11. Januar 2025

Kurzgeschichte zum Thema „Politik ist nicht die Lösung“ Licht der Freiheit

Prämierter Beitrag zum Libertären Literaturpreis 2024, Platz drei

von Fabian Hartje

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Bildquelle: KI: ChatGPT Licht der Freiheit

I. Dunkle Leere in einer vergifteten Welt

Ach, wo bist Du hin, oh liebes Licht? Im Dunkeln wartet’s Schaudern. Sag, was ist’s, das zu mir gierig spricht? In Tunneln schabt es lauernd. Halt! Das Böse bricht sich wütend Bahn – so trägt es mich in Trauer. Kalt nun Herz und Seele brüten Wahn – oh, lähmt es uns auf Dauer?

Es war schlimmer als befürchtet und doch genauso wie gedacht. Schon aus der Ferne hatte das Verderben dieses Ortes den Ankömmlingen einen Gestank toter Stille entgegengeschleudert, sie mit Beklommenheit und Erschütterung überworfen, sobald sie in dieses Überbleibsel eines längst verdorrten Seins getaucht waren. Jedes Mauerwerk restlos zerfallen, jeder Holzbalken so morsch, dass der bloße Anblick ihn zu Staub zermahlte. An diesem Ort schien die Erde so schwer zu sein, als zerrte sie an jeder Materie mit dreifacher Kraft, um sie sich endlich zurückeinverleiben zu können. Es war so dunkel in dieser Schwere, als würde die Sonne sich weigern, ihre Strahlen an diesen besessenen Ort zu schicken. Und auch der Wind schien es nicht zu wagen, durch diese Ruinen der Finsternis zu blasen – die dunkle Schwere lastete still auf jener beklemmenden Umgebung.

Sie erreichten das, was einst der Marktplatz gewesen, was früher einmal Herz und Seele des Miteinanders, Geist und Quelle des Wohlseins … doch das war lange her. Im Zentrum des Platzes ragten ihnen leblose Überreste als Ausdruck des Übels entgegen – grobe Steinmassen in verkommenem Schwarz, dessen Betrachtung die Augen Schmerzen leiden ließ. Wo während der guten Tage die heilige Säule der Rechtssätze der Lebenslichter gestanden, verdarb nun durch Bosheit verrottetes Gestein, das selbst in den allerletzten Tagen der politischen Herrschaft noch von aller durch den Wahn des Dunkels vergifteten Geister Hände behauen werden musste. Die Skulptur des politischen Herrschers, der sich selbst Marc der Große getauft hatte – war er doch eigentlich recht klein gewesen –, hatte jedes andere Gebäude überragen sollen. Doch der Plan war nicht bis zur Endausführung gelangt, aus den Steinbergen nie mehr als ein Schuhpaar herausgeschlagen worden, das nun bereits zur Hälfte im Untergrund versunken war – die Erde gierte nach dem, was hier über ihr lag.

Sie trennten sich. Ein jeder wollte nach Andenken an die verlorenen Seelen, nach Erinnerungen an verstorbene Verwandte, nach als Mahnmal dienlichen Gegenständen für das Gedenken der geopferten Geister suchen. Drei Tage wollten sie bleiben – in Zelten außerhalb des Dorfes natürlich – und während dieser Zeit diesem Ort eine letzte heilige Säule widmen … um der einstigen Freiheit willen.

Das Heim seiner Kindheit, das Haus seines Vaters zu finden, stellte sich als gar nicht so einfach heraus. Wo sich alles Erschaffene in unbändiger Strahlkraft und unzähligen einzigartigen Merkmalen hervorzuheben weiß, kennt die Zerstörung nur die Gleichheit im Grau. So bahnte sich Johann seinen Weg durch Schutt und Asche, jeder Schritt schwer im Sog des Dunkels, denn weder ein Leben, das durch seine Bewegung dem Grau zu entfliehen versuchte, noch ein Geist, der durch seine Freiheit der Gleichheit der Zerstörung trotzte, war hier willkommen.

Schließlich hatte er es gefunden. Johann schloss die Augen … Zigarre rauchend saß ein lächelnd grübelnder Mann in bestem Lebensalter vor ihm auf einer marmornen Gartenbank. Ein ledernes Notizbuch auf den überschlagenen Beinen ruhend, verlor sich sein glänzender Blick in den sattblauen Weiten, schweifte über sich wiegende Bäume und verschwamm bisweilen hinter vollmundigen Rauchschwaden, die wie Gedankenströme seinem Geist entflossen, so lebhaft und sinnend schien sein Atem. Ein Zucken seiner Augenbrauen verriet einen neuen Gedanken, der nun bereit war, in blaue Tinte auf gelbes Pergament übersetzt zu werden. Bedächtig kratzte die goldene Mine die Worte ihres Herren auf die erwartungsfrohen Seiten. Dann blickte sein Vater wieder auf, das Brandende seiner Zigarre zufrieden erglimmend. Neben der marmornen Bank, deren Armlehnen von goldenen Lianen umschlungen wurden, hatte die Familiensäule ihren Platz – wie üblich vor dem Haus und gut sichtbar für jeden Gast, der das Grundstück betritt. Ebenfalls aus Marmor türmten sich hier die Andenken an ein jedes Familienmitglied in Form handbreiter runder Platten empor, auf deren glänzender Außenfläche goldverzierte Reliefs sowie geschwungene Lettern die Lebensgeschichten und Vermächtnisse der verstorbenen Personen erzählten und die gemeinsam die heilige Säule der Familie ergaben … Johann schreckte auf und schnappatmete reflexartig tief ein. Doch seine Lungen verspürten nicht die lebensweckende Kraft, die frische Luft sonst zu spenden vermochte, sondern erschauderten an dem Geschmack der trockenen Verwesung, der sich störrisch über diesen Ort gewälzt hatte.

Rammdösig ob der faulen Luft sowie des Herausschreckens aus seinem Erinnerungstraum hielt Johann, sich auf seine Knie stützend, für einen Moment inne. Es war wieder grau um ihn herum. Er raffte sich auf und trat näher an das eingefallene Haus heran. Die Bank, auf der eben noch sein Vater gesessen, hatte dem Sog des Dunkels nicht widerstehen können – die dicken Marmorsitzplatten lagen in vergilbtem Weiß entzweigebrochen auf der schwarzen Erde. Doch die heilige Familiensäule stand noch dort – unversehrt und strahlend. Den freiheitlichen Seelen seiner Vorfahren hatte das niederträchtige Gespenst nichts anhaben können, das alle seelenlose Materie nach nur wenigen Jahren in den aschgrauen Verfall gezwungen hatte. Die Säule aus kreisförmigen Marmorplatten und damit die Geschichte seiner Familie stach unbescholten aus den erblassten Trümmern hervor – Gold auf Weiß. Berührt und durch Zuversicht bestärkt, betrat Johann das Haus, in dem er so glücklich mit seinem Vater gelebt … bis sich schließlich alles hatte verändern sollen.

Eine Stunde lang ging er von Erinnerungen benommen durch alle Räume. Vieles war dermaßen heruntergekommen, als sei es mehrere Dekaden den unablässigen Witterungen der Natur ausgesetzt gewesen. Doch in diesem Haus, in diesem Dorf hatten wahrlich übernatürliche Kräfte gewütet. Selbst die Lebenslichter waren den dunklen Gedanken in direkter Auseinandersetzung nicht gewachsen gewesen. Lediglich umschließen und eingrenzen hatten sie das Übel können, sodass der umliegende Wald vom Verderben verschont geblieben war. Manches beseelte Erinnerungsstück hatte dem Verfall jedoch entrinnen können – Johann sammelte ein Porträt von seiner Mutter, den einzigen Roman seines Vaters, „Star Rock Jasmine“, und eine Rosenholzblüte, die er als Kind geschnitzt und blau bemalt hatte, ein.

Er stand nun vor dem ehemals dunkelholzig glänzenden Schreibtisch seines Vaters. Das kriechende Schwarz hatte sich dessen längst bemächtigt, doch noch widerstrebte das Holz einem Einsturz, als kämpfte es für und um etwas. Johann zog die Schublade unterhalb der massiven Schreibtischplatte auf … Staunend erblickte er darin das lederne Notizbuch seines Vaters. In einem herzhaften Braun ruhte es gemächlich und wohlbehütet in seinem hölzernen Versteck. In Johann stieg ein Gefühl unermesslichen Glücks empor – er würde die Worte seines Vaters lesen können. Und nicht irgendwelche Worte, sondern die persönlichsten und wichtigsten Gedanken, denn dieses Buch hatte immer bei seinem Vater verweilen dürfen, wenn jener draußen vor dem Haus oder hinten im Garten gesessen und gedacht, seine Zigarren geraucht hatte. Er griff nach dem im Leder geborgenen Pergament, das die Gedanken seines Vaters verwahrte, und augenblicklich gab unter ächzendem Stöhnen – als verlasse das Holz nun alle Kraft – der Nussholzschreibtisch sich dem Willen der Erde hin und fiel in sich zusammen. Blassgrau lag das tote Holz ergeben auf dem Boden, hatte nun seinen Dienst für den freien Geist der Worte von Wilhelm Johann verrichtet. Ein Lebenslicht schimmerte wohlig-braun aus den Holzresten heraus und verschwand in einem Wimpernschlag zwischen den Seiten des Buches seines Vaters. „Danke“, flüsterte Johann versonnen in sich hinein.

Er ging wieder nach draußen, setzte sich an die marmorne Familiensäule, schlug das Buch seines Vaters auf und begann zu lesen …

II. Ein freies Sein im Lebenslicht

Freiheitseifrig, handlungseilig, wohnt der Natur ein Leuchten inne; herzergriffen, mutbeflissen, lohnt die Statur der Leutchen Sinne. Traumversonnen, glücksbenommen, lebt dies’ Gefühl noch alle Tage; seelenfriedlich, wohlergiebig, hält das Gemüt der Welt in Waage. 

>> Meinem Sohn Johann.

Dir zu eigen, auf dass Du immer in Freiheit leben mögest, wie es auch mir beschieden war. Wie einst mein Vater mir seine Lebensgeschichten niederschrieb, möchte auch ich Dir übergeben, was sich mir offenbarte. Lies also behutsam und achtsam, fürsorglich und bedacht. Diese Worte sollen Dir Segen geben und Lichter rufen, wenn Du nach ihnen suchest.

Kapitel eins – Die Herrscher in der Ferne über Luft, Menschen und Erde:

Einst ein Wanderer aus fremder Welt, sich auf uns’ren Marktplatz stellt und aufgedrungen Reden hält. Wer hier Herrscher sei, hat er gefragt, denn er habe guten Rat. In der Weite sei ein Reiche, das erbleiche stetig schleichend. Leicht, so sagte er, man könne, es erobern und bezwingen, später dann von Siegen singen. Ihm zufolge ein lieblich Land, die Menschen ohne Widerstand. Dann, sein Reden ohne Halt, ein kleines Mädchen fragt ihn bald, was denn so ein Herrscher sei. Vor Verdutzen gar verstummt, stand er da mit off’nem Mund und hielt das Mädchen doch für dumm. „Sag, wie heißt du denn, du Kleine?“, „Ich bin Lena. Und du heißest?“, „Jakob, Jakob Wandermann, der noch jedes Land gekannt und auch jene Herrscher dort, von West nach Ost, von Süd nach Nord.“ – Sodann Lena wandte sich geschwind an ein ält’res Nachbarkind: „Sag du, Marlene, weißt du weiter, was der Mann mit Herrscher meinet?“ Und Marlene sprach zum Fremden: „Unser Land in uns’ren Händen. Jeder herrscht hier über sich, seine Kinder, sein Geschick. Wenn du mit uns handeln magst, bist du richtig auf dem Markt.“ Jakob sprang nun aufrecht auf: „Wie? Kein Herrscher? Welch’ ein Graus! Wer dann eure Straßen baut? Und wer euch sagt, was ist erlaubt?“ Marlene aber musste lachen: „Ja, was erzählst du denn für Sachen? Siehst du ein Unrecht auf dem Markt? Stehst du auf Steinen oder Matsch?“ Der Wandermann schwieg sodann, sah sich um und Zeit verrann. Er besann sich nun zu lernen, wollte Neues sehen gerne, war gespannt auf Ort und Leut’, doch musste auch noch weiter heut’. Und so zeigten ihm die Mädchen das freie herrscherlose Städtchen. Irgendwann es wurde Abend, die Kinder winkten und dann rasch nach Hause gingen. Nun stand da Jakob Wandermann, der noch jedes Land gekannt und wusste doch nach diesem Tag, dass dieser Ort besonders ward. Unter allen fernen, ihm bisher bekannten, von Herrschern beherrschten Landen gab es sowohl diese, die wohlhabend und friedlich waren, als auch solche, die in Leid und Elend lagen. Doch in einem and’ren Punkt lief hier alles andersrum. Die Menschen hier ihm brachten neuartige Gedanken, denn sie alle machten ganz anders alle Sachen und vor allem dachten sie viel freier beschaffen. Überall hier Zuversicht, alles Handeln Hoffnung spricht, gewerkelt wird den ganzen Tag, die Arbeit macht den Menschen Spaß, geholfen wird hier jedermann, so dachte sich der Wandermann. Und um noch mehr vom Ort zu sehen, wollte er nicht fort jetzt gehen, blieb noch eine Nacht beim dicken Wirt am Nebelbach. Doch auch am Tag darauf er war so sehr erstaunt, dass er nicht gehen wollte, und ja, er blieb bis heute. Und so schrieb Jakob Wandermann von ferner Lande Untergang, von Herrschern dort und überall, doch von dem Wunder hier im Tal, den freien herrscherlosen Menschen, im kleinen Lichtertale-Städtchen. Und so der Mann, der alles kannt’, diesen Ort für gut befand, wie keinen anderen bislang, und wurde Jakob Bleibemann.

Kapitel zwei – Die Rechtssätze der Lebenslichter:

Es war ein Herbsttag voller Stürme. Der Regen fiel nicht bloß vom Himmel, sondern führte eine Schlacht gegen alles, was hier unten erreichbar war. Die Wolken schienen sich an diesem Tag nicht zu erschöpfen, immer neue Salven an Wasser peitschten und peitschten auf das Lichtertal nieder, schlugen drohend auf alle Dächer. Die Natur spürte, dass die Harmonie unseres Miteinanders auf die Probe gestellt war. Denn in den letzten Wochen hatten sich zu viele Konflikte aufgetan, eine Auseinandersetzung nach der anderen war ausgebrochen, mitunter traten wir uns beinahe misstrauisch und feindselig auf den Straßen gegenüber. Eine fremdartige, bedrückende Atmosphäre hatte sich dieser Tage über unser Dorf gelegt, die Luft roch nach Streitigkeiten – scharf und stechend. Der Tag des neuen Rechtssatzes.

Begonnen hatte alles mit dem Versiegen des Silberstromes, dem kleinen schnell fließenden Flusse, dessen perlenreines Wasser von der Familie Silberflur bewirtschaftet wurde. Die Familie hatte mehrere Kanäle angelegt, um erstens naheliegende Felder zu bewässern, die sie an Bauernfamilien verpachtete, um zweitens drei Trinkwasservertriebsstellen im Dorf anzubieten, um drittens ein großes steinernes Dusch- und Waschhaus zu versorgen, das die Kanalabzweigung auf Dachhöhe empfing und das Wasser mittels zahlreicher Fließrinnen aus den Wänden sprießen ließ, bevor es sich im Boden in einem Abflusskanal sammelte und zurück in den Silberstrom floss, und um viertens eine neuartige, dorfmittig gelegene sanitäre Anlage zu betreiben, deren Abwässer sogar unterirdisch zurück in den Fluss geleitet wurden. Wer einen fixen monatlichen Beitrag zahlte, durfte alle Services der Familie Silberflur beanspruchen. Wer jedoch nicht zahlen wollte oder konnte, musste eine längere Fußstrecke auf sich nehmen, um weiter oberhalb des Silberstromes selbst Trinkwasser zu besorgen und weiter unterhalb den Fluss für alles Übrige zu verwenden. Die zweite Wasserquelle des Lichtertals, der Nebelbach, gehörte der Familie Nebelhain, die hauptsächlich Holz als Brenn- und Werkstoff vertrieb, nebenher jedoch gegen einen geringen Abschlag die Leute zum Waschen oder Wasserholen an den gemütlich plätschernden Nebelbach ließ.

Nun aber floss eines Tages der Silberstrom nicht mehr und die Nebelhainer verzehnfachten noch am selben Tag den Abschlag für die Verwendung ihres Baches. Auch wollten sie es nicht zulassen, dass die Leute weiter ober- oder unterhalb kostenfrei an den Nebelbach treten durften – sie beanspruchten dessen gesamten Lauf für sich. Im Dorf brachen Tumulte aus und bald bekam nur noch derjenige Zutritt zu dem Gewässer, der ein Zertifikat der Familie Nebelhain vorweisen konnte. Der Zugang zu Wasser war nun abhängig vom Wohlgefallen der Nebelhainer und die Menschen wandten sodann viele Mühen auf, um der Familie Geschenke zu machen oder sich auf andere Weise anzubiedern. Das Oberhaupt der Familie, Florian Nebelhain, war ein gerissener alter Kauz, den angesichts des plötzlich flüssigen Goldes die Gier vereinnahmt hatte. Und so bezahlte dieser bald eine eigene Nebelbachgarde, die jeden Bewohner vom Wasser fernhielt, und versteigerte schließlich täglich den Zugang zum Nebelbach zu Wucherpreisen. Nur des Nachts und gut drei Kilometer von seinem Hof entfernt, ließ er zwar die Leute stillschweigend zum Trinken an das Wasser, ihnen bei der Wiederkehr ins Dorf jedoch jeden Wasserkübel abnehmen.

Die Familie Silberflur wiederum war unlängst nach Versiegen des Silberstromes mit einer bewaffneten Delegation flussaufwärts gezogen, um die Ursache des Desasters umzukehren, doch niemand wusste, ob und wann sie Erfolg haben würde. Derweil war im Lichtertal das Wasser aus dem Nebelbach zu einer neuen Währung geworden, deren Ausgabemenge von der täglichen Laune des Herrn Nebelhain abhing. Die befreundeten Familien der Nebelhainer verkauften nun die Nebelbachzertifikate, an dessen Vertrieb sich zahlreiche Familien als Unterhändler beteiligten. Unlängst bot ein Buchmacher Wetten auf stündlich aktualisierte Handelskurse jener Zertifikate auf dem Sekundärmarkt an. Das Dorf war gespalten in eine kleine Clique von Erlauchten, die freien Zugang zum Nebelbach genossen, und denen, die um den Zugang wetteifern und Wucherpreise zahlen mussten, den Günstlingen der Nebelhainer ausgeliefert.

Unterdessen trafen wir uns regelmäßig auf dem Marktplatz an der heiligen Säule der Rechtssätze, um unsere Möglichkeiten zu diskutieren. Zu viele waren mit den Silberflurern abgezogen, als dass wir gewaltsam gegen die Nebelhainer hätten vorgehen können, um dieses Unrecht zu stoppen. Denn unsere Rechtshinweisungen ignorierten die neuen Wassermonopolisten und demgemäß waren wir vorerst mittellos. Unsere altehrwürdigen Rechtssprüche erbleichten dieser Tage zu einem trüben Ausdruck – kraftlos lagen dort die marmornen Quader aufeinandergetürmt. Einer von ihnen lehrte uns: „Gedenke in der Not des Nächsten, so hilft er dir, bist du am schwächsten.“ Wir warnten die Nebelhainer, dass es die Lebenslichter erzürnen und unseren Glauben verraten würde, sollten sie sich einer Rechtserörterung verwehren. Doch sie wiesen uns ab und ließen auch diesen Rechtssatz unbeachtet: „Verweist dich jemand auf das Recht, so sprich mit ihm, sonst er sich rächt.“

So vergingen drei Wochen, dann kam der Regen. Zunächst begann es zu nieseln, doch nach ein paar Tagen wurde der Regen stärker und hielt an. Handwerker hatten sich Auffangstationen für das Regenwasser einfallen lassen, um die Leute mit Trinkwasser versorgen zu können. Doch die Sippe der Nebelhainer und deren Verbündeten wussten das zu verhindern, verbrannten alle Auffangvorrichtungen und verhängten ein Verbot über das Sammeln von Regenwasser. Nun hatten sie völlig ungehemmt eine unserer zentralsten Regeln gebrochen – die mannshohe marmorne Säule der Rechtssätze auf dem Marktplatz war zu einem sterbenden Grau erschlafft. Blutdicke Tränen quollen aus dem Quader, auf dem es hieß: „Das Schaffen eines jeden soll nur ihm selbst obliegen; was er auch möge weben, die Freiheit soll obsiegen.“

Nach abermals wenigen Tagen platzten letztlich die Wolken auf und eimerweise durchtränkte Starkregen das gesamte Lichtertal. Dies war also der Tag des Prozesses. Die Delegation der Silberflurer kehrte inmitten der sintflutartigen Regenfälle zurück und schloss sich umgehend mit weiteren bewaffneten Männern zusammen, um zum Haus der Nebelhainer zu ziehen und dessen alten Herrn festzunehmen. Einer der Handwerker war vor einigen Tagen den Silberstrom flussaufwärts geeilt, nachdem die Nebelhainer das Wasserauffangstationenproduktionsverbot erlassen hatten, und war wohl frühzeitig auf die Silberflurer getroffen, die sich bereits auf dem Rückweg befunden haben mussten und bei Ankunft entsprechend über die Geschehnisse im Dorf Bescheid wussten. Der alte Nebelhain wurde zum Marktplatz gebracht, wo sich alsbald die gesamte Dorfgemeinschaft eingefunden hatte. Bereits zu diesem Zeitpunkt war auf den Gesichtern einiger Handlanger der Nebelhainer eine Spur von Reue sichtbar geworden. Die Oberhäupter aller Familien traten vor und schlossen sich in einem Kreis um die heilige Säule der Rechtssätze herum zusammen.

Alexander Silberflur, ein sehr besonnener und angesehener Mann, sprach als Erster in die Runde und fragte den alten Nebelhain, was seine Intention gewesen sei, das Recht zu brechen, indem er die Not der Stunde missbraucht und ausgenutzt habe. Dieser musste nun die Rechtssätze vortragen, die er gebrochen hatte, und antwortete dann beschämt, er habe nur ein gutes Geschäft machen wollen und sich dann immer mächtiger gefühlt, gar wie ein Herrscher. „Wärest du ein Herrscher, würdest du jetzt an einem Galgen hängen und nicht vor den Rechtssätzen stehen. Möchtest du ein Herrscher sein?“, fragte der Herr Silberflur. Der Rechtsbrüchige schüttelte eiligst den Kopf und unterwarf sich sogleich dem Urteilsspruch des Rechtsprechenden. Einige Namen wurden diskutiert, bevor Herr Silberflur mich vorschlug, denn es sei mein Vater gewesen, der den letzten Rechtssatz gesprochen hatte, und ich sei zudem derjenige, der als Händler am meisten gereist sei und demnach das beste Verständnis unserer Wirtschaft sowie unseres Zusammenlebens habe. Eine sehr große Mehrheit fand sich, um mich zur Rechtssetzung zu berufen. Also trat ich vor.

Die heilige Säule der Rechtssätze erstrahlte mir in kräftigem Weiß. In der gesamten Umgebung vernahm ich das Aufleuchten und Funkeln zahlreicher Lebenslichter, die gekommen waren, um mir Weisheit zu leihen. Sie kannten die Wahrheiten aller Herzen und Gedanken aller Geister, waren sie doch selbst Ausdruck des Wunders der Natur. Ich umkreiste also die marmorne Säule und rief mir alle bisherigen Rechtssätze ins Gedächtnis. Und wie von selbst erhoben sich klare Gedanken in mir, die Antwort zu geben wussten und ich sprach: „Gegen ein gutes Geschäft ist nie etwas einzuwenden, denn ein solches bildet die Grundlage allen Wohlstandes. Auch darf man die Preise seiner Güter nach eigenem Belieben aufrufen, denn niemand hat das Recht, diesbezüglich eine Vorgabe zu erteilen. Sogar an einer Vormachtstellung auf dem Markt ist nichts auszusetzen, denn derjenige, der als Einziger Kerzen verkauft, darf dies auch als Einziger. Das Problem lag hier in der existenziellen Notlage.“ Ich trat an einen blanken weißen Quader, sprach und es schrieben sich in deutlichem Schwarz die Worte: „Wer von einem alles hat, das doch alle brauchen, soll die Hälft’ verkaufen, aber dann in and’re Hand.“ Ich richtete mich an Herrn Nebelhain und sprach zu ihm: „Des Nebelbaches hast du dich nicht würdig erwiesen, doch auf dein Holz wollen wir nicht verzichten. Du hast Reue gezeigt und sollst bleiben dürfen, aber den Bach musst du verkaufen. Und zwar zu zwei gleichen Teilen, sodass sich Geschehenes nicht wiederholen möge.“ Angefangen mit dem alten Nebelhain trat jedes Familienoberhaupt nacheinander vor, legte die Hand auf den neuen Rechtssatz und sprach ihn laut aus. Denn in unserer Gemeinschaft sollen nur diejenigen leben, die sich an die für alle verbindlichen Regeln halten wollen.

Nach einer Woche führte der Silberstrom wieder Wasser. Die Delegation hatte sich mit einem benachbarten befreundeten Fürsten zusammengetan, der vom gleichen Problem betroffen gewesen war, und schließlich den Ort der Ursache erreicht. Ein König, ein Dutzend Tage den Fluss hinauf, hatte einen See angestaut und damit den Fluss ausgetrocknet. Die Silberflurer und der Fürst erzielten eine Abmachung mit dem König – eine gewaltsame Auseinandersetzung hatte vermieden werden können. Den See sollte er anstauen dürfen, jedoch immer ausreichend Wasser in den Silberstrom leiten. Die Familie Nebelhain wiederum verkaufte alsbald den Nebelbach zu gleichen Teilen an zwei Familien. Diese einigten sich darauf, den kleinen Bach ihrerseits gemeinsam zu einem See anzustauen, auf dass erstens nie wieder das Wasser ausginge und zweitens die neuen Bachläufe – sie wollten einen zweiten anlegen, sodass jede Familie einen besaß – mehr Wasserdruck zustande brächten. Ein weiteres Dorf, dass von diesem Bach abhängig war, war ihnen ohnehin nicht bekannt. Nach einigen Wochen schon erfuhren sowohl die Altnebelquelle als auch der Neuhainkanal eine ähnlich umfangreiche Bewirtschaftung wie der Silberstrom.

Kapitel drei – Die Flüchtigen des Nordwachtkrieges:

Es war Winter, da trug uns ein Händler die Kunde zu, dass nördlich von hier zig Tage entfernt zwei Könige um ein großes Dorf am Nordwachtberg kämpften, das seinen Herrscher gelyncht hatte, nachdem dieser jeden Untertan hatte zwingen wollen, für sein Großprojekt der Umgestaltung der Bergspitze zu einem Felsengesicht seines Antlitzes zu schuften. Bereits ein paar Wochen später kamen dann zehn Familien hilfesuchend im Lichtertal an. Der grüne König der Wiesenweiten hätte den Krieg gewonnen und kurz darauf alle seine neuen Untertanen dazu verdonnert, nun sein Antlitz in den Berg zu meißeln. In der darauffolgenden Nacht seien dann nahezu alle Familien geflohen, doch fast jeder Vierte dabei ums Leben gekommen, da man in der Dunkelheit blind mit Pfeilen auf sie geschossen hätte. Sie wären anschließend zerstreut in alle Richtungen gezogen, wobei ihre Gruppe zunächst in den Landen des Königs am Silbersee angekommen, jedoch abgewiesen worden sei, da der König die Nordwachtsleute nicht leiden konnte, dann das Fürstentum an den Stromschnellen erreicht, doch auch dort vergeblich Hilfe ersucht habe, denn dem Fürsten war sein Fürstentum voll genug. Nun waren sie also bei uns, die flüchtigen Familien des Nordwachtberges.

Ein Rat wurde einberufen, zu dem sich alle Hilfsbereiten auf dem Marktplatz versammelten. Die Flüchtigen tauschten sich mit den Dorfbewohnern aus und bald war für viele eine Verwendung gefunden, sodass sich für die Hälfte von ihnen Familien aus dem Lichtertal fanden, die für die Fremdländer bürgten und sie bei sich aufnahmen. Da war die Handwerksfamilie Fichtenschlag, die eine Mutter und deren beiden Söhne aufnahm, die beide geschickte Tischler waren; da war die Familie des Neuhainkanals, die mittlerweile die größte Wäscherei des Dorfes betrieb und die Hilfe eines alten Ehepaares samt deren vier Töchtern bereitwillig entgegennahm; da war die Steinmetzfamilie Händezart, die einem Großvater, dessen Sohn und drei Enkeln eine Heimat anbot, denn das ganze Dorf rüstete von Holz auf Stein, die Auftragslage konnte besser nicht sein und sowohl an Platz als auch an Geld mangelte es nicht; da waren die Silberflurer, die einen Kanalbauer und dessen Familie herzlich empfingen, und schließlich Jakob Bleibemann, der eine Spielmannsfamilie für sich gewann und mit ihnen viele Lieder sang. Außerdem stand ein alter Hof auf dem Grundstück des dicken Wirts leer, den er an die wohlhabendste Familie unter den Flüchtigen verkaufte. So blieben vier Familien übrig, denen wir keine dauerhafte Bleibe anbieten konnten. Doch einer unserer Händler wollte bald in den Süden ziehen und versprach, sie mit sich zu nehmen, sodass sie dort eine Bleibe finden würden.

Während der kommenden Monate florierte unsere Wirtschaft ungemein – das Exportaufkommen konnte größer nicht sein. Und in den folgenden Jahren, überall hört’ man es sagen, im Lichtertal ein Dorf aus Stein, dort muss ein großer Herrscher sein.

Kapitel vier – Das Silbertor zum Lichtertal:

Auf den Wiesen sprangen bunte Lebenslichter von Blüte zu Blüte, um ihnen Farbe einzuhauchen und ihnen den Frühling zu verkünden. Erste Vögel waren von weiten Reisen zurückgekehrt und belebten die frischen Morgenstunden im Lichtertal. Der dicke Wirt vergaß seine maulige Laune und hieß begeistert die ersten Gäste des Monats willkommen. Seine Tochter Lena spielte mit den Kindern der Gäste aus den Südwaldlanden „Herrscher und Beherrschte“ in unseren Händlerstraßen – ein Fangspiel, bei dem ein Kind als „Herrscher“ versuchen musste, alle anderen zu fangen, um sie zu „Beherrschten“ zu machen; wer ungefangen blieb und dabei alle „Beherrschten“ abklatschte, war „herrscherlos“ und hatte das Spiel gewonnen; wurden alle gefangen, hatte der „Herrscher“ gewonnen.

Gegen Mittag war ich bei der Familie Weitgut zu einem Händlertreffen eingeladen. Einmal im Monat tauschten wir uns auf diese Weise über die Güternachfrage und die Geschehnisse in den verschiedenen benachbarten Landen aus. Als ich eintraf, standen schon alle aufgeregt beieinander und diskutierten eifrig. Herr Ohrennetz hatte schlechte Kunde mitgebracht. Er war stets der am besten Informierteste unter uns, hatte viele Kontakte in weit entfernten Reichen und zahlte jedem Reisenden gutes Geld für Informationen. Wenn man erfahren wollte, womit man wann und wo ein besonders gutes Geschäft machen konnte, verkaufte er einem diese Informationen zuverlässig. Nun aber war er mit der Nachricht gekommen, dass sich im Süden hinter den drei Waldlanden ein mächtiger König darauf vorbereite, Richtung Lichtertal zu ziehen. Er habe von dem reichen fortschrittlichen Dorf gehört und wolle es als Vasallentum in sein Reich eingliedern, wie bereits die Südwaldlanden zuvor. Das bedrohliche Szenario erschreckte uns. Es brauchte einen Rat – unverzüglich.

Um vor den Augen und Ohren fremder Reisender zunächst verborgen zu bleiben, wurden alle Familienoberhäupter in ein fast fertiges Badehaus der Silberflurer außerhalb des Dorfes gerufen, das im Sommer Möglichkeit zur Abkühlung bieten sollte. Gottfried Ohrennetz berichtete von seinem Kenntnisstand und erklärte, dass König Strack der Verkrampfte ihnen mit seinem möglichen Aufgebot zahlenmäßig um das Zehnfache überlegen sei. Es wurde diskutiert und beraten, wie die nötigen Maßnahmen bezahlt werden sollten. Ich mischte mich daraufhin ein und erinnerte an folgenden Rechtssatz: „Wenn das Tale ist bedroht, wenn ein Krieg in Bälde droht, soll ein jeder gleich bezahlen, was gemeinsam wird beraten.“ Es wurde also erörtert, was vonnöten sein würde.

Der Steinmetz eine Mauer bot, um das Dorf zwei Meter hoch. Viele stimmten dem dann zu, eine Mauer bräucht’s im Nu. Doch als man fragte, wer das zahlte, jeder zagte. Denn wer will so eine Mauer, wo der Krieg nicht ist von Dauer? Ja, sie würde uns gut schützen, im Nachhinein jedoch nichts nützen. Also gab es kein’ Beschluss, dass her nun eine Mauer muss.

Nach derartigen langatmigen Debatten fanden wir Einigkeit darüber, dass wir immerhin dieselbe Mannstärke wie der Feind würden aufbringen müssen. Zunächst wurde eingeworfen, dass nur grob die Hälfte von unseren kampffähigen Einwohnern bewaffnet sei, wir könnten also unsere Mannstärke bereits aus eigener Anstrengung günstig verdoppeln. Ein Schmied trat schnell hervor und bot an, dem ganzen Dorf Waffen zu schmieden, wenn es dieser Rat gut bezahlen würde. Doch ein Händler merkte sogleich an, dass er die erforderlichen Waffen für den halben Preis würde beschaffen können. Glücklicherweise redete ihnen Herr Silberflur dazwischen: „Niemand von uns kann einen anderen an die Waffe zwingen und niemand muss für die Waffen des anderen bezahlen. Wer sich um seiner selbst willen und dem Schutze des Lichtertals halber bewaffnen will, soll dies auf eigene Kosten tun. Wir bezahlen hier nur gemeinsam, was wir von außerhalb benötigen und was keinem Einzelnen zum Vorteil gereicht, was also niemand selbst tragen kann.“

Die Händler rechneten also gemeinsam vor, zu welchen Preisen und von woher Söldner beschafft werden könnten. Es wurde eingeworfen, dass sowohl der benachbarte Fürst als auch der König am Silbersee ein Interesse an einer gemeinsamen Verteidigung haben müssten. Also wollten sich zwei Händler auf den Weg zu diesen beiden Reichen machen und ein kleines Salär für jeden Krieger bieten. Von dem grünen König am Nordwachtberg konnte man keine Hilfe erwarten, jedoch gab es im Osten einen roten König, der bekannt war für seine gut ausgebildete militärische Einheit. Diese würde man teuer bezahlen müssen, doch würde es sich lohnen. So wurde zusammengetragen, dass man die Mannstärke derart würde erhöhen können, dass man nur noch im Verhältnis eins zu zwei unterlegen sei. Die dafür benötigte Summe wurde zu gleichen Teilen aufgeteilt, aufgebracht und den Händlern übergeben, die sich zu einem minimalen Honorar verpflichtet hatten. Wer die Summe nicht leisten konnte, bekam zinslose Darlehen von befreundeten Familien. Einer der wohlhabenderen Steinmetze verdoppelte gemeinsam mit ein paar anderen Familien die zu zahlende Summe aus freien Stücken und bat die Händler, weit zu ziehen, um so viele Unterstützer wie nur möglich anzuheuern. Dann waren da noch die drei Vasallen-Südwaldlanden, die zwischen dem Lichtertal und dem Angreifer lagen. Herr Silberflur äußerte sich, er habe eine Idee, wie man diese auf unsere Seite ziehen könne, und würde dieses Vorhaben auf eigene Kosten stemmen. Insofern war alles besprochen und der Rat konnte aufgelöst werden.

Alexander Silberflur trat daraufhin mit den Gästen aus den Südwaldlanden zusammen und zog kurze Zeit später mit ihnen von dannen. In der Aussicht auf gute Geschäfte waren nun überall fleißige Hände. Es wurden Waffen geschmiedet, Nahrung gehortet und zahllose Notunterkünfte gezimmert. Bald würde im Lichtertal eine große Armee eintreffen und gut für Unterkunft sowie Versorgung blechen. Ihr Salär sollten alle Söldner in einem Teil für das Antreten der Reise und in einem zweiten Teil für das erfolgreiche Zurückschlagen des Feindes erhalten.

Viele Wochen waren vergangen. Die Bäume durchfuhr ein nervöses Zucken, das Wasser in den Flüssen schien vor Anspannung mehr zu stolpern als zu fließen und ein starker Wind blies aus dem Norden über das Lichtertal hinweg. Die Schlacht um das Lichtertal stand kurz bevor, doch dieser Tag sollte schließlich mit einer Überraschung und einem Segen für uns alle enden. Als uns der Feind gegenüberstand, waren wir zwar noch in der Unterzahl, aber hatten wir bei Weitem mehr Männer aufbringen können, als König Strack der Verkrampfte es jemals erwartet hätte. Die Schlacht entbrannte und die Natur um uns herum tobte. Nach einiger Zeit waren schließlich laute Schreie aus dem Süden zu hören. Im Rücken der Feinde war eine weitere Armee aufgetaucht. Wir fürchteten erst um Unterstützung des Königs, doch als die Herannahenden den König von hinten attackierten und ihn mit uns gemeinsam niederrangen, erkannten wir die Menschen der Südwaldlanden.

Die Schlacht war gewonnen und Stille kehrte ein. Nachdem alle Verletzten versorgt und alle Gefallenen bestattet waren, übergaben wir allen Söldnern ihre versprochene Entlohnung sowie weitere Dankesgeschenke für die Herrscher, die uns ihre Unterstützung entsandt hatten. König Strack war gefallen und sein Königreich nun entzweigerissen – zwei neue Herrscher hatten sich erhoben. Die Südwaldlanden aber waren nun wieder unabhängig und eines der drei Fürstentümer fiel doch tatsächlich in die Hände von Herrn Silberflur. Der dortige alte Fürst hatte einen Handel mit ihm vereinbart und ihm im Falle des Sieges sein Reich versprochen, da er ohnehin keine Nachkommen habe und von jeher vom Lichtertal begeistert gewesen sei. Alexander Silberflur ernannte also seinen ältesten Sohn zum neuen Familienoberhaupt im Lichtertal und zog selbst in das Fürstentum am Vorwaldberg, das nun Silberdorf am Vorwaldberg heißen sollte. Ihm gehörte zwar dies Dorf, doch ernannte er sich nicht zum Herrscher. Er vereinbarte mit jeder dort lebenden Familie einen Vertrag, demzufolge er ihnen Schutz und Freiheit versprach, im Gegenzug wiederum lediglich eine geringe festgesetzte jährliche Abgabe verlangte.

So gedieh also dieses Dorf und erhielt viel Zuzug, denn die zu leistende jährliche Zahlung war um ein Weites geringer als die Steuern in den angrenzenden Fürstentümern. Bald wurde der Ort des Herrn Silberflur nur noch „das Silbertor zum Lichtertal“ genannt, denn es gab weit und breit keine Handelsroute, die schneller, dynamischer und ausgiebiger gebraucht wurde als diese. Zwischen unseren beiden Orten baute die Familie Silberflur deshalb alsbald auf eigene Kosten die schönste und größte Straße in den uns bekannten Landen.

Und so kamen viele Sommer, viele Herbste, viele Winter – und jedes Jahr im Frühling wurd’ das Leben schöner. Silberdorf und Lichtertal wuchsen an zu großer Zahl. Viele Menschen kamen her, handelten und blieben gern. Auch die Fürsten um uns her, profitierten doch vom Handeln sehr, und da’s den Leuten wurd’ zu teuer, senkten sie sogar die Steuern. <<

III. Durch Demokratie in den politischen Zerstörungswahn

Dort, wo die Hetzerei beginnt, nach Politik und Wahlen, da keine Ratio mehr sinnt, denn herrschen tut der Wahnsinn.

>> Ach, mein lieber Sohnemann, was soll ich Dir bloß sagen, es brachen dunkle Tage an, niemand wollt’ sie haben. Bis heute bin ratlos, was über unser Tal zog. Wir haben es zusamm’ erlebt, haben uns sehr lang gequält, bis Du dann eines Tages fortgezogen warest. Doch ich wollte weiterkämpfen, unser Land in uns’ren Händen, jeder herrscht hier über sich … das war einmal, doch es verblich.

Kapitel fünf – Der dunkle Geist der Herrschersucht:

Begonnen hatte alles mit auftretenden Knappheiten, nachdem unsere Region zwei harte Winter und zwei karge Sommer hatte durchstehen müssen. Infolgedessen waren in benachbarten Reichen einige Konflikte ausgebrochen, weshalb auch bei uns manche Güter sehr teuer geworden waren, was wiederum zu einigen Entlassungen geführt hatte, sodass uns eine wirklich leidige Gemengelage anlastete. Ein Bäcker musste eines Tages die Preise seiner Waren verdoppeln, um wirtschaftlich zu bleiben. Doch für den Export fanden sich stets Abnehmer – auch zu hohen Kursen, denn anderswo war die Knappheit noch viel größer als bei uns im Lichtertal. An diesem Tag trat Marc der Frivole, ein kleiner Mann, der mir zuvor nie groß aufgefallen war, auf den Markt und schimpfte über jenen Bäcker. Er forderte einen Brotpreisdeckel und verschaffte sich mit seinen Reden nach und nach immer mehr Zuhörer. Nach einer Stunde löste sich die Ansammlung auf und er war wieder verschwunden. Vielleicht war es Trug, doch mir schien, als habe ihn zu diesem Zeitpunkt bereits ein grauer Schleier umgeben, der die Farben in seiner Nähe kraftlos aussehen ließ, der den Anschein erweckte als hätten die Lebenslichter seinen Geist verlassen. Von einer Hungersnot waren wir im Übrigen weit entfernt, sodass dieser Bäcker mithin jedes Recht gehabt hatte, jeden beliebigen Preis zu verlangen.

In den darauffolgenden Tagen tauchte der kleine Polemiker immer wieder auf dem Markt auf, um Reden zu schwingen und den Leuten zu erklären, dass wir Schutzzölle erheben müssten, wenn wir nicht verarmen wollten; dass wir Preise festsetzen müssten, wenn nicht alles teurer werden sollte … Und so kamen von Tag zu Tag mehr Zuhörer und mehr Bewohner, die ihm zustimmten. Diejenigen, die den Unsinn in alledem erkannten, sagten jedoch nichts, denn reden durfte schließlich jeder, und die Rechtssätze gaben ohnehin die Regeln vor.

So verging eine Woche und ich erfuhr, dass Marc seine Anhänger zu einer Versammlung einberufen hatte, um die Vorgehensweise der politischen Einflussnahme zu erörtern. Langsam begann ich, eine ernsthafte Gefahr in diesem Freiheitsfeind zu erblicken – und ich sollte recht behalten. Am nächsten Morgen war der gesamte Markt mit Plakaten verschandelt, die zur „Volkspolitik“ aufriefen. Darunter stand erklärt, dass das gemeine Volk das Recht haben sollte, über wirtschaftliche Angelegenheiten zu entscheiden, da wir uns schließlich in einer Krise befänden. Es fühlt sich immer noch vollkommen surreal an, wenn ich in meinen Erinnerungen an diesem Tag erneut über den Marktplatz gehe und an vielen Stellen Leute miteinander tuscheln höre … „Diesen gierigen Händlern sollte man die Profite streichen!“, „Hast du gehört, was der Marc erzählt? Der hat gar nicht so unrecht. Die einfachen Leute sollten mitbestimmen dürfen!“, „Die Preise sollte man durch Abstimmungen festlegen. Dann ginge es allen viel besser!“ … Die Verwirrung war ungreifbar und unbegreiflich.

Täglich gab es nun öffentliche Kundgebungen, und zahlreiche Anhänger des Populisten hielten die Leute auf den Straßen an, um sie von der Notwendigkeit der Politik zu überzeugen. Marc selbst wiederum machte auf der Bühne sinnentleerte Versprechungen an nur jeden ersichtlichen Zuhörer. Den Händlern wollte er verbieten, Leder aus dem Osten zu importieren, damit die ortsansässigen Jäger wieder ungehindert ihre Ware verkaufen konnten. Die Steinmetze sollten Abgaben an die Schmiede zahlen, um deren Geschäftsflauten der letzten Jahre auszugleichen. Überhaupt müsse eine öffentliche Kasse geschaffen werden, um für einen möglichen Krieg aufzurüsten, da allerorts die Konflikte anhielten. Auch sollten allgemein alle Erwerbstätigen einen Beitrag zahlen, der dann an die Arbeitslosen umverteilt werden sollte, denn die könnten schließlich nichts für ihre Misslage. „Gerechtigkeit und Gleichheit“ war nun sein Motto.

Die wirtschaftliche Krisensituation verschärfte sich weiter, nachdem im Norden der Dreikönigskrieg entbrannt war. In jedem Reich waren die Nahrungsmittel knapp und den Händlern war es bald fast unmöglich zu reisen, sodass sie die Knappheiten nicht mehr auszugleichen vermochten. Auch im Lichtertal stieg die Arbeitslosenrate und erstmals traten vereinzelt Notlagen auf. Doch noch gab es ausreichend Familien, die freiwillige Hilfe bereitstellten. Marc jedoch drehte die Sachlage um und verkündete auf dem Marktplatz: „Jeder muss helfen, wenn einer von uns in Not ist … Jeder soll verpflichtet werden, einen Beitrag zu leisten! Wer stimmt dafür?“ Nun schaltete ich mich ein und rief in die Menge: „Ihr kennt unseren Rechtssatz dazu: Niemand soll wen zwingen, Abgaben zu bringen – Hilfe in der Not ist nur ein Gebot, niemals eine Pflicht, denn dann währt sie nicht.“ Marc aber sprang auf und brüllte nun: „Ha! Da hört ihr es alle. Die Lebenslichter wollen den Schwachen nicht helfen – sie sind nur für die Reichen da! … Pflicht zur Hilfe … Pflicht zur Hilfe …“ – das Publikum stimmte zögerlich ein, doch brüllte in Teilen bald entschlossen mit.

Niedergeschlagen ging ich nach Hause. Was war nur in die Leute gefahren? Was hatte ihre Geister so sehr vergiftet? Und ich nahm wahr, wie nun die Farben aus allem wichen, wie alles erblasste, was von dem Getöse der Geisteskranken berührt wurde. Eine schwere Krankheit hatte unser Lichtertal befallen, das wusste ich jetzt. All die letzten Jahre schienen aus den Köpfen der Menschen gestrichen. Sie machten die Geschäftigen für die Krise verantwortlich und folgten blind den Parolen des Schreihalses, ohne deren völligen Unsinnsgehalt zu erkennen. Eine schwere Zeit lag nun vor uns. Ich berief also einen Rat ein, um mich mit den verbliebenen Vernünftigen zusammenzuschließen.

Bereits jede vierte Familie folgte dem Politikgeschrei, der Rest war gekommen. Doch viele schenkten den Politikfanatikern keinerlei Beachtung. Wir Übrigen entschlossen uns dazu, alles dafür zu tun, um die wirtschaftliche Situation zu verbessern, damit es den Leuten wieder besser ging und sie keinen Grund hatten, den Umverteilungsvorstellungen zu verfallen. Also machten wir uns in mehreren Händlerdelegationen auf, um viele Vorräte für die Notleidenden einzukaufen. Wären wir mal nicht gegangen, doch konnt’ es keiner von uns ahnen.

Als wir nach drei Wochen zurück in das Lichtertal kehrten, erkannte ich das Dorf kaum wieder. Überall waren Plakate angebracht, die zur Wahl von Marc dem Großen aufriefen und „Gerechtigkeit und Gleichheit“ verkündeten. Wir hatten große Karren, gefüllt mit Vorräten, mitgebracht, die wir im Badehaus der Silberflurer an die Bedürftigen verteilen wollten. Doch als wir gedachten, den Marktplatz zu überqueren, schrie Marc von einem Podest, das ihn über die Säule der Rechtssätze erhob, zu uns herunter: „Das sind die Reichen, die euch das Essen stehlen! Heute will ich euch Gerechtigkeit bringen und es ihnen nehmen!“ Ehe wir uns versahen, waren wir umringt von grauen Gestalten, die Gesichter blass und die Blicke leer. Sie schubsten uns zur Seite, vergriffen sich an den Karren und plünderten alles, was wir mit unserem eigenen Geld und viel Mühe aus der Ferne für die Notleidenden herbeigeschafft hatten. Marc jedoch wurde gefeiert an diesem Abend als Held der Armen und Schaffer von Gerechtigkeit.

Noch am Abend trafen wir uns im Rat – zumindest mit dem, was davon übrig war. Gut die Hälfte der Familien war nicht gekommen. Während wir weg gewesen waren, hatten die Schergen der Politikverbreiter eine Menge Propaganda betrieben, so schien es. Die meisten der anwesenden Familienoberhäupter hatten mittlerweile Angst vor dem politikbegeisterten Mob und außerdem mussten wir konstatieren, dass wir ohne Hilfe von außerhalb bereits militärisch unterlegen waren. Wir wandten uns an die Silberflurer. Doch deren Oberhaupt erklärte uns, dass sie noch heute Abend aus dem Lichtertal abziehen würden. Morgen würde dieser Marc Wahlen abhalten und sich dann zum Herrscher des Volkes ernennen. Das Silberdorf am Vorwaldberg jedoch benötige ihre Hilfe, da es nun Schwierigkeiten mit einem der benachbarten Fürsten gebe. Ihr Vater habe sie daher angewiesen, hier alles zu verkaufen und dann ins Silberdorf zu kommen, doch angesichts des heutigen Vorfalls auf dem Markt würden sie nicht mehr so lange warten können und sofort handeln müssen. Die Silberflurer waren schon immer besonders klarblickende Geschäftsleute gewesen, die stets frühzeitig die richtigen Entscheidungen getroffen hatten, während andere noch zögerten. Und auch in dieser Angelegenheit sollten sie richtig entschieden haben.

Wir blieben an diesem Abend also ohne Perspektive, die Silberflurer verließen das Lichtertal und wir erwachten am folgenden Morgen am Wahltag. Den ganzen Mittag lang stand Marc der Kleine auf seinem Podest auf dem Marktplatz, verkündete unzählige Parolen und empfing die Wähler, die einen Zettel mit „Ja – ich stimme für Marc“ in einen großen Kessel werfen konnten. Uns war nicht klar, ob es überhaupt die Möglichkeit gab, gegen Marc oder für jemand anderen zu stimmen, allerdings war das auch völlig unerheblich. Wir beteiligten uns nicht an diesem Schwachsinn, doch mussten uns eingestehen, dass sich nun wohl die Verhältnisse in unserem Dorf ändern würden. Vier Generationen lang hatte die vollkommene Freiheit gehalten, sich immer wieder gegen jegliche Bedrohungen durchgesetzt … und nun schien alles vorbei. Am Abend verkündete Marc der Große seinen Wahlsieg und beschlagnahmte als erste Amtshandlung alle Besitztümer, die die Silberflurer zurückgelassen hatten. Diese hätten die Dorfgemeinschaft verraten und demgemäß kein Anrecht mehr auf ihr Eigentum.

In der Nacht flohen weitere Familien und so schickte ich auch Dich, mein lieber Johann, gemeinsam mit weiteren jungen Leuten fort. Möge Dir viel Licht auf Deinem Wege leuchten und Euch den Weg zur Freiheit zeigen. Hoffentlich kann ich nachkommen, doch noch muss ich versuchen, unseren Freunden hier zu helfen.

Am nächsten Tag, dem ersten der politischen Herrschaft des demokratisch gewählten Marc dem Großen, wurde jeglicher Warenexport verboten und jeder Import mit hundertprozentigen Schutzzöllen belegt. Wasser sollte frei für jeden verfügbar sein und durfte nicht mehr bewirtschaftet werden – also wurden zwei weitere Familien enteignet und das sanitäre Versorgungsniveau sank zurück auf die Toilette und Handwäsche am Fluss … Gleichheit. Die zehn reichsten Familien mussten fast ihr gesamtes Vermögen an die öffentliche Hand, also an Marc, abgeben und mit sofortiger Wirkung war das Zurückhalten von großen Vorräten verboten. Also wurden die gesamten Lager geplündert und auch alle Händler enteignet … alles im Namen der Gerechtigkeit. Die Menschen auf den Straßen aber feierten ihren neuen Herrscher, der sie für den Augenblick mit zahlreichen Geschenken, einem Übermaß an Nahrung und viel Geld überhäuft hatte.

Als nach einiger Zeit dann die heilige Säule der Rechtssätze abgerissen, zerstört und vernichtet wurde … mir fehlen hierfür die Worte. Oh, mein lieber Vater, warum habe ich dein Vermächtnis nicht wahren können? In was für eine Welt hat sich unser freies Lichtertal verwandelt?

Es war grau nun. Die Bäume standen still, denn kein Wind ging mehr. Die Luft war trocken, denn die Wolken mieden unser Dorf. Und selbst das Wasser in den Flüssen verlangsamte seinen Gang, schien stehen bleiben zu wollen. Die Menschen liefen wie Geister durch die Straßen, der Wahnsinn quoll ihnen aus den Augen. Eine dunkle Macht hatte ihre Herzen und Köpfe vereinnahmt und alle Lebenslichter aus unserer Welt vertrieben. Sie begannen, die Statue von Marc dem Großen auf dem Marktplatz zu errichten. <<

IV. Neue Freiheiten und nie wieder Politik

In reinen Seelen schwingt, in warmen Herzen klingt, in klaren Geistern singt, die Freiheit dieser Welt.

Mit tränenden Augen erhob sich Johann vom Boden. Bis zum letzten Moment hatte sein Vater für das Licht der Freiheit gekämpft und den Menschen helfen wollen – vergeblich. Doch nun war es vorbei. Das Lichtertal war von allen Lebenslichtern verlassen worden und innerhalb weniger Monate an dem dunklen Geist der Herrschersucht erstickt und verreckt. Nach dem Beginn der Bauarbeiten an der Statue waren Kämpfe in den Handwerksgassen ausgebrochen und sein Vater hatte einem Kind zur Hilfe eilen wollen, wobei er erschlagen wurde. Das hatten ihm die letzten Flüchtigen schweren Herzens erzählt, die an diesem Tag aus dem Dorf hatten entkommen können.

Johann steckte das Buch seines Vaters ein. Er wollte seine Geschichte fortsetzen, an ihn denken und schließlich von der neuen freien Welt erzählen, die er gerade mit Marlene errichtete. Er würde diese Geschichte seinem Kind widmen, das Marlene bereits unter dem Herzen trug.

Nach der Flucht hatten sie sich Richtung Südosten geschlagen und waren dort an einem See angelangt. Einige verlassene Häuser hatten sie dort vorgefunden und waren also geblieben. Gemeinsam mit anderen Flüchtigen hatten sie ein Dorf gegründet und gerne jeden empfangen und aufgenommen, der es ebenfalls geschafft hatte, zu ihnen zu gelangen.

Johann traf sich mit den anderen am Dorfrand. Sie sammelten die schönsten Steine, die sie finden konnten, und bildeten einen Kreis. Einer nach dem anderen legten sie die Steine in die Mitte und türmten sie zu einer Säule auf. Es flimmerte um sie herum. Eine warme Brise streichelte Johann am Hinterkopf und sachte tauchten Farben aus Gräsern, Blumen und Zweigen auf. Sie umkreisten die Gruppe in wogender Trauer – aus ihrem Schwingen ertönte ein wohliger Klang, der eine tiefe Ruhe in ihre Herzen sandte. Jeder legte einen beseelten Erinnerungsgegenstand in die Säule hinein – Johann die blaue Rosenholzblüte, die er gemeinsam mit seinen Eltern als kleines Kind geschnitzt und bemalt hatte. Nachdem alle ihre Gegenstände in diese letzte heilige Säule des Lichtertals gelegt hatten, atmete das gesamte Tal ein tief brummendes Seufzen aus … Winde trieben alle verlorenen Seelen, die versteckt in den Trümmern gelegen hatten, zu der Gruppe, über der sich nun alle Lebensgeister in kräftigen Farbstreifen versammelt hatten. In einem einzigen heißen marmorweißen Blitz verschwanden alle Farben, Erinnerungen und Seelen des Lichtertals in der heiligen Säule, die nun für immer an jene vergangene freie Zeit gedenken würde.

Johann und Marlene kehrten alsbald zurück in ihr Wilhelmsdorf am Lichtersee.

Information

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 20. Dezember erscheinenden Jan.-Feb.-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 249.


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