17. August 2022
Bergdorf versus Hauptstadt: Die Reservoirs der Zivilisation
Ein kurzer Bericht von einer echten Krise
von Oliver Gorus
An einem schönen Sommertag Anfang August kippte nachmittags in einem Seitental südlich des Hauptalpenkamms das Wetter. Ich war mittendrin im Geschehen, Gott sei Dank nicht im Freien, sondern im Bergdorf und unter einem soliden Dach. Eben noch war strahlender Sonnenschein, innerhalb von wenigen Minuten verdunkelte sich der Himmel. Warme, trockene, leichte Luft wurde von kalten, feuchten, schweren Luftmassen gerammt. Wolken türmten sich auf, Blitze zuckten im Sekundentakt, und der Donner hallte zwischen den Felswänden hin und her.
Und dann stürzten die Wassermassen vom Himmel, wie ich es noch nie erlebt habe. Ich konnte aus dem Fenster die drei Meter entfernte Hecke nicht mehr sehen, so stark regnete und hagelte es. Vor dem Fenster prasselten die Hagelkörner waagrecht vorbei und schlugen den Bäumen das Laub von den Zweigen. Das Rauschen des Wassers war so laut, wie ich es von der Aussichtsplattform direkt neben dem Rheinfall in Schaffhausen kenne, einem der drei größten Wasserfälle in Europa.
Nur etwa 20 Minuten später ließ der Starkregen schon wieder nach. Feuerwehrsirenen heulten, überall brach hektisches Treiben aus. Alle einheimischen Männer waren auf den Beinen. Es gab viel zu tun! Der Hagel hatte die Abflüsse zugesetzt, und es war auch einfach zu viel Wasser auf einmal gewesen, weshalb Häuser vollgelaufen, kleinere Erdrutsche abgegangen, Bäume umgestürzt und Straßen zugeschüttet waren, außerdem war die Bergstraße stellenweise unterspült. Die Bergbewohner verloren keine Minute – Aufräumen war angesagt!
Drei Sekunden
Einer der Hoteliers aus dem Bergdorf raste im nachlassenden Regen mit seinem SUV auf Seitenwegen ins Tal hinunter, wo er seinen Bobcat, einen kompakten Kleinbagger, holen wollte, um einen weggespülten Kiesparkplatz sofort wiederherzurichten. Er stieg in den Minibagger ein, fuhr los, schaute auf der Brücke über den Bach nach rechts das Bachbett hinauf … und sah, wie eine andere Holzbrücke hundert Meter oberhalb von ihm angehoben wurde und sich senkrecht aufbäumte. Massen von Schlamm, Wasser, Steinen, Baumstämmen stürzten in einer meterhohen Flutwelle das Tal hinunter und schlugen die Brücke einfach weg, sie flog zwanzig Meter weit in den Wald.
Er sah das und reagierte blitzschnell. Rückwärtsgang. Zurück! Zurück! Zurück! Und schon rauschten Baumstämme, Felsblöcke, Brückentrümmer, ein mitgerissenes Auto und viele Tonnen Schlamm und Wasser an ihm vorbei, rissen die Brücke mitsamt der Straße direkt vor seinem Bobcat weg.
Drei Sekunden hatten ihn vom Tod getrennt.
Im ganzen Tal gab es erheblichen Sachschaden. Aber keinen einzigen Personenschaden. Die Leute wissen einfach, wie man sich bei Extremwetter zu verhalten hat, sie wachsen von klein auf mit den Naturgewalten auf: mit Kälte, Hitze, Wasser, Sturm, Schneemassen, mit umstürzenden Bäumen, mit ins Tal krachenden Felsen. Sie können reagieren, sie haben Reflexe, sie wissen, was zu tun und wo es sicher ist. Jeder hat eine Motorsäge im Haus, jeder hat ein Allradfahrzeug, jeder weiß mit Werkzeug umzugehen, jeder ist ausreichend versichert.
Und nach einem Unwetter wird nicht gejammert und nach Papi Staat gerufen, sondern zugepackt, repariert, instandgesetzt, aufgeräumt, geputzt. Und abends trifft man sich am Feuerwehrhaus, trinkt ein paar Bier, lacht, erzählt sich die haarsträubendsten Geschichten, und am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe geht’s weiter. So lange, bis die Trümmer und Baumstämme weggeräumt, überall Notbehelfsbrücken errichtet und alle Straßen wieder befahrbar sind.
Das Grinsen
Warum erzähle ich Ihnen das? Nun, der Kontrast zwischen den lebenstüchtigen, fleißigen und widerstandsfähigen Menschen in den Bergen und dem in den Hauptstädten der deutschsprachigen Länder tonangebenden urbanen Schneeflockenmilieu ist so krass, dass es wehtut.
In Berlin verursachen die Regierung Scholz und die Vorgängerregierung zusammen mit ihren Freunden in den Behörden, den Medien und den korporatistischen Konzernen durch ihr evidenzfreies, ideologisches, kurzfristig machtgetriebenes Geschacher eine Krise nach der anderen und zelebrieren dazu das fürstliche Leben auf Kosten der Bürger. Die selbstgemachten Krisen stellen sie dann so hin, als seien sie vom Himmel gefallen, und dann verhöhnen sie die Geschädigten auch noch. Etwa so: „Es wird teurer – das gibt es kein Drum-Herumreden. Die Energiepreise steigen weiter. Aber: Mit 30 Milliarden Euro entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger bereits. Und wir schnüren ein weiteres Entlastungspaket. Wir lassen niemanden allein mit den höheren Kosten“, twitterte der Bundeskanzler Scholz am Montag.
„Ja, wir lassen niemanden allein“, höhnte der Räuber, fischte eine Münze aus dem Raubgut und schnippte sie den Ausgeraubten zu, bevor er grinsend dem Pferd die Sporen gab.
Die Vorstellung, man könnte eine Krise zuerst durch eine verbrecherische Inflations- und Energieverknappungspolitik verursachen und diese dann dadurch abwenden, dass man den Bürgern einen kleinen Teil des Geldes, das man ihnen aus den Taschen gezogen hat, wieder generös zurückgibt, ist so absurd, so lebensfremd, die handelnden Akteure sind so unfähig und dabei so arrogant, dass ein Bürger, der mit offenen Augen durch die Welt läuft, doch unmöglich die Führung solchen Windbeuteln überlassen möchte. Ein Dorf ernennt nicht den unseriösesten, unfähigsten, arrogantesten Lügenbeutel zum Feuerwehrhauptmann. Menschen, die überleben wollen, machen so etwas nicht. Außer sie leben in einer Parteiendemokratie.
Die Zukunft aus Ecken und Winkeln
Im Bergdorf war am nächsten Wochenende ein großes Fest, als ob nichts gewesen wäre – Biertische unter großen Schirmen, Trachten, Volksmusik live in beachtlicher Qualität von der Bühne, zünftiges Essen, Bier in Strömen, es wurde gelacht, getanzt, gejohlt, gesoffen. Ungefähr 17-mal, verteilt über den Tag, wurde lauthals aus Männer- und Frauenkehlen die wunderschöne Layla besungen, die schöner, jünger, geiler ist. Stramme Burschen in Lederhosen halfen jungen Mädels im Dirndl, die Zöpfe aus dem Gesicht zu halten, wenn sie sich im Vollrausch übergeben mussten.
Und am nächsten Tag war der Festplatz wieder aufgeräumt und sauber gefegt, alle waren wieder arbeiten. Das Leben ging weiter.
So, nun frage ich Sie: Wo haben die Menschen ihr Leben eher im Griff? Wo sind echte Führungspersönlichkeiten am Werk? Wo haben Menschen so viel Ehrfurcht vor der Natur, dass sie sich den Elementen anpassen, anstatt törichterweise und völlig aussichtslos zu versuchen, sich die Natur zu unterwerfen? Wo sind die Menschen fleißig? Wo haken sich Menschen unter und helfen einander, arbeiten und feiern gemeinsam ohne Schaden für Dritte? Wo können sich die Menschen aufeinander verlassen, weil sie sich aufeinander verlassen können müssen, wenn mal ein Notfall ist? Wo können Menschen mit echten Krisen umgehen? Wo sind die Menschen hart, aber ehrlich? Wo bewahren sich die Menschen Tradition, Glauben und Kultur, um eine Zukunft zu haben? Wo also?
In der Hauptstadt? In den Parteizentralen? In den Parlamenten? In den Ministerien? In den zwangsfinanzierten Palästen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit italienischem Parkett auf Kosten geplünderter Bürger?
Wer noch an die gute Zukunft der Gesellschaft glaubt, wer sich vergewissern will, dass da überhaupt noch eine Zukunft ist, der muss die Städte fliehen und in die Ecken und Winkel der deutschsprachigen Länder schauen, wo sich in den Ritzen der Zivilisation die Quellen und Reservoirs hartnäckig halten, aus denen sich die Gesellschaft erneuern wird, wenn sich der Staub nach dem nächsten Kollaps gelegt hat.
Anzeigen
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv Abonnenten der Zeitschrift „eigentümlich frei“ zur Verfügung.
Wenn Sie Abonnent sind und bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, nutzen Sie bitte das Registrierungsformular für Abonnenten.
Mit einem ef-Abonnement erhalten Sie zehn Mal im Jahr eine Zeitschrift (print und/oder elektronisch), die anders ist als andere. Dazu können Sie dann auch viele andere exklusive Inhalte lesen und kommentieren.