18. Mai 2022

Unternehmergespräche Unterm Gipfel

Wie der Rückhalt der Bundesrepublik bröckelt

von Oliver Gorus

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mittwochs um 6 Uhr

Am Samstag war wunderschönes Wetter, und meine Frau und ich hatten zwei befreundete Paare eingeladen, uns zu besuchen und mit uns auf unseren Hausberg zu steigen. Das Schöne an solchen Kurzwanderungen in kleinen Gruppen ist, dass jeder mit jedem mal ins Gespräch kommt und dabei die unterschiedlichsten Geschichten und Gedanken ausgetauscht werden. Beim Wandern kann man einander immer noch besser kennenlernen.

Der beste Staatsbürger, den es gibt

Alle miteinander sind wir Unternehmer, jeder von uns sechsen hat sein eigenes Unternehmen oder mehrere davon. Die zweite Hälfte des Aufstiegs unterhielt ich mich mit einem von ihnen, einem sehr klugen Freund, der in seinem Leben mittlerweile in der dritten Branche verblüffend erfolgreich ist: Eigentlich hat er drei Unternehmerleben nacheinander in ein einziges Leben hineingepackt. Er stammt aus bescheidenen landwirtschaftlichen Verhältnissen als Jüngster von sieben, ist heute wirklich reich, verdientermaßen, und hat dabei in seinem Leben viele Tausend Menschen reich gemacht – wie es eben die Natur des freiwilligen Marktkapitalismus ist, der Wohlstand für alle schafft (im Gegensatz zum auf Zwang und Gewalt beruhenden Staatskapitalismus, jener allseits grassierenden Vetterleswirtschaft, die schludrigerweise immer mit in den Kapitalismustopf geworfen wird).

Dieser Freund war schon immer ein CDUler. Bei uns im Südwesten war das jahrzehntelang das Normalste von der Welt, die parteipolitische Landkarte war hier vor der Merkel-Ära immer tiefschwarz, hier und da mit gelben Sprenkeln. Seit Merkel vergrünt allerdings auch hier alles.

Er hatte immer engen Kontakt mit unserem Bundestagsabgeordneten, unterstützte ihn, engagierte sich politisch, war ein bedingungsloser Demokrat, ein stolzer Bundesrepublikaner und verlässlicher Wähler. Er las Zeitung, verfolgte die Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und war alles in allem der beste Staatsbürger, den man sich vorstellen kann – zumal er in seinem Leben viele, viele Millionen an Steuergeldern ans Finanzamt überwiesen hat.

Grundsätzliche Kritik an den Parteien oder den Politikern wäre ihm niemals über die Lippen gekommen. Wie die meisten sah er für jeglichen Änderungsbedarf stets die gewählten Politiker zuständig, die in den Parlamenten, Ausschüssen und Regierungen eben neue Gesetze machen sollten. Er hielt sich schon immer geistig komplett in der Demokratiebox auf. Kritik am System war tabu.

Aber das hat sich geändert.

Das Prinzip ist das gleiche

Beim Aufstieg hatten wir knapp unterm Gipfel die Ruinen der Ritterburg schon im Blick. Wir unterhielten uns darüber, wie beschwerlich das damals gewesen sei, die Lebensmittel und die Baumaterialien vom Tal bis nach oben zu schaffen, und wie teuer das Leben in der Burg gewesen sein müsse.

Und dann sagte er: Oliver, das waren hier ja alles Raubritter. Die haben sich genommen, was sie wollten, indem sie Händler, Kleriker, Bauern oder andere Ritter überfielen oder erpressten. Sie haben geherrscht, weil sie die Stärkeren waren. Sie hatten die Waffen, die Rüstungen, die Pferde. Und solange alle um sie herum schwach und dumm blieben, konnten sie weiterherrschen und von oben von ihrer Burg aus auf alle herunterschauen.

Ja, ich weiß. Und dann erwartete ich von ihm eine Wendung wie etwa: Aber gut, dass das heute anders ist. Dank der Demokratie herrscht heute ja nicht mehr das Recht des Stärkeren. Heute kann jeder Politiker werden, niemand wird mehr in seinen Stand hineingeboren. Wir sind heute frei. Dank der Aufklärung, dank des Verfassungsstaats, dank der freien und allgemeinen Wahlen … oder so ähnlich.

Aber dieses Statement kam nicht. Stattdessen schwieg mein Freund ein paar Schritte. Und dann sagte er: „Weißt du, es hat sich eigentlich über die Jahrhunderte überhaupt nichts geändert. Die Raubritter sind heute die Politiker. Die Methoden sind anders, aber das Prinzip ist das gleiche. Sie haben die Waffen, sie haben die Gerichte, sie machen die Gesetze, sie nehmen sich, was sie brauchen und das funktioniert, weil alle um sie herum schwach und dumm sind und sie gewähren lassen. Es wird sich nichts ändern. Und das ist der Grund, warum wir dabei sind, auszuwandern. Wir gehen in die Schweiz.“

Ich war verblüfft. Dann kamen wir auf dem Gipfel an. Die Fernsicht war phantastisch.


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