19. Oktober 2023

RezensionMichael Esders: Ohne Bestand

Angriff auf die Lebenswelt (Edition Sonderwege bei Manuscriptum)

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„Bestand“, das klingt nach Lagerhaltung. Hier geht es allerdings um den soziologischen Begriff für die ortsgebundene Lebenswelt der Menschen, ihr Human- oder Sozialkapital, das errungen oder von Ahnen übernommen, aber nicht bewusst geplant werden kann. Dieses Kapital besteht aus unhinterfragten Vorverständigungen und Selbstverständlichkeiten. Fehlten diese, erfordere das Zusammenleben der Menschen endlose Debatten. Deshalb wurden die gewachsenen Lebenswelten und ihre Institutionen zum Feindbild aller sozialtechnologischen Utopien wie „Große Transformation“ und „Great Reset“, die die Welt, ausgehend von einer Tabula rasa, auf digitaler Basis neu ordnen wollen. Selbst in Technik und Wirtschaft weiß man nie ganz genau, warum etwas funktioniert. Deshalb der oft zitierte Spruch: „Never change a winning team!“ Umso mehr gilt das für den sozialen Zusammenhalt. „Der Raubbau an den symbolischen, sozialen und normativen Beständen, dessen verheerendes Ausmaß sich in der Lebenswelt zeigt, ist schwerwiegender, als es der an den natürlichen Ressourcen und Lebensgrundlagen je war und sein könnte“, folgert Michael Esders. Die Matrix als Ersatz für zerstörte Lebenswelten mache auch die Ökonomie zum Motor selbsterfüllender Prophezeiungen. Am Ende setzt sich der junge Konservative mit dem Minimal-Konservatismus Niklas Luhmanns auseinander. Als Systemtheoretiker führte Luhmann (wie auch schon die liberalen Theoretiker Karl Popper und Friedrich August von Hayek) nur das Argument fehlender Rechenkapazitäten gegen den von den Achtundsechzigern geforderten Totalumbau der Gesellschaft an. Doch mit diesem Einwand lasse sich das von westlichen Eliten bewunderte Sozialkreditsystem der VR China wahrscheinlich nicht aufhalten. Künstliche Intelligenz und Quantencomputer könnten dem in der Corona-Krise erprobten autoritären „Solutionismus“ ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Zu kurz kommen bei Esders Ansätze des Widerstands gegen zentralistische Planungsregime, wobei ich besonders an religiöse Bewegungen denke.


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