03. August 2022
Hetze, Hass und Hashtags: Wehe den Volksrottierungen!
#Wirhabenmitgemacht und ein Blick auf eine zerstörte Gesellschaft
von Oliver Gorus
Parteivorsitzender Christian Lindner sagte der „Welt“, es sei klar, „dass die FDP als einzige Partei im Zweifel den Wert der Freiheit wichtiger nimmt als den Wert der Gleichheit oder den Wert der Sicherheit.“
Aha. Kann ja jeder sagen. Schauen wir doch mal: Eine solche Situation des Zweifels hatten wir ja gerade jüngst, als es um die Impfpflicht ging, eine der massivsten Freiheitseinschränkungen im Namen der Sicherheit überhaupt. Vor der Wahl sagte die FDP geschlossen: Keine Impfpflicht. Freiheit vor Sicherheit. So weit, so gut. Aber einmal an den Schalthebeln des Staates angelangt, kippte fast die komplette Partei um und war plötzlich für die Impfpflicht, also für Sicherheit vor Freiheit! Sie stimmte dann auch für die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht und bereitete die Einführung der allgemeinen Impflicht vor, die nur daran scheiterte, dass sich das Parlament (abzüglich der AfD) uneins darüber war, auf welche Art und Weise diese Zwangsmedikation denn eingeführt werden solle.
Und heute wissen wir, dass die sogenannte „Impfung“ gar keine Impfung ist, weil dieses mRNA-Pharmaprodukt ja nachweislich weder vor Ansteckung noch vor Weitergabe des Krankheitserregers schützt, was eine Zwangsverabreichung noch irrsinniger, weil epidemiologisch nutzlos macht.
Ein Strang im Ernst
So viel zur Glaubwürdigkeit Lindners. Die Freiheit, die immer individuelle Freiheit, also bürgerliche Freiheit ist, die ist Berufspolitikern im Zweifel kein wichtiger Wert, sondern nun mal völlig egal, sobald es nämlich um Machterhalt und Pöstchen und Pensiönchen geht. Die Politiker meinen sogar eigentlich etwas ganz anderes, wenn sie von Freiheit schwätzen. Max Stirner hat das schön differenziert: „Frei aber bin ich in keinem Staate. Die gerühmte Toleranz der Staaten ist eben nur ein Tolerieren des ‚Unschädlichen‘, ‚Ungefährlichen‘. Aber wehe der Literatur, die dem Staate selbst an den Leib geht, wehe den Volksrottierungen, die den Staat ‚gefährden‘. Der Staat lässt die Individuen wohl möglichst frei spielen, nur Ernst dürfen sie nicht machen, dürfen ihn nicht vergessen.“
Ernst gemacht in diesem Sinn hat Ende Juli ausgerechnet ein FDP-Mitglied (sein Name tut nichts zur Sache, es ist vernünftiger, ihn nicht zu nennen), das nicht damit einverstanden war, wie seine Kollegen-Politiker und deren Freunde in den letzten schwierigen Monaten mit den freiwillig Ungeimpften umgesprungen sind. Der mutige Mann hat auf Twitter „Literatur, die dem Staate selbst an den Leib geht“ geschrieben: „Wir haben mitgemacht! Wir haben ausgegrenzt, diffamiert, diskreditiert, beleidigt und Menschen gecancelt. Im Dienste der Wissenschaft! Auf vielfachen Wunsch dieser knackige Thread mit Aussagen, die man nicht vergessen sollte.“
Und darunter postete er die Hashtags: #Wirhabenmitgemacht und #Wirhabenausgegrenzt. In dem Strang folgten über 20 Beispiele von schlimmen Ausfällen gegen Ungeimpfte, indem er einfach Screenshots der Originalzitate aneinanderreihte.
Trend Nummer eins
Der Strang fand Nachahmer, die mit weiteren Beispielen und ganzen Collagen von Originalzitaten sekundierten. Auf die Website ich-habe-mitgemacht.de, das Archiv für Corona-Unrecht, wurde verwiesen, wo eine riesige Sammlung solcher Belege der Hetze zusammengetragen worden ist.
Der Hashtag #Wirhabenmitgemacht ging augenblicklich durch die Decke und war Twitter-Trend Nummer eins. Tausende von Bürgern schlossen sich an. Tausende von Bürgern keilten dagegen. Twitter kochte hoch.
Kein Wunder – die zitierten Aussagen waren nicht mehr und nicht weniger als eine Chance, noch mal zu lernen, was Menschenfeindlichkeit eigentlich ist, wie sie daherkommt, wie sie sich anfühlt. „Nie wieder!“, hatten wir alle von klein auf gelernt. Und vergessen. Und plötzlich war es wieder da: haarsträubende menschenverachtende Aussagen von Journalisten, Politikern, Professoren, Bürgermeistern, Funktionären aus der Verwaltung, TV-Prominenten – kurz: der Elite Deutschlands.
Da wird offen eine Abkehr vom Grundsatz der Gleichheit vor dem Recht gefordert, also eine Gruppe verfassungsfeindlich diskriminiert. Da wird ein Pranger gefordert: „Möge die ganze Republik mit dem Finger auf sie zeigen!“
Da wird Gewalt gefordert mit Schlagstöcken und Pfefferspray, da werden sie als „Blinddarm“ bezeichnet, auf den man verzichten könne. Da will man den Ungeimpften die Reisefreiheit entziehen. Da will man sie aus der Gesellschaft ausschließen. Da will man Beugehaft und Rentenkürzungen und höhere Krankenkassenbeiträge für Ungeimpfte, Entzug des Arbeitslosengelds, Entlassungen.
Da wird geledert, Ungeimpfte seien eine Minderheit, die die Mehrheit terrorisiere, seien asoziale Trittbrettfahrer, Bekloppte, Todesengel, Verfassungsfeinde, Extremisten … und so weiter und so fort.
Unter den geifernden Aggressoren waren Mitglieder des Ethikrats, amtierende Minister und, ja, FDP-Mitglieder.
Täter zu Opfern, Opfer zu Tätern
Diese Aktion war dem bloßgestellten Establishment natürlich unangenehm. Ganz im Sinne Stirners: So war das nicht gemeint mit der Freiheit! Einfach Ernst machen? Das geht ja gar nicht. Einfach unkommentierte Zitate bringen, einfach die Menschenfeindlichkeit aus sich selbst heraus wirken lassen. Einfach sagen, was ist. Einfach die Wahrheit sagen, damit sie nicht vergessen werde. Das Unrecht benennen und die Täter benennen. Wo kommen wir denn da hin? Sollte nicht der Muff von tausend Jahren wieder husch, husch zurück unter die Talare des Establishments gekehrt werden?
Und so keilten die angegriffene staatliche Elite und ihre Freunde im Volk um sich: Ein Pranger sei das und einen Pranger dürfe es nicht geben, tönte es reihum.
Das war natürlich besonders lustig, weil einer der Hetzer ja gefordert hatte, die ganze Republik solle mit dem Finger auf die Ungeimpften zeigen. Sehr hübsche Projektion, das!
Zuerst hatten sie sich als moralisch überlegene Menschen inszeniert, indem sie eine Gruppe von anderen Menschen als böse denunzierten. So etwas zu tun ist eine Aggression. Aggressionen werden in gesellschaftlichen Systemen immer mit einer Reaktion beantwortet: Angegriffene wehren sich. Dieser Akt der Selbstverteidigung allerdings wird vom Moralisten als narzisstische Kränkung empfunden. Dann inszeniert er sich als Opfer.
Viele suhlten sich also in der Täter-Opfer-Umkehr auf der Opferseite. Manche versuchten ganz schlau, die Opfer zu Tätern zu machen und lancierten trotzig einen Gegenschlag, der dann prompt als Bumerang zurückkam und sie selbst an der Stirn traf: Sie posteten unter dem Hashtag #Ihrhabteuchselbstausgegrenzt – womit sie ja schon mal unbeabsichtigt zugaben, dass die Ungeimpften tatsächlich ausgegrenzt worden sind. Der Vorwurf allerdings, diese seien sozusagen selbst schuld gewesen, denn sie hätten sich ja einfach impfen lassen können, um nicht ausgegrenzt zu werden, hat einen ziemlich giftigen Beigeschmack. Denn das ist exakt das Muster, ein Vergewaltigungsopfer zu verhöhnen: „Komm, du hast es doch selbst gewollt! Sonst hättest du doch keinen Minirock getragen!“
„Heil Halali und grenzenlos geil …“
Manche wurden ganz offen gewaltbereit und drohten: „#Wirsindmehr – Wir werden euch jagen!“ Der Mob zündete die Fackeln an und fingerte nach den Mistgabeln.
Dann wurde der Initiator, das FDP-Mitglied, das die ganze Lawine losgetreten hatte, aufs Übelste beschimpft, angegriffen und bedroht. FDP-Mitglieder distanzierten sich von ihm, schrieben, sie würden sich schämen, mit ihm in einer Partei zu sein, wollten ihn ausschließen. Ja, wie war das mit der Freiheit vor Sicherheit und Gleichheit? Was für eine Entlarvung!
Es wurde, wie das immer so ist, ein Anlass zur Emotionalisierung bei den Haaren herbeigezogen: Der Mann wurde verantwortlich gemacht für den Selbstmord einer Impfärztin. Auch hier taten sich ausgerechnet Bundestagsabgeordnete mit einer geifernden Art zu hetzen hervor, die aus der Tiefe der Geschichte heraufhallte. Der Suizid der Ärztin wurde instrumentalisiert, um den Mann zu vernichten. Seine Privat- und Firmenadresse wurden ausfindig gemacht, seine Familie wurde mit hineingezogen, wie es eben die schlimmsten Hetzer auf der linken und rechten Seite des politischen Spektrums seit jeher machen. Die finden sich immer. Er wurde gezwungen, auf Twitter zu pausieren und sich um den Schutz seiner Familie zu kümmern.
Aber am Ende erfuhr der Mann großen Beistand. Es gab viele, auch große Accounts, die sich mit ihm und seinem Anliegen, die Hetze gegen die Ungeimpften vor dem Vergessen und Vertuschen zu bewahren, solidarisierten. Vielfach wurde klargestellt: „Wer öffentliche Zitate teilt, ist kein Hetzer. Hetzer sind diejenigen, von denen die Zitate stammen.“
Einer postete: „Ich soll mich für Dinge schämen, die vor 85 Jahren passiert sind, aber niemand will verantwortlich sein für Dinge, die er vor einem Jahr gesagt hat.“
Und eine ganz versprengte einzelne vernünftige Stimme aus den Kreisen des Establishments schrieb nachdenklich: „In der Pandemie wurden Grenzen überschritten. Grenzen der Vernunft und der Menschlichkeit. Insbesondere gegenüber Kindern, Jugendlichen und alten Menschen. Aber auch gegenüber Ungeimpften. Wir werden nicht drum rumkommen, dies gesellschaftlich aufzuarbeiten.“
Karten auf den Tisch
Das halte ich für wahr. Ich bin der Meinung, dass in einer friedlichen, gebildeten, aufgeklärten, zivilisierten Gesellschaft so eine kollektive Entgleisung wie die Kampagne gegen Ungeimpfte nicht vorkommen darf. Dass sie vorgekommen ist, zeigt, dass es eben keine friedliche, gebildete, aufgeklärte, zivilisierte Gesellschaft mehr ist. Eine solche Aktion wie die unter dem Hashtag #Wirhabenmitgemacht allerdings halte ich um einer friedlichen, gebildeten, aufgeklärten, zivilisierten Gesellschaft willen für notwendig. Taten und Täter müssen benannt werden. Immer. Die Wahrheit muss auf den Tisch.
Jeder Ungeimpfte kann Geschichten von der Tyrannei der Mehrheit erzählen, die er nie wieder vergessen wird. Mir geht es ja selbst so. Der gesellschaftliche Frieden ist dahin. Wir wissen jetzt nicht nur theoretisch, sondern aus lebendiger Erfahrung, dass die Herrscher und ihre Freunde uns ans Leder, in unser Privatestes eindringen und uns unsere Freiheit rauben wollen. Und die Herrscher und ihre Freunde wissen jetzt, dass wir uns wehren.
Die ganze Hysterie rund um den Hashtag #Wirhabenmitgemacht zeigt, wie überhitzt die Lage ist. Es fehlen nur geringe äußere Anlässe, und das deutsche Pulverfass kann explodieren. Eine Abkühlung wäre erst dann wieder möglich, wenn wenigstens einer der prominenten Hetzer Reue zeigen und zugeben würde: Mist. Da bin ich zu weit gegangen. Das war ein Fehler. Das tut mir leid.
Das würde erlösend wirken und sofort Druck aus dem Kessel entweichen lassen. Und ich glaube nicht, dass sich das jemand traut.
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Kommentare
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