10. August 2022

Korruption, Lobbyismus, Korporatismus Die widerlichen Staatsprofiteure

Welche Sorte Kapitalismus selbst Libertäre hassen

von Oliver Gorus

Dossierbild

mittwochs um 6 Uhr

Sozialisten und Libertäre haben nichts miteinander gemein. In gewissem Sinne stehen sie einander im Spektrum der politischen Theorien diametral gegenüber. Und das hat nichts mit links oder rechts zu tun.

Die einen sind Kollektivisten, das heißt, sie sehen die da oben in der Pflicht, etwas zu ändern, wenn die Welt verändert werden soll, die anderen sind Individualisten, das heißt, sie fangen mit dem Mensch im Spiegel an, wenn sie die Welt verändern wollen. Die einen können mit Privateigentum nichts anfangen und können darum auch nicht besonders gut zwischen Mein und Dein unterscheiden, für die anderen ist Privateigentum einer der prinzipiellen Pfeiler der Zivilisation. Für die einen ist der Staat der Generalschlüssel zur Lösung jedes gesellschaftlichen Problems, für die anderen ist der Staat die Ursache für jedes gesellschaftliche Problem. Für die einen ist individuelle Freiheit egoistisch, für die anderen ist individuelle Freiheit der höchste Wert und gründet auf dem Naturrecht. Für die einen ist Selbstverantwortung ein Unwort, weil sie so gern auf Kosten anderer leben, für die anderen ist Selbstverantwortung eine Frage der Ehre und die Basis des allgemeinen Wohlstands. Für die einen sind Zwang und Gewalt notwendig, weil der Mensch von Natur aus schlecht ist, die anderen lehnen Zwang und Gewalt grundsätzlich ab, außer wenn es um Selbstverteidigung geht, weil sie darauf vertrauen, dass das Gute im Menschen obsiegt. Für die einen ist Kapitalismus böse, für die anderen ist Kapitalismus gut.

Aber Moment.

Marxistischer Murks

Es gibt da eine interessante Schnittmenge zwischen wenigstens einem Teil der Sozialisten und den Libertären. Und obendrein ragt ein Teil der Konservativen auch noch in diese Schnittmenge hinein.

Präziser gesagt: Ich meine den Teil der Sozialisten, der antiautoritär tickt und der den Anarchokommunisten nahesteht. Und bei den Konservativen meine ich die Liberalkonservativen, die früher mal den leistungsbereiten, rechtsstaatlichen, selbstbewussten, individualistischen Kern des Bürgertums gebildet haben und die einst von der Union und der FDP politisch vertreten wurden, als das noch konservative beziehungsweise liberale Parteien waren. All diesen Teilen der Gesellschaft ist mit den Libertären gemein, dass sie Korporatismus, Korruption und Vetterleswirtschaft, also „crony capitalism“ verabscheuen.

Das ist den meisten gar nicht bewusst, weil in vielen Diskussionen, in denen das Wort „Kapitalismus“ vorkommt, nicht sauber und hart mit Worten gekämpft, sondern eher plump herumgerangelt wird – den Kontrahenten ist oft nicht klar, was sie mit „Kapitalismus“ eigentlich meinen.

Zunächst mal ist „Kapitalismus“ ein Kampfbegriff, der am eindrücklichsten von Karl Marx und Friedrich Engels geprägt wurde. Schon diese beiden und die meisten der ihnen nachfolgenden Kapitalistenhassern haben eigentlich von Anfang an zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte in den Kapitalismustopf geworfen und umgerührt.

Murray Rothbard wies genau darauf hin: „Diese zwei gegensätzlichen Vorstellungen sind, was ich einerseits ‚freien Markt-Kapitalismus‘ nennen würde und andererseits ‚Staats-Kapitalismus‘“. Der Unterschied zwischen freiem Markt-Kapitalismus und Staats-Kapitalismus ist exakt der Unterschied zwischen friedlichem, selbstgewähltem Austausch hier und gewaltsamer Enteignung dort.“

Freiwilligkeit oder Zwang

Ich will den überdeutlichen rothbardschen Bindestrich mal übernehmen und drei Konstellationen zur Illustration liefern.

Beim Markt-Kapitalismus kaufen beispielsweise privatwirtschaftliche und miteinander konkurrierende Energieversorger Gas, Öl, Kohle, Uran oder Thorium aus verschiedenen Ländern und beliefern ihre Kunden mittels der effizientesten Technologie mit elektrischer Energie, Treibstoff und Wärme; alles beruht auf freiwilligen und einvernehmlichen Verträgen. Beim Staats-Kapitalismus kauft die Regierung mit Steuermitteln Rohstoffe seiner Wahl aus dem Land seiner Wahl und bestimmt mit Verboten und Zwang und Gewalt, welche Technologien zur Strom- und Wärmeerzeugung und zur Mobilität von wem verwendet werden.

Beim Markt-Kapitalismus kaufen Patienten in den Apotheken die Arzneien, die sie zur Gesundung benötigen und die die Apotheken bei den Pharmaunternehmen beziehen, alles auf Basis von Freiwilligkeit und Einvernehmlichkeit. Beim Staats-Kapitalismus kauft die Regierung mit Steuermitteln ein Produkt seiner Wahl bei einem Pharmaunternehmen seiner Wahl und bestimmt mit Verboten, Regeln, Zwang und Gewalt, welche Menschen wann dieses Pharmaprodukt zu nehmen haben.

Beim Markt-Kapitalismus bezahlt das Publikum freiwillig für diverse gewünschte Inhalte, die die vielfältige Medienbranche on- oder offline zur Verfügung stellt. Beim Staats-Kapitalismus treibt eine Pensionskasse mit vielen Dutzend angeschlossenen Orchestern, Radio- und Fernsehsendern mit staatlichem Zwang unter Androhung von Freiheitsentzug viele Milliarden Euro ein und bestimmt über das mit diesen riesigen Beträgen abgesicherte Quasimonopol bei Nachrichten und Talksendungen, welche Informationen die Bürger bekommen und welche Meinung sie haben dürfen.

Sumpfgebiete

Der Punkt, der nun die vereinten Gemüter auch von so manchen Sozialisten und Konservativen erhitzt, ist nun folgender: Im Staats-Kapitalismus grassiert zwingend und systematisch die Korruption. Regierungsmitglieder werden automatisch zu Lobbyisten, einfach weil sie mit der Macht ihres Staatsamtes und dem dahinterstehenden Gewaltmonopol ausgestattet sind und so entscheiden können, wer die von ihnen umverteilten Steuergelder erhält. Hier, diese Milliarden bekommt das kleine Unternehmen an der Goldgrube in Mainz. Hier, diese Millionen bekommt dieser Maskenhersteller. Hier, diese Millionen bekommt jener Windradhersteller. Hier diese Milliarden bekommt dieser Autokonzern. Und so weiter.

Selbstverständlich werden die Politiker von ihren Freunden in der Wirtschaft unauffällig entlohnt, wenn sie die „richtige“ Entscheidung treffen. Und selbstverständlich bereichern sich die Politiker und ihre Freunde als Staats-Kapitalisten systematisch am geraubten Geld, zum Beispiel, indem sie selbst darüber entscheiden können, wie viel sie „verdienen“. Als einer der vielen Intendanten im zwangsfinanzierten Rundfunk beziehen Sie beispielsweise etwa zwischen 280.000 und 413.000 Euro pro Jahr, plus Luxus-Dienstwagen, plus Partys im Privatdomizil, plus Luxusausstattung des Büros und so weiter.

Diese systematische Vorteilsnahme, die beim Staats-Kapitalismus systemimmanent ist, ist so offensichtlich unanständig und widerlich, dass nicht nur den Libertären schlecht davon wird. Darum gibt es theoretisch eine Chance, die vereinten Kräfte von Linken, Rechten und Libertären zu mobilisieren und wenigstens die obszönsten Erscheinungsformen des Staats-Kapitalismus zu schleifen. Und das sind derzeit: der Covidismus, die Energiewende und der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Alle drei Sümpfe müssen trockengelegt werden!

Lieber korrupt als radikal

Leider würde dieses Zweckbündnis anschließend bei der Wahl des Lösungswegs schon wieder zerfallen. Die Sozialisten würden nur umso mehr enteignen und verstaatlichen und zur Absicherung zig Räte bilden, die die Corona-Zwangsmaßnahmen, die Energiewende und die staatliche Meinungsbetreuung für ethisch-moralisch notwendig zur Rettung der Welt und zum Kampf gegen Rechts erklärten.

Die Konservativen würden den Zwangsfunk zwar etwas abspecken, aber erhalten wollen, die Atomkraftwerke und die Kohlekraftwerke zwar ein bisschen länger laufen lassen, aber die Energiewende dennoch erhalten wollen, die Zwangsmaßnahmen im Infektionsschutzgesetz zwar ein bisschen abschwächen, aber erhalten wollen.

Und so würde das Korruptions- und Lobby-Spiel nach einer Unterbrechung nur wieder von vorne anfangen.

Staats-Kapitalismus findet eigentlich keiner gut (außer den Stalinisten und den Nationalsozialisten). Aber weil sie dem Markt-Kapitalismus misstrauen und lieber irgendwie den Mittelweg wählen, fangen sich die meisten den Staats-Kapitalismus mitsamt seinen Auswüchsen dann hinterrücks eben doch wieder ein.

Leider sind es alleine und ausschließlich die Libertären, die einzigen konsequenten Markt-Kapitalisten, die einzigen Marktradikalen, die sich eine geistige Immunität aufgebaut haben, die sie vor dem Befall mit dem Staats-Kapitalismus-Virus mit seinen hässlichen Symptomen schützt.


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