parole“ erkennen wollten. 

Höcke ist zum Emblem für „die AfD“ geworden, und er wird von der Regierung und den Medien umso mehr bekämpft, je größer der Erfolg dieser einzigen signifikanten Oppositionspartei der Bundesrepublik ist. Die „Marke Höcke“ gilt als „besonders gefährliches“ Erfolgsmodell,  das speziell bei den Wählern im Osten hervorragend ankommt.  So erreichte die AfD bei der jüngsten Landtagswahl am 1. September 2024 in Höckes Heimatbundesland Thüringen erstmalig die höchste Stimmenanzahl (in Sachsen schaffte sie es auf den zweiten Platz nur knapp hinter der CDU). Das Establishment scheint also allen Grund zu haben, sich vor Höcke und Artverwandten zu fürchten. 

Markiert als Systemfeind, hat er deshalb keine Chance, in den deutschen Mainstreammedien fair dargestellt zu werden. Da musste etwa Roger Köppel von der Schweizer „Weltwoche“ einschreiten, der am 23. August ein ausführliches Interview mit Höcke auf seinem Youtube-Kanal veröffentlichte – ohne Fangfragen, ohne feindseliges Framing, ohne Ins-Wort-Fallen, ohne Wortverdrehungen, auf dass sich jeder selbst ein Bild davon machen möge, was Höcke nun tatsächlich sagt und vertritt. Am selben Tag wie Köppels Interview erschien auf Höckes eigenem Kanal der Film „Der lange Anlauf“, ein Werk von Fans und Freunden,  das der Flut an negativen Darstellungen ein Gegengewicht bieten möchte.  

Verantwortlich zeichnet die Gruppe „Filmkunstkollektiv“, ein rechtes Szeneprojekt unter der Leitung von Simon Kaupert, das sich zum Ziel gesetzt hat, „die ästhetischen Bilder des Widerstandes“ zu machen und „die schönen Momente“ der Proteste und des Aktivismus zu zeigen: „Mit unserer Arbeit sind verwackelte Handyfotos Geschichte.“

Der Höcke-Film ist das erste abendfüllende Werk der fleißigen Gruppe, die von Idealismus, Selbstausbeutung und freien Spenden des Zielpublikums lebt. Die Ankündigung auf der Netzseite der Gruppe macht deutlich, welch große Verehrung die Macher ihrem Protagonisten entgegenbringen: „Unsere Filmmannschaft hatte das unfassbare Privileg und die Ehre, den wichtigsten deutschen Politiker zwei Jahre lang filmisch begleiten zu dürfen. Wir durften Björn Höcke bei Terminen und Sitzungen, Besprechungen, Parteitag, Ausflügen, Bürgertreffen, Gerichtsverfahren und sogar bis ins Private hinein filmen. Jede Szene atmet das Herzblut Björn Höckes für eine bessere Zukunft. So wie er jeden Tag alles schultert, jede noch so schwere Last stemmt und sich für nichts und niemanden auf seinem Weg verbiegt – so haben auch wir versucht, diesem Staatsmann filmisch gerecht zu werden.“  

Konzipiert also als Hommage von ausgesprochenen Verehrern und Anhängern, darf man sich hier keine kritischen Zwischentöne erwarten. Im Gegensatz zu Köppels Beitrag kommt der thüringische Gottseibeiuns in Kauperts Film kaum direkt zu Wort, sondern wird gespiegelt in Archivaufnahmen seiner Auftritte und in den Betrachtungen seiner Weggefährten, die seinen politischen Werdegang kommentieren. Das rückt Höcke in eine geradezu mythische Ferne, und paradoxerweise verfolgen die (relativ wenigen) Szenen aus seinem Privatleben denselben Zweck: Höcke wird etwa schweigend beim Autofahren, beim Holzhacken in der Morgenröte oder beim Stiefelanziehen in der Morgensonne aus einer ehrfurchtsvollen Distanz gezeigt, unterlegt mit Streichmusik. Nichts davon wirkt spontan oder intim, sondern gestellt, gewollt „ästhetisch“, für die Kamera inszeniert. 

Diese „mythisierende“ Herangehensweise kulminiert in Szenen wie jener, in der eine blonde junge Frau andachtsvoll vor einem überlebensgroßen Ölgemälde Höckes sitzt, oder jener, als dieser durch suggestive Zwischenschnitte mit dem erwachenden Kaiser Barbarossa in Verbindung gebracht wird. Der Mensch Björn Höcke kommt unter Stilisierungen dieser Art kaum zum Vorschein. Das wäre vielleicht ein interessanteres Thema für einen Film gewesen, der weniger auf szeneinterne Werbewirkung und Heldenlied abzielt. 

Frappant an der Erscheinung Höckes erschien mir immer der Widerspruch aus seinem betont pathetischen, mitreißenden, vollmundigen Auftreten und seiner eher schüchternen, introvertierten, ja sogar verletzlichen Physiognomie mit ihren wasserblauen Augen. Höcke ist nämlich alles anderes als ein typischer Politiker, eher ein kontemplativer, denkender Mensch, der sich selbst zum Politikertum überwunden hat.

Ebenfalls zu kurz kommt Höckes Weltanschauung, die im Gegensatz zu jener vieler Kollegen seiner Partei ausgesprochen firm durchdacht ist (was auch immer man von ihr halten mag). Demgegenüber erscheint mir das Abspulen von Besprechungen, Parteitagen, Pegida-Reden, Fraktionssitzungen und Demonstrationen nicht gar so interessant.

Analytische Tiefe bringen immerhin einige der Interviewpartner in Spiel, insbesondere der Politikwissenschaftler Benedikt Kaiser und der Verleger Götz Kubitschek. Letzterer etwa rekapituliert präzise, wie Höcke in der Frühzeit der AfD zu einem der entscheidenden Akteure wurde, die dafür sorgten, dass aus einem vorwiegend wirtschaftsliberalen Projekt (einer Art FDP 2.0) eine stärker an Fragen der „nationalen Souveränität“ und „Identität“ ausgerichtete Partei wurde, was auch den Wünschen der sich immer rascher herauskristallisierenden Basis entsprach. 

Dadurch mussten auch unweigerlich die heiklen Fragen „Einwanderung“ und „Schuldkult“ ins Visier geraten, deren frontal-polemische Behandlung Höcke die handelsüblichen diffamierenden Stempel eintrug.  Leider werden auch diese aufschlussreichen Kommentare zur Parteigeschichte der AfD und Höckes Rolle darin in einer Sauce aus sentimentaler Hintergrundmusik ertränkt, wie auch überhaupt gefühlvolle Sentimentalität, nicht lautes Pathos den Grundton des Filmes ausmacht. 

Hinzu kommen noch einige andere eher unglückliche ästhetische Entscheidungen, etwa die nicht sehr sinnfällige Wahl eines Kinobreitbildformats. Skurril wird es, wenn Kaupert seine Kommentatoren ältere Aufnahmen von Höcke anschauen und daneben einen Super-8-Projektor rattern lässt, als würde dieser die Filme an die Wand werfen und nicht etwa der Videobeamer, der in manchen Einstellungen gut sichtbar auszumachen ist. 

Das ist ein merkwürdig selbstzweckhafter optischer Gag, denn niemand dreht und guckt heute noch Super-8-Filme.  Ein bisschen mehr Analyse, ein bisschen mehr konkrete Information, ein bisschen weniger „Stimmung“ hätten dem Film gut getan, um auch ein Publikum über das Lager der Bekehrten und der Höckeaner hinaus zu interessieren. Gewiss eine Pionierleistung, aber eine, die in ihren Mängeln aufzeigt, wie viel Arbeit noch zu leisten wäre. 

Information

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 27. September erschinenen Oktober-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 246.


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