19. Oktober 2022
Framing: Vorwärts immer, rückwärts nimmer
Warum die Ampelkoalition nicht progressiv ist
von Oliver Gorus
Die Ampelkoalition aus roten, grünen und gelben Sozialisten nennt sich selbst „Fortschrittskoalition“. Das kommt mir reichlich komisch vor. Die ganze Rhetorik der Regierungsparteien ist ein einziges Framing des Progressiven – und das ist die Sprache des Sozialismus. Darin sind alle Formulierungen auf die Zukunft ausgerichtet, auf ein Ideal des Vorwärts.
Nicht umsonst heißt das „Central-Organ der Sozialdemokratie Deutschlands“ seit 1876 „Vorwärts“. Die daraus hervorgegangene und heute vorherrschende Version der gesellschaftlichen Linken ist der Ökosozialismus, dem sich alle drei Regierungsparteien und auch die derzeit pausierende Regierungspartei CDU/CSU in den letzten 20 Jahren nach und nach ganz bewusst verschrieben haben.
Diese vier Parteien bilden einen progressiven Block unter programmatischer Führung der Grünen, eine ökosozialistische Einheitsfront. Aus ihrem Personal rekrutiert sich die Regierung, egal, was der Wähler wählt. Und innerhalb des Blocks werden zwar bisweilen für die Wähler Schaukämpfe und kleinere Rangeleien aufgeführt, aber in der Grundausrichtung des vermeintlichen gesellschaftlichen Fortschritts sind sich so gut wie alle grünen, roten, gelben und schwarzen Politiker einig: Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Denn den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.
Und so reiten wir gemeinsam in die Morgenröte, in eine neue Gesellschaft, in der alle gleich sind, mit Wasserstoff- und Kreislaufwirtschaft, mit Elektromobilität auf leeren Straßen, mit bedingungslosem Grundeinkommen statt Privatvermögen, mit ewigem Frieden auf Erden, befreit von kapitalistischer Ausbeutung, alle Demokratiefeinde der Welt mit Sanktionen in die Knie gezwungen, wir stehen inmitten eines Gewirrs von einem Dutzend Sprachen plus Muezzinruf über allem zwischen mit Lumpen verhüllten Menschen bei der staatlichen Brotausgabestelle in der Schlange und warten, ob wir heute was bekommen.
Ein Schlag ins Genick
Rhetorisch geht es bei diesen Politikern immer nach vorne, in den gesellschaftlichen und technologischen Fortschritt. Aber das ist ein alter Hut. Ein Trick, der sozusagen zur Grundausbildung eines jeden Politikers gehört. Schon Joseph Goebbels sagte: „Wir tragen die Fahne des Fortschritts in unseren Händen.“
Politiker wollen nun mal nicht, dass sich die Untertanen zu sehr mit der Vergangenheit beschäftigen. Denn dort könnten diese Wahrheiten finden, die den Politikern die Macht kosten könnten. Darum lässt Orwell die anonyme Machtelite in seinem prophetischen Roman „1984“ im Ministerium für Wahrheit einen gigantischen Aufwand treiben, um die Vergangenheit Wort für Wort, Bild für Bild zu korrigieren.
Denn wer blind ist für das Gestern, lässt sich heute widerstandslos das Morgen rauben.
Das wusste auch der erste DDR-Fürst Walter Ulbricht, der sagte: „Es gibt unter den Studenten Elemente, die die ganze Aufmerksamkeit auf die Vergangenheit lenken. Wie soll man also die Studenten behandeln? Ich halte es hier mit dem Arbeiter, der gesagt hat: Die brauchen einen Schlag ins Genick.“
Auch Robert Habeck, der heimliche Parteivorsitzende der Grünen, redet gerne von der Zukunft und deutet die Bewahrung des Bewährten mal so eben in eine Hypothek um. So auf dem Bundeskongress der Grünen in Bonn am 14. Oktober 2022: „Es ist wichtig, dass in einer Zeit, in der sich alles wandelt, das Land eine progressive Regierung hat, weil die Verwaltung des Status quo uns in die Probleme erst reingeführt hat.“
Dabei setzt die Ampelkoalition nur fort, was die progressiven Kabinette Merkel auf den Weg gebracht haben. Allen ist klar, wo es langgeht: nach vorne.
Aber was hieße das denn konkret? Wo ist denn vorne? Und welche Fortschritte in diese fortschrittliche Richtung schreiten wir denn tatsächlich fort auf unserem Weg in Richtung dritten deutschen Totalitarismus?
Abgewürgt
Ich weiß ja nicht, was Sie für fortschrittlich erachten. Aber unter „vorwärts“ sortiere ich beispielsweise: mehr individuelle Freiheit, höhere Lebenserwartung, mehr Gesundheit, mehr Lebensqualität, mehr technologische Innovation und höher entwickelte Technologien, mehr und dadurch preisgünstigere Energie, mehr Freihandel, mehr Marktwirtschaft, mehr Frieden, mehr Wohlstand für alle, also mehr private Optionen und mehr privates Vermögen für alle, mehr Naturschutz, also mehr intakte Lebensräume für Tiere und Pflanzen, mehr Vernunft, mehr Bildung, mehr Wissenschaftlichkeit.
Die Politiker würden all das sicher gerne für sich in Anspruch nehmen. Aber wenn ich auf die junge Vergangenheit schaue, rein aus dem eigenen Gedächtnis, noch bevor sie vom Ministerium für Wahrheit korrigiert werden konnte, sehe ich: Die individuelle Freiheit wurde verstümmelt, die Grund- und Freiheitsrechte wurden umgewandelt zu einem gnädigen Privileg, das von Politikern willkürlich zugeteilt oder aberkannt werden kann.
Die willkürlichen Freiheitseinschränkungen und das millionenfache Verspritzen epidemiologisch nutzloser Substanzen haben die Bevölkerung Millionen Lebensjahre gekostet – die Übersterblichkeit stieg nicht etwa im Corona-Jahr 2020, sondern erst nach Lockdowns, Impfnötigung, Diskriminierung und Segregation. Auch die Geburtenrate ging erst seit Anfang 2022 zurück, dafür aber dramatisch.
Gesünder sind die Menschen auch nicht geworden. Von höherer Lebensqualität höre ich niemanden schwärmen – kein Wunder, denn die ständige Panikmache der Politiker macht die Menschen krank, Existenzsorgen sind dank der Politik, die uns in eine Krise nach der anderen stürzt, zurückgekehrt, und die machen auch nicht fröhlicher.
Technologische Innovationen werden von ökosozialistischen Politikern verhindert, beispielsweise die Innovation von immer umweltschonenderen und sparsameren Verbrennungsmotoren oder die Entwicklung von Atomreaktoren neuer Generation, die extrem sicher sind, ohne Endlager auskommen und den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft beim Brennstoff in Aussicht stellen. Indem sich die Politiker anmaßen, über Technologien zu entscheiden, würgen sie technologische Innovationen in ganzen Sektoren ab.
Aufklärungsferne
Weiter: mehr und dadurch preisgünstigere Energie? Genau das Gegenteil ist der Fall. Strom und Kraftstoff waren in Deutschland auch schon vor dem Ukraine-Krieg weltweit am teuersten, politisch gewollt durch Verknappung der Energiequellen. Kaum etwas hemmt aber technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt mehr als überteuerte Energie.
Mehr Freihandel, mehr Marktwirtschaft? Nein, stattdessen Reduktion des Freihandels durch politische Sanktionen, mit denen der übergriffige Staat Unternehmen vorschreibt, mit wem sie handeln dürfen und mit wem nicht.
Marktwirtschaft wird in immer mehr Branchen durch staatliche Lenkung und Planung ersetzt. Beispielsweise kauft plötzlich der Staat Arzneimittel und Energieträger und reguliert einfach alles, vor allem auch Preise, was Verknappung und Rationierung von Gütern nach sich zieht. Mit Siebenmeilenstiefeln hasten die Ökosozialisten in Richtung Zentralplanungswirtschaft.
Von mehr Frieden kann auch nicht die Rede sein. Kaum sind die Grünen das zweite Mal an der Macht, werden wir schon wieder in einen Krieg verwickelt.
Mehr Wohlstand für alle ist nicht mehr in Sicht, im Gegenteil: Noch nie seit 1949 gab es derartige Wohlstandsverluste in Deutschland wie 2022, vor allem durch die riesige Inflation, mit der sich der Staat auf Kosten der Bürger entschuldet. Dadurch sinken für die Bürger die Optionen, das Leben wird enger, das Privatvermögen, das ohnehin zu den schmalsten in Europa gehört, schrumpft weiter.
Den Naturschutz opfern die Ökosozialisten paradoxerweise systematisch für ihre Klimaschutzreligion. Monokulturen von Spritpflanzen, vogelschreddernde Windmühlen, die ja im Grunde eine mittelalterliche Technologie sind, mit Braunkohlestrom betriebene Elektro- statt sauberer Dieselautos, abgeschaltete moderne Kraftwerke, die durch schmutzigere Kraftwerke im Ausland ersetzt werden – in der realen Bilanz jenseits aller schönen Worte ist grüne Politik ein einziges Umweltdesaster.
Und für grassierende Unvernunft, für abstürzende Bildung und für verlorene Wissenschaftlichkeit stehen die progressiven Politiker aller vier Farben geradezu Pate; die Themenfelder Klima und Corona waren und sind ideologische Spielwiesen in weiter Ferne der Errungenschaften der Aufklärung.
Der Geist der Zerstörung
In Wahrheit ist das ganze scheinbar progressive Schalten und Walten der grüngeführten Parteischickeria kein Vorwärts, sondern ein Rückwärts. Es wirft uns um Jahrzehnte zurück, es ist ein Programm der Rückabwicklung der Zivilisation. Und dieser Pfad führt paradoxerweise ausgerechnet auch über mehr Kohleverbrennung, über importiertes Fracking-Gas aus Amerika und über Ölkraftwerksschiffe in der Nordsee.
Es geht in Jahrzehntesprüngen rückwärts in Richtung Mittelalter, in Richtung Zensur, Willkürherrschaft, Gewaltenkonzentration statt Gewaltenteilung, Hexenjagden und Bevormundung. Ökosozialismus bedeutet: Umweltzerstörung, Kriminalität, Krieg, weniger Lebensqualität, geringere Lebenserwartung und am Ende Hunger und Armut.
Die Ampelparteien sind nicht progressiv. Sie stehen für mehr Repressionen, mehr Autoritarismus, Verbot von Technologien, Verknappung und damit Verteuerung von Energie, Sanktionspolitik und damit Einschränkung von Freihandel, Krieg, Vernichtung von Wohlstand, mehr Staatswirtschaft, mehr Naturzerstörung, mehr Ideologie.
Sie bauen nicht die Zukunft auf, sie zerstören stattdessen, was wir in der Vergangenheit aufgebaut haben. Die regierenden Ökosozialisten tun das Gegenteil von dem, was sie behaupten. Sie sind „der Geist, der stets verneint. Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“
Die Deutschen (oder zumindest der kleinere freiheitliche Teil von ihnen) werden zwangsläufig einen Weg finden, den Pakt mit diesem Geist aufzukündigen und ihn dorthin zu jagen, wo der Pfeffer wächst.
Um dann noch mal von vorne anzufangen. Diesmal wirklich vorwärts – aber besser immer mit dem prüfenden Blick in den Rückspiegel.
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