12. Dezember 2025
Verteidigung der Freiheit: Wehrpflicht ist Sklaverei
Siegerbeitrag des Essay-Wettbewerbs der Hayek-Gesellschaft 2025
von Darwin R. Gossel
Kann man Freiheit durch Zwang bewahren? Gerade die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass individuelle Freiheit keineswegs selbstverständlich ist. Totalitäre Systeme, allen voran der Kommunismus und der Faschismus, stellten den Einzelnen in den Dienst eines angeblich höheren Ziels – sei es Nation, Rasse oder Klasse. In solchen Ordnungen zählte das Individuum nicht als eigenständiges Subjekt, sondern nur als austauschbarer Teil einer Masse. Die Wehrpflicht knüpft an eine ähnliche Logik an: Der Bürger wird vom Staat für dessen Zwecke beansprucht.
Liberalismus und individuelle Freiheit
Liberalismus beginnt mit einer klaren Einsicht: Der Mensch gehört sich selbst. Seine Zeit, seine Arbeitskraft und sein Leben stehen nicht dem Staat oder einem Kollektiv zu, sondern ausschließlich ihm.
Dieses Verständnis spiegelt das Nichtaggressionsprinzip wider: Niemand darf gegen seinen Willen für fremde Zwecke instrumentalisiert werden. Der Staat ist in liberaler Sicht nicht der Herr, sondern allerhöchstens der Wächter einer Ordnung, die Freiheit schützt. Er hat die Aufgabe, Rechte zu sichern – nicht sie zu überschreiben oder sie zu überschreiten.
Die Wurzeln dieses Denkens reichen zurück zu John Locke, der im 17. Jahrhundert „life, liberty and property“ als unveräußerliche Rechte beschrieb. Für ihn war klar: Kein Monarch und keine Mehrheit darf über das Leben des Einzelnen verfügen.
Später, im 20. Jahrhundert, griffen Ökonomen und Philosophen diese Ideen auf und machten sie zum Kern einer modernen Freiheitsphilosophie.
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises warnte: „Regierung bedeutet immer Zwang und Gewalt und ist notwendigerweise das Gegenteil von Freiheit. Regierung ist nur dann mit Freiheit kompatibel, wenn sie sich strikt auf ihren Schutzauftrag beschränkt.“
Friedrich August von Hayek beschrieb in „The Road to Serfdom“, wie kollektive Planung den Einzelnen zum bloßen Mittel degradiert und so den Weg in die Unfreiheit ebnet. Seine Mahnung: Freiheit geht verloren, sobald der Staat glaubt, besser über das Leben der Bürger verfügen zu können als sie selbst.
Milton Friedman, einer der wichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, schrieb: „Die fundamentale Bedrohung der Freiheit ist Macht zur Anwendung von Zwang. Politische Freiheit bedeutet die Abwesenheit von Zwang durch Mitmenschen.“ Für ihn war klar: Freiheit und staatliche Zwangsdienste schließen sich aus.
Der libertäre Denker Murray Rothbard formulierte es am schärfsten: Für ihn war die Wehrpflicht nichts anderes als „eine Form der Sklaverei“. Denn wenn der Staat die Lebenszeit und den Körper seiner Bürger für sich beansprucht, behandelt er sie nicht mehr als freie Menschen, sondern als Eigentum.
Eine ebenfalls wichtige Stellung nahm Ayn Rand ein, die mit ihrem Objektivismus eine eigenständige Philosophie entwarf. Sie stellte Vernunft, Individualismus und Selbstinteresse ins Zentrum und lehnte jede Form von Zwang als moralischen Verrat ab. Ihr Satz „Das kleinste Minderheitenrecht ist das Recht des Individuums“ bringt den Kern auf den Punkt: Kein Kollektiv, keine Mehrheit und kein Staat darf über das Leben des Einzelnen verfügen.
Allen diesen Denkern ist gemeinsam: Freiheit ist nicht ein Geschenk des Staates, sondern besteht gerade darin, dass staatliche Macht begrenzt bleibt. Sobald der Staat beginnt, Bürger gegen ihren Willen in seinen Dienst zu stellen, verlässt er den Rahmen des Liberalismus. Er macht den Menschen zum Werkzeug – und bricht damit den Grundsatz, dass jeder sein eigenes Leben leben darf, wie er es für richtig hält.
Wehrpflicht als Zwangsdienst
Die Wehrpflicht ist ein klarer Eingriff in die individuelle Freiheit. Sie verpflichtet Bürger, meist junge Männer, über einen bestimmten Zeitraum ihre Lebenszeit, ihre Arbeitskraft und ihren Körper dem Staat unterzuordnen – unabhängig davon, ob sie dies freiwillig möchten.
Aus liberaler Sicht ist dies nicht nur ein praktischer Zwang, sondern ein moralischer: Der Einzelne wird zum Mittel staatlicher Zwecke degradiert und verliert die Kontrolle über sein eigenes Leben.
Im Unterschied zur staatlichen Pflicht von Steuern ist die Wehrpflicht unmittelbar körperlich und zeitlich bindend. Während Steuern „nur“ Geld beanspruchen, diktiert die Wehrpflicht, wie und wann ein Mensch seine Zeit verbringen muss. Der Zwang ist physisch, organisatorisch und psychologisch spürbar.
Und historisch gesehen zeigt sich, dass Wehrpflichtsysteme selten nur der Verteidigung dienten. Im 20. Jahrhundert wurden junge Menschen in vielen Staaten für aggressive Kriege oder Expansionen eingesetzt, häufig ohne jede individuelle Wahlmöglichkeit. Auch demokratische Staaten, die Wehrpflicht als Mittel zur Sicherung der Freiheit einführen, setzen auf ein ähnliches Prinzip: Der Bürger wird nicht als autonomes Subjekt, sondern als Ressource betrachtet.
Die Wehrpflicht raubt dem Einzelnen nicht nur Zeit und Arbeitskraft, sie raubt ihm seine Freiheit. Menschen werden gezwungen, ihr Leben für Ziele einzusetzen, die sie nicht gewählt haben, und ihr Körper, ihre Energie und ihre Entscheidungen werden Eigentum des Staates. Aus liberaler Sicht ist dies ein fundamentaler Bruch mit dem Prinzip der Selbstbestimmung: Ein Mensch wird gezwungen, ein Werkzeug für fremde Zwecke zu sein, statt ein souveränes Subjekt seines eigenen Lebens. Die Wehrpflicht ist daher nicht nur ein administrativer Zwang, sondern ein moralischer Diebstahl – ein Stück der persönlichen Freiheit wird gewaltsam genommen und kann nie zurückgegeben werden. Alles durch Zwang, um ein kollektivistisches Ziel zu erreichen, das man selbst nicht gewählt hat.
Auch die ökonomische Perspektive verstärkt die Kritik. Wenn Menschen gezwungen werden, Tätigkeiten auszuführen, für die sie weder geeignet noch motiviert sind, entstehen Ineffizienz und Verschwendung individueller Talente. Liberale betonen, dass Menschen dann am meisten leisten, wenn sie frei wählen, wofür sie ihre Fähigkeiten einsetzen. Zwang hingegen zerstört Motivation, Eigenverantwortung und Kreativität.
Darüber hinaus wirft die Wehrpflicht ein Gerechtigkeitsproblem auf. In der Praxis trifft sie oft bestimmte Gruppen härter, während andere Gruppen Schlupflöcher oder Ausnahmen finden. Gleichheit im Zwang ist jedoch keine Freiheit, sondern erzwungene Konformität. Schließlich raubt die Wehrpflicht den Menschen einen unschätzbaren Teil ihrer Lebenszeit – ein Gut, das Liberale als besonders wertvoll betrachten. Jeder Tag, den der Staat beansprucht, geht unwiederbringlich verloren, ohne dass der Einzelne selbst darüber entscheiden kann.
Die Wehrpflicht ist kein Mittel zur Stärkung von Freiheit, sondern ihr Gegenteil. Sie zwingt Bürger, ihr Leben für das Kollektiv aufzugeben, beschneidet Selbstbestimmung und widerspricht dem Nichtaggressionsprinzip. Aus liberaler Sicht ist sie daher unvereinbar mit einer Gesellschaft, die die Autonomie und Rechte des Individuums respektiert.
Praktische Aspekte, Alternativen und liberale Gegenargumente
Die theoretische Kritik an der Wehrpflicht wird besonders deutlich, wenn man ihre praktischen Konsequenzen betrachtet. Der Wehrdienst bindet junge Menschen physisch, psychisch und organisatorisch.
In Deutschland etwa dürfen normale Bürger Waffen weder führen noch besitzen, doch plötzlich sollen sie im Rahmen der Wehrpflicht scharfe Waffen bedienen. Dieser Widerspruch zeigt, wie stark der Staat in die Autonomie des Einzelnen eingreift: Aus liberaler Sicht ist es absurd, dass jemand, der sonst nach Gesetz nicht bewaffnet sein darf, plötzlich gezwungen wird, sein Leben und seine körperliche Integrität für den Staat einzusetzen.
Neben der Ausbildung unter Zwang besteht die Wehrpflicht aus strikten Zeitplänen, körperlichen Anforderungen und psychischem Druck. Junge Menschen werden gezwungen, Fähigkeiten zu erlernen und Aufgaben zu erfüllen, die sie nicht gewählt haben, während sie für Ziele kämpfen sollen, die sie nicht selbst bestimmt haben. Das ist ein fundamentaler Bruch mit dem Prinzip der Selbstbestimmung.
Das Individuum, das gegen den erzwungenen Wehrdienst ist, hat keinen Krieg begonnen und ist kein Teil eines Kollektivs, das über seine Rechte verfügt. Jeder Mensch soll sein Leben selbst gestalten, ohne dass Andere ihn zu etwas zwingen, nur um ihre eigenen Interessen zu verteidigen.
Doch vielen Menschen, egal ob Politikern oder Bürgern, geht es darum, die Rechte des Individuums zu minimieren. Individuen werden als Teil eines Kollektivs angesehen, das ein Ziel zum „Wohle aller“ erreichen soll. Es ist egal, dass Pazifisten durch eine Wehrpflicht gezwungen werden, gegen ihr Gewissen zu handeln. Es ist egal, dass der Bürger keinen Krieg angefangen hat. Und es ist egal, ob das Individuum nichts mit dem Krieg zu tun haben will. Denn im Endeffekt spielen all diese individuellen Gründe dagegen keine Rolle für kollektivistisches Denken.
Ein weiteres Argument der Befürworter lautet oft, dass ohne Wehrpflicht ein Land leicht überfallen werden könnte und niemand sich wehren würde. Aus liberaler Sicht ist die Antwort klar: Wenn ein Aggressor ein Land bedroht und niemand freiwillig eingreift, war es die freie Entscheidung der Bürger, dieses Risiko in Kauf zu nehmen.
Historische und psychologische Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Mehrheit der Bevölkerung in einer echten Bedrohungslage bereit ist, freiwillig zu handeln, um ihre Heimat zu verteidigen. Freiwillige Reservisten, Berufsarmeen oder zivile Schutzorganisationen werden dann mobilisiert, ohne dass Menschen gezwungen werden.
Moderne Sicherheitskonzepte zeigen, dass Freiheit und Verteidigung keinen Zwang erfordern: Durch Berufsarmeen können Soldaten besser bezahlt werden, was den Dienst attraktiv macht. Zwar ist die daraus resultierende Finanzierung eine neue Frage für später, doch das wichtigste Prinzip bleibt: Niemand darf gezwungen werden, teilzunehmen. Der Dienst ist vollkommen freiwillig.
Freiwillige Reservisten sind Bürger, die sich aus Überzeugung melden. Sie bringen Motivation, Kompetenz und Eigenverantwortung mit. Alles zum Schutz der Gesellschaft, völlig ohne Zwang, und dazu auch effizienter und gerechter.
Diese Modelle zeigen, dass ein Land verteidigungsfähig bleiben kann, ohne die Freiheit seiner Bürger zu opfern. Zwang ist nie notwendig, um Sicherheit zu gewährleisten. Egal ob Wehrpflicht, Pflichtjahr im sozialen Bereich oder sonstige staatlich erzwungene Dienste – Zwang bleibt Zwang, und er bleibt ein Eingriff in das grundlegende Recht auf Selbstbestimmung.
Befürworter der Wehrpflicht argumentieren, sie sei notwendig, um die Freiheit der Gesellschaft zu verteidigen oder um Solidarität und Bürgertugend zu fördern. Aus liberaler Sicht entkräften sich diese Argumente selbst: Freiheit kann nicht durch die Entrechtung einzelner Menschen gesichert werden. Wer die Freiheit des Individuums opfert, zerstört die moralische Basis dessen, was verteidigt werden soll.
Solidarität und Bürgertugend entstehen freiwillig, durch Einsicht und Engagement, nicht durch Zwang. Egal wie nobel das Ziel erscheint, der Zwang zur Teilnahme verletzt fundamentale liberale Prinzipien: Selbstbestimmung, Eigentum am eigenen Leben und die Unverletzlichkeit des Körpers.
Die Wehrpflicht stellt einen klaren Widerspruch zur Freiheit dar. Sie raubt Lebenszeit, zwingt Bürger gegen ihren Willen, verletzt das Prinzip der Selbstbestimmung und macht den Einzelnen zum Werkzeug staatlicher Zwecke. Moderne Alternativen zeigen: Verteidigung kann freiwillig, effizient und gerecht organisiert werden. Aus liberaler Sicht bleibt der entscheidende Punkt: Zwang darf niemals das Mittel sein, um Sicherheit oder Ziele Anderer zu erreichen.
Schlussfolgerung
Freiheit lässt sich nicht erzwingen. Wer eine freie Gesellschaft verteidigen möchte, muss Zwang ablehnen und auf freiwillige, selbstbestimmte Teilnahme innerhalb der Gesellschaft setzen. Wehrpflicht ist daher nicht nur falsch, sie ist mit den Grundwerten des Liberalismus unvereinbar.
Information
Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 28. November erscheinenden Dezember-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 258.
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