26. Juni 2024

RezensionMicheal Böhm: Versuch über das Scheitern

Betrachtungen eines unangenehmen Phänomens (Edition Sonderwege bei Manuscriptum)

Artikelbild

Der Autor, promovierter Politikwissenschaftler aus Dresden (geboren 1969), hat mit diesem Werk ein interessantes Essay vorgelegt. Der Titel spricht für sich. Und in der Tat ist das Scheitern ein unangenehmes Phänomen. Beginnend mit einem Erlebnis aus der Kindheit, die Mutter zog den Autor als kleinen Jungen von einem auf der Straße lebenden Alkoholiker weg, beginnt Böhm seinen Streifzug durch Philosophie und Literatur zum Thema des Scheiterns. Sicherlich richtig: Wer hingefallen ist, kann wieder aufstehen. Richtig ist aber auch: Das Scheitern ist in unserer Gesellschaft ein Tabu, das eigentlich nicht vorkommen darf. Oder akademisch gesagt: Es gibt keine Theorie des Scheiterns. Denn das ist genau das Glücksversprechen der Moderne: „Alles ist zu erreichen, wenn der Mensch nur mit Willen und Vernunft daran arbeitet.“ Egal, ob es im Liebesglück und in der Sexualität ist, bei der Karriere, beim Kinderwunsch oder in der Bildung. Scheitern ist keine Option. Ein Suizid schon gar nicht. Die Antithese zum Scheitern ist der Erfolg. Und dafür gibt es Coaches, Bücher als Ratgeber und Kurse. Schon Goethe schrieb im Faust: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Freud erkannte gar, dass Scheitern pathologisch und daher als Krankheit behandelbar sei. Der Zappelphilipp unserer Großeltern wurde zum ADHS-Patienten. Schlussendlich erfolgte die Umwandlung des Scheiterns in einen persönlichen Erfolg, als Walter Thruns (56, obdachlos) am 10. Februar 2009 in der ARD Beifall für seine „Analyse“ bekam, dass die „verlogene Konsumgesellschaft“ schuld an seiner Situation sei. „Heute entheben 15 Minuten Fernsehruhm absolut Gescheiterte nicht nur zeitlich und räumlich ihrer Realität – sie entheben sie davon auch ideell.“ Der Autor fordert eine neue Kultur des Scheiterns. Ein erster Schritt wäre es, darüber nachzudenken, ob es wirklich notwendig ist, alles zu optimieren. Der Autor meint: „Die Welt muss mythisiert werden.“ Das habe ich dann leider nicht mehr verstanden.


„Micheal Böhm: Versuch über das Scheitern: Betrachtungen eines unangenehmen Phänomens (Edition Sonderwege bei Manuscriptum)“ bei amazon.de kaufen


Artikel bewerten

Artikel teilen

Anzeigen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv Abonnenten der Zeitschrift „eigentümlich frei“ zur Verfügung.

Wenn Sie Abonnent sind und bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, nutzen Sie bitte das Registrierungsformular für Abonnenten.

Mit einem ef-Abonnement erhalten Sie zehn Mal im Jahr eine Zeitschrift (print und/oder elektronisch), die anders ist als andere. Dazu können Sie dann auch viele andere exklusive Inhalte lesen und kommentieren.

Dossier: ef 244

Mehr von Ronald K. Haffner

Autor

Ronald K. Haffner

Anzeige

ef-Einkaufspartner

Unterstützen Sie ef-online, indem Sie Ihren Amazon-Einkauf durch einen Klick auf diesen Link starten, Das kostet Sie nichts zusätzlich und hilft uns beim weiteren Ausbau des Angebots.

Anzeige