13. Juli 2022
Narzissmus in groß: Das deutsche Duo infernale
Wie Politiker und ihre Freunde im Volk sich destruktiv ergänzen
von Oliver Gorus
„Jemand hat geheiratet. Privatsache.“ So twitterte ich am Wochenende, weil ich die Empörung über die Hochzeit des Politikers Lindner genauso wenig nachvollziehen konnte wie die Emotionalität seiner Verteidiger.
Und prompt echauffierten sich unter meinem Tweet wieder weitere über den Pomp der Hochzeit des Finanzministers auf Sylt und seine „Instinktlosigkeit“. – Ja, es stimmt natürlich: Für einen vernünftigen, mit normaler Empathiefähigkeit ausgestatteten Menschen würde es sich ohne Zweifel sehr unpassend anfühlen, in der aktuellen Zeit mit Grandezza und royalem Gepräge samt Promi-Gästen und Live-Berichterstattung der Regenbogenpresse Hochzeit zu feiern. Immerhin ist der Mix aus Corona-Maßnahmen, Inflation, Ukraine-Krieg und Gaskrise so bedrohlich, dass die Bürger völlig verunsichert sind.
Aber in einer solchen Situation mit Fingerspitzengefühl einen Gang zurückzuschalten, würde ja die Fähigkeit zur Empathie, also zum Mitfühlen voraussetzen. Und diese Fähigkeit besitzen Narzissten einfach nicht.
Narzissten sind komplett abgehoben und spüren da gar nichts mehr. Wo sich bei normalen Menschen vielleicht das Gewissen oder der Anstand melden und Maß und Mitte anmahnen würde, ist bei einem Narzissten gähnende Leere. Da mahnt gar nichts.
Also: Vielleicht ist der Politiker Lindner ja ein Narzisst? Das ist jedenfalls nicht unwahrscheinlich.
Und wenn ich dann lese, wie der Politiker Buschmann seinem Parteichef Lindner zur Seite springt und Kritiker, die nachfragen, ob diese Hochzeit vielleicht den Steuerzahler in irgendeiner Weise zusätzlich belaste, gleich als therapiebedürftig abkanzelt, denke ich: Mein lieber Scholli. Geht’s eigentlich noch arroganter? Kann man wirklich auf einem dermaßen hohen Ross sitzen?
Ja, man kann. Und hält das sogar für standesgemäß – wenn man ein Narzisst ist.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir größere Probleme haben als eine Promihochzeit, aber mein Interesse an Persönlichkeitsstörungen war nun durch die auffällige Heiraterei und das emotionalisierte Drumherum bereits geweckt: Wie also ist das mit den Politikern und dem Narzissmus?
Wie man selbstsüchtig wird
Mir liegt es wirklich fern, irgendeine Diagnose zu stellen oder irgendwelche Menschen zu pathologisieren. Denn erstens bin ich kein Arzt, und zweitens habe ich keinerlei Interesse daran, jemanden persönlich anzugreifen, schon gar nicht mit Unterstellungen. Ob irgendein Politiker einen Hau hat oder nicht, geht mich meiner Meinung nach nichts an und interessiert mich auch nicht.
Mir geht es hier aber nicht um den einzelnen Politiker, sondern um deren Zunft insgesamt und die Auswirkungen deren Verhaltens auf das Leben der Bürger, also auch auf mein Leben. Insofern geht mich die geistige Gesundheit der Politiker dann doch wieder sehr viel an.
Die Anlage zum Narzissmus haben viele Menschen. Sie wird nach Stand der Forschung zu einem großen Teil vererbt. Ob aber aus einer narzisstischen Neigung eine ausgewachsene Persönlichkeitsstörung wird, hängt davon ab, was diese Menschen im Leben erfahren.
Die soziale Lerntheorie, die hierbei von aktuellen Studien gestützt wird, nimmt an, dass Menschen mit entsprechenden Anlagen dann eine Persönlichkeitsstörung entwickeln können, wenn sie zwei einschneidende Erfahrungen im Leben machen. Zum einen erfahren sie wenig Wärme und echte Zuneigung, weshalb sie ein schwaches Selbstwertgefühl entwickeln.
Zum anderen werden sie auf ein Podest gestellt und unrealistisch überhöht, privilegiert und nach außen als etwas Besonderes dargestellt, was ihren Mangel an Wertschätzung kompensiert. Narzissten lernen dann, dass sie die Schwäche im Inneren scheinbar ausgleichen können, indem sie sich gegenüber der Welt als außergewöhnlich aufspielen. Und irgendwann glauben sie wirklich selbst, etwas Besonderes zu sein.
Narzissten treten nach außen extrem selbstbewusst bis selbstverliebt auf. Damit versuchen sie, ihren niedrigen Selbstwert anzuheben. Die Überheblichkeit dient also dazu, sich innerlich stark zu fühlen.
Die Sorgen ihrer Mitmenschen spielen für Narzissten allerdings überhaupt keine Rolle: Andere Menschen sind für sie dazu da, benutzt zu werden. Je verunsicherter die Menschen um sie herum, desto wohler fühlen sich Narzissten. Und das macht die ganze Sache hässlich.
Egozentrische Zwiefalt
Dabei legen Narzissten zwei unterschiedliche Stile an den Tag: Es gibt grandiose Narzissten und depressive Narzissten. Die grandiosen sind die pompösen, überheblichen, egozentrischen, tyrannischen, aggressiven Angeber. Die depressiven verlegen ihr Drama nach innen: Sie haben ständige Angst vor Zurückweisung und Versagen, sie wollen alles richtig machen und haben gelernt, ihr unterentwickeltes Selbstwertgefühl dadurch zu füttern, dass sie besonders altruistisch, großzügig und bescheiden auftreten. Sie versuchen, als moralisch gute Menschen zu erscheinen, haben eine ausgeprägte Opfermentalität und nehmen andere Menschen skrupellos für ihre Selbstdarstellung in Dienst: Sie leben gerne auf Kosten anderer, wollen aber dabei selbst gut dastehen. Schuld ist ein großes Thema für sie, sie versuchen in ihrer manipulativen Art permanent, andere Menschen anzuschwärzen und abzuwerten, um sich dadurch im Vergleich zu ihnen selbst zu erhöhen.
Beide Formen sind äußerst unangenehm, denn ob Sie von einem Narzissten offen dominiert oder hintenrum manipuliert werden, ist so oder so keine angenehme Erfahrung.
Interessanterweise treten die beiden Typen von Narzissten gerne im Duo auf, zum Beispiel als Lebenspartner, als Eltern-Kinder-Kombi oder auf der Arbeit in Teams: Das grandiose Großmaul ohne Skrupel ergänzt sich hervorragend mit dem duckmäuserischen passiv-aggressiven Gutmenschen. Der eine tyrannisiert, der andere denunziert.
Und das bringt mich auf einen verwegenen Gedanken.
Das deutsche Duo infernale
Was wäre, wenn die deutsche Geschichte im Allgemeinen und das bundesrepublikanische System der Parteiendemokratie im Besonderen eine fatale narzisstische Großkombination hervorgebracht hat? – Auf der einen Seite die erbschuldigen Nachkommen der Nationalsozialisten: Die Millionen fiesen Moralisten mit tief sitzenden, eingebildeten und anerzogenen Schuldgefühlen, die mit sozialistischem Habitus gerne auf Kosten anderer leben und ständig Leute, die andere Meinungen als die orthodoxe vertreten, als Nazis, Rechte, Querdenker, Verschwörungstheoretiker, Schwurbler oder Putinfreunde abwerten, um selber Tugend zu signalisieren und zu den Guten zu gehören.
Auf der anderen Seite die Charakterdeformierten, die durch die parteiinterne Negativauswahl der Listenplätze begünstigt und nach oben gespült werden, die Berufspolitiker, denen die formale Macht zu Kopf gestiegen ist, die völlig abgehoben sich selbst als legitime Mitglieder einer Fürstenklasse gerieren, die Bürger tyrannisch wie Spielsteine hin- und herschieben und sie mit Gewalt zu dem zwingen, was sie für richtig halten, sich selbst für unfehlbar halten und zur Aufrechterhaltung ihrer eingebildeten Überlegenheit zur Not buchstäblich über Leichen gehen.
Beides sind Narzissten: der deutsche Michel als depressive Variante, der deutsche Berufspolitiker als grandiose Variante. Ein Duo infernale, ein Staat, gebaut auf Narzissmus, oben und unten. Eine gesellschaftliche Persönlichkeitsstörung in XXXL.
Ein Ende mit Schrecken
Wenn man es im normalen Leben mit einem Narzissten zu tun hat, ist das unerträglich. Versucht man es auszuhalten, geht die Sache fast nie gut aus. Am Ende drohen Gewalt und Zerstörung gewaltigen Ausmaßes, wenn der Narzisst am Ende kollabiert. Drunter macht er es nicht.
Wer das vermeiden will, für den bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder man entmachtet den Narzissten und jagt ihn davon. Oder man sucht selbst das Weite.
Auf Deutschland bezogen: Suchen Sie es sich aus!
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Kommentare
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