12. Oktober 2022

Der Ansatz des Gründers Schaffe, net bloß schwätze

Warum wir die libertäre Gesellschaft einfach unternehmen müssen

von Oliver Gorus

Dossierbild

mittwochs um 6 Uhr

An einem schönen Herbstabend nach einem langen Spaziergang oberhalb des schweizerischen Bodenseeufers bekamen meine Frau und ich von unseren Freunden, einem Unternehmerehepaar, ein phantastisches Abendessen serviert: Ghackets und Hörnli und Apfelmus. Ebbes guets!

Es waren noch weitere Gäste da: ein sehr nettes Ehepaar, bestehend aus einem pensionierten Staatsanwalt und einer noch voll im Saft stehenden Richterin, wenn man das so sagen darf.

In Zeiten wie diesen dauert es nicht lange, bis ein Gespräch von der herrlichen Aussicht, vom Wein, vom Essen, vom aktuellen Bauvorhaben und so weiter zur Politik abdriftet. Schade eigentlich, aber wohl unvermeidlich, einfach weil das Frustpotenzial auf allen Seiten gerade so groß ist.

Die beiden Juristen sind vom alten Schlage, sie trauern der Bonner Republik nach und vertreten mit Haut und Haaren das, was uns damals in den 1980er Jahren im Gemeinschaftskunde- und Geschichtsunterricht als alternativlos verkauft worden ist: die Segnungen des demokratischen Verfassungsstaats.

Nur dass die beiden erheblich frustriert, ja, enttäuscht sind von dem, was die Politiker bis heute daraus gemacht haben. Mein Unternehmerfreund und ich sparten natürlich zudem nicht mit schaurigen Geschichten von all dem Unrecht und den realitätsfernen Schikanen des Staats, mit denen wir täglich konfrontiert sind und die es uns heute nahezu unmöglich machen, Unternehmer zu sein.

Schließlich kam angesichts meiner dem Staat und den Politikern so rundheraus misstrauenden Positionen die Rede darauf, was ich denn eigentlich anders machen würde. Wen ich denn wählen würde. Wie ich denn den Staat eigentlich organisieren würde.

Ansichten vom anderen Planeten

Anschließend folgte mein vergeblicher Versuch, den beiden meine Positionen verständlich zu machen. Ich lehne es ja bereits ab, über die Köpfe anderer Menschen hinweg eine Ordnung zu bestimmen, irgendwelche Leute zu wählen, um von ihnen beherrscht zu werden oder überhaupt einem Staat Macht über mein persönliches Leben zu geben. Daher konnte ich schon mit den ersten Fragen der beiden wenig anfangen. Beziehungsweise sie mit meinen Antworten.

Ich lehne es außerdem ab, das Recht auf Privateigentum irgendwie einzuschränken, was eine Steuerpflicht ausschließt, oder sonstige aus dem naturrechtlichen Prinzip des Selbsteigentums entspringenden Rechte zu beschneiden oder gar zu veräußern. Ich lehne initiierende Gewalt ab und damit auch jede Form von Zwang und Erpressung. Das muss man sich mal vorstellen: keine Gewalt. Verrückt, oder?

Stattdessen geht bei mir nichts über Freiwilligkeit – alle gesellschaftlichen Vereinbarungen müssen aus meiner Sicht durch beiderseits freiwillige und einvernehmliche Willensbekundungen zustande kommen, also durch privatrechtliche Verträge – einschließlich der Mitgliedschaft in einer solchen Privatrechtsgesellschaft. Woraus Freizügigkeit und das Sezessionsrecht folgen.

Daraus folgt auch die Ablehnung von Politik generell, denn Politik ist ja grundsätzlich immer die Bevorzugung einer Gruppe auf Kosten der anderen. Oder aus einer anderen Perspektive: Politik ist der Versuch, anderen Menschen seinen Willen aufzuzwingen. Deswegen ist der Beruf des Politikers grundlegend unehrenhaft so wie der Beruf des Räubers oder des Betrügers. Darum brauche ich auch nicht die einen Politiker durch andere ersetzen wollen. Ich versuche ja auch nicht, in meinem Garten das eine Unkraut durch ein anderes zu verdrängen.

Und so weiter.

Wie hältst du’s mit der Gewalt?

All das ist nicht erklärungsbedürftiger oder komplizierter als das aktuelle gesellschaftliche System, aber es befindet sich völlig außerhalb des Denkrahmens, den diese beiden promovierten Volljuristen und Rechtspraktiker Zeit ihres Lebens nie jemals verlassen haben. Sie verstanden darum nur noch Bahnhof. „Aber wer baut dann die Straßen?“, war nur der harmloseste Einwand. Meine Antwort, die Straßen würden dann von denselben Leuten gebaut werden wie jetzt auch (von Bauarbeitern, die bei Bauunternehmen arbeiten), verwirrte sie nur noch mehr. Selbst mein anfänglicher, vorsichtiger, einordnender Eingangssatz „Ich bin ein Libertärer“ erzeugte bereits nur leere Gesichter.

Und diese beiden Leute sind wirklich gebildete Menschen mit dem Herz am rechten Fleck. Sie sind nur niemals dem weißen Kaninchen in den Kaninchenbau gefolgt, das ist alles.

Ich schließe daraus und fühle mich darin bestätigt, dass den meisten Menschen das libertäre Gedankengut einfach sehr, sehr fremd ist. Und zwar so fremd, dass sie keine Vorstellung davon haben, wie eine herrschaftsfreie Gesellschaft aussehen könnte. Innerhalb ihrer Denkbox braucht es zwingend Politiker, Parteien, einen aktiv entscheidenden Staat, das Gewaltmonopol, die Einschränkung der Wirtschaft, um sie „sozial“ zu machen, ja, es braucht in ihrer Weltsicht zwingend Zwang.

Ihre Vorstellung von Gesellschaft fußt auf Gewalt als Grundvoraussetzung. Zwänge der Staat die Menschen nicht mit Gewalt zu einem friedlichen Zusammenleben, dann würden sie sich die Köpfe einschlagen, glauben sie. Und ihre eigene Lebensaufgabe in der Justiz sehen sie dieser scheinbar „guten Gewalt“ verpflichtet. Und das, obwohl sie mit offenen Augen sehen, wozu der Staat sein Gewaltmonopol tagtäglich weit über die Herstellung von Sicherheit und Frieden hinaus missbraucht.

Viele, ja fast alle Menschen im deutschsprachigen Raum denken so. Aber sie denken nicht so, weil sie zu dumm sind, anders zu denken, oder weil sie Gewalt irgendwie toll finden. Ihnen fehlt einfach die Erfahrung, dass es auch anders geht.

Darum können sie eine solche freiheitliche Ordnung auch nicht anstreben oder befürworten. Stattdessen bestehen sie auf den politischen Wahlen wie auf einem Sakrament und behaupten, es sei unvernünftig, nicht zu wählen. Schließlich könne man nicht nicht wählen, weil die nicht abgegebene Stimme dann rein mathematisch proportional auf die von den anderen gewählten Parteien verteilt würden, weshalb man genauso gut wählen und damit wenigstens Einfluss auf die bestmögliche Richtung nehmen könne. Meinen Satz, ich würde es vorziehen, meine Stimme nicht abzugeben, sondern diese zu behalten, weil ich bereits den Wahlen selbst nicht zugestimmt habe, erzeugte wieder ratlose Blicke.

Bis es dann realisiert wird

Diskutieren hilft da nichts, es ist das alte unternehmerische Problem: Vor einer Unternehmensgründung, vor einer Geschäfts- oder Produktidee und vor einer Innovation kann sich außer dem Unternehmer selbst kaum einer etwas darunter vorstellen: Die Welt funktioniert doch jetzt ohne diese Innovation. Also spricht jede Erfahrung dagegen, dass so etwas grundlegend Neues existieren kann. Bis es dann realisiert wird.

Das ist der Grund, warum die Leute vor den Erfindungen von Carl Benz und Gottlieb Daimler auf die Frage, was sie sich zur Verbesserung der Fortbewegung wünschen würden, immer mit einer Erhöhung der Anzahl der vor die Kutsche gespannten Pferde geantwortet hätten, niemals aber mit der Idee des Einbaus eines Verbrennungsmotors in die Kutsche. Steve Jobs hätte vor 2007 niemanden fragen können, welche Innovation sie sich bei Mobiltelefonen wünschen würden – jedenfalls wäre dabei niemandem das iPhone eingefallen. Außer Steve Jobs selbst.

Darum ist der unternehmerische Zugang, der zum Beispiel von Titus Gebel mit seinen freien Privatstadtprojekten verfolgt wird, der einzig wahre: Wer die Gesellschaft verändern will, muss es einfach machen. Wer andere Strukturen in der Gesellschaft will, muss sie errichten. Und das gar nicht notwendigerweise im Ersatz für abgeschaffte Strukturen, sondern als optionale Parallelstrukturen. Bitcoin ist ein weiteres treffendes Beispiel dafür.

Das also ist unsere große historische libertäre Aufgabe: Schaffe, net nur schwätze. Sie hat jetzt begonnen und sie wird so richtig zur Wirkung kommen, wenn die bestehenden Strukturen im bereits begonnenen Chaos zerfallen.

An manchen Tagen freue ich mich darauf wie auf Ghackets und Hörnli und Apfelmus. Also nicht auf das schreckliche Chaos, sondern darauf, wie die neuen, freiheitlichen Strukturen hier und da zur Wirkung kommen werden.


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