27. April 2022

Karma is a bitch Wenn das Schicksal den Berufspolitiker ereilt

Die Lehren der neunten US-Präsidentschaft

von Oliver Gorus

Dossierbild

mittwochs um 6 Uhr

William Henry Harrison war Berufspolitiker durch und durch. Zeit seines Lebens im 18. und 19. Jahrhundert lebte er von Steuergeldern und hangelte sich zu diesem Daseinszweck von Pöstchen zu Pöstchen. Er bekleidete Ämter bei der United States Army und nutzte verschiedene Staatsämter als Sprossen auf seiner Karriereleiter wie zum Beispiel das des Sekretärs für das den Indianern entwundene Nordwestterritorium. Seine Pöstchen erschlich er sich gewöhnlich über Beziehungen und seine Verwandtschaft – sein Vater gehörte immerhin zu den Unterzeichnern der Unabhängigkeitserklärung von 1776 und war drei Jahre lang Gouverneur von Virginia gewesen. Daraus schlug Sohn William Henry politisches Kapital.

Schamlos nach oben

In seinen Ämtern war er sich für keine Sauerei zu schade. Beispielsweise befolgte er als junger Offizier eine Anweisung, Soldaten, die betrunken angetroffen werden, mit Peitschenhieben zu bestrafen, derart erfreut, diensteifrig und brutal, dass ihm zufällig anwesende Bürger in den Arm fielen und ihn kurzerhand festnahmen und inhaftierten, um Schlimmeres zu verhindern.

In einem anderen Fall lud er als Gouverneur von Indiana, einem Posten, den ihm sein Schwiegervater zugeschanzt hatte, eine Delegation Stammesführer der Sauk-Indianer zu Verhandlungen ein, machte sie betrunken und schwatzte ihnen riesige Gebiete für Spottpreise ab. Die auf diese Weise arglistig und betrügerisch geschlossenen Verträge wurden dann von ihm einfach gegen die bei den „Verhandlungen“ nicht anwesenden Stämme durchgesetzt, indem er sie auch gegen ihre Besitzansprüche kurzerhand für gültig erklärte – also glatter Raub im Namen des Staats. Berufspolitiker tun eben, was Berufspolitiker tun.

Seine fiese Tour löste dann auch prompt einen Krieg gegen die Indianer und die Briten aus, in dem Harrison seine militärische Laufbahn fortsetzte und bis in den Generalsrang aufstieg. Den Ruf als Kriegsveteran nutzte er dann später wiederum politisch, als er für das Präsidentenamt kandidierte. Er war eben ein geschickter Populist. Dazu passte auch seine berüchtigt-blumige und gespreizt schwafelnde Art zu reden, die er sich bereits als junger Amtsträger angewöhnt hatte.

Seine kläglichen Ausflüge in die Privatwirtschaft dagegen, wo er mehrmals versuchte, das Steuergeld, das er vom Staat erhalten hatte, gewinnbringend zu investieren, mal in Bodenspekulationen, mal in Firmenanteile, blieben allesamt erfolglos. In der freien Wirtschaft verloren, allein über Seilschaften von Staatspöstchen zu Staatspöstchen sich hangelnd, immer auf Kosten anderer lebend und bei passender Gelegenheit seinen miesen Charakter auslebend – an dem Berufsbild hat sich bis heute wohl einfach nichts geändert. Und schon immer konnte man so bis in höchste Ämter aufsteigen.

Hybris, die Berufskrankheit der Politiker

1836 kandidierte er das erste Mal um das Präsidentenamt und verlor. Beim zweiten Anlauf klappte es dann, weil Harrison die 1837 ausgebrochene Wirtschaftskrise erfolgreich seinem Vorgänger von der gegnerischen Partei anlasten konnte.

Am Tag vor seinem Amtsantritt lief er in Washington stundenlang durch den eiskalten Regen, um einem Freund persönlich mitzuteilen, dass er ihm ein Pöstchen im diplomatischen Dienst verschafft hatte. Vetterleswirtschaft und Filz hatten eben für ihn als Berufspolitiker eine sehr hohe Priorität.

Am nächsten Tag, bei seinem Amtsantritt am 4. März 1841, hielt der dann 68-Jährige eine zweistündige Rede belanglosen Inhalts – die bis heute längste Antrittsrede eines amerikanischen Präsidenten überhaupt. Nicht nur die Länge der Rede war bemerkenswert, sondern auch die Tatsache, dass er sie trotz Eisregens unter freiem Himmel hielt und dabei keinen Mantel trug.

Damit wollte er demonstrieren, wie fit er war, denn die oppositionelle Presse hatte ihn ob seines fortgeschrittenen Alters zuvor als Tattergreis verspottet. – Tja, als Berufspolitiker muss man eben immer auf die Außenwirkung achten. Und immer schön Symbolik und Tugendsignalisierung betreiben, koste es, was es wolle.

In seinem Falle kostete es ihn das Leben.

William Henry Harrison zog sich bei seiner Show eine Lungenentzündung zu und verstarb an deren Folgen am 4. April nach genau einem Monat im Amt, den er im Krankenbett verbracht hatte. Kein Präsident regierte kürzer, kein Präsident bewirkte weniger.

Berufspolitiker generell, vor allem aber die im letzten und im aktuellen Kabinett versammelten, sollten sich das Schicksal dieses Vertreters ihrer Zunft zu Herzen nehmen: Wenn sie es übertreiben mit ihrem Leben auf Kosten anderer, mit ihren hinterlistigen Raubzügen, mit ihrem Amts- und Machtmissbrauch, mit ihrem Postengeschacher, mit ihren Seilschaften und ihrer Parteikarriereleiterkletterei, mit ihrem populistischen Gehabe, mit ihrem Vorziehen von publikumswirksamer Symbolik vor verantwortungsvollem Handeln – dann kann sie solcherlei Gebaren am Ende Amt, Würde und Leben kosten. Manchmal schlägt das Schicksal zurück. Auf welche Weise, das bleibt unvorhersehbar …

„Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten.“ (Galater 6:7)


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