20. April 2022
Wider die Staatsgläubigkeit: Was mir am Ostermontag geschah …
… und warum der Staat nicht glücklich macht
von Oliver Gorus
Nach einem langen Tag in der Bergsonne und im Schnee holte ich am Nachmittag des Ostermontags die überwinterten Pflanzen ans Licht und in die frische Luft. Einer der Kübel war verflixt schwer, ich musste die Sackkarre darunterklemmen und die nach dem französischen Botaniker Pierre Magnol aus dem 17. Jahrhundert benannte Schönheit aus dem Winterlager einmal um den Block den Hang bergauf an der Straße des Bergdorfs entlangschleppen, um von oben zur Terrasse zu gelangen. Es war steil, ich war schon reichlich platt, und ich hatte Mühe. Da hielt neben mir ein Bus.
Zuerst dachte ich, dass ich mit meinem Kübel am Straßenrand im Weg sei. Aber der Busfahrer, ein dicker Mann mittleren Alters, gestikulierte wild und deutete auf die geöffnete Tür. Dann stellte er den Motor aus, stieg aus und packte mit an.
Ich war völlig verblüfft. Er wuchtete gemeinsam mit mir den Kübel samt Magnolie und Sackkarre in den Bus, grinste mich an, setzte sich ans Steuer und fuhr los. Es ging nur um ein paar Meter, das steilste Stück, dann waren wir um die Kurve, der Busfahrer hielt wieder an, stieg aus und lupfte mit mir und einem Fahrgast den Kübel aus dem Bus.
Großartig! Vermutlich hätte ich an der Steilstelle meine restlichen Tageskräfte verbrannt, so aber musste ich nur noch ein paar Meter ebene Strecke zurücklegen. Ich war dem Busfahrer sehr, sehr dankbar. Bevor er sich verabschieden konnte, strahlte ich ihn an, bedankte mich und reichte ihm die Hand.
Nun war er es, der verblüfft war. Nach einem kurzen Zögern griff er mit seiner Pranke nach meiner Hand, drückte kräftig zu und strahlte zurück, von einem Ohr zum anderen.
Weil wir keine Masken trugen, konnten wir sehen, was im Gesicht des anderen vor sich ging. Weil wir keine Skrupel hatten, einem fremden Menschen die Hand zu schütteln, teilten wir eine der schönsten Gesten unserer Kultur. Und weil wir einander in einem Tal in den Bergen begegneten und nicht in einer Stadt, waren wir freundlich zueinander und freuten uns daran, dass es seliger ist zu geben als zu nehmen.
Auf der materialistischen Seite
Der evangelische Theologe und Journalist Stephan Anpalagan postete am selben Ostermontag auf seinem sehr großen Twitter-Account: „Warum ist der öffentliche Nahverkehr nicht kostenlos?“ – und bekam dafür rund 8.000 Likes von seinen Followern.
Nun, das hätten natürlich viele Deutsche gerne: kostenlos Bus und Bahn benutzen, um in den deutschen Großstädten auf Kosten anderer von A nach B zu kommen. Denn selbstverständlich ist der ÖPNV nicht kostenlos. Weil er nämlich etwas kostet: Ein Linienbus kostet pro Jahr circa 300.000 Euro, jedenfalls wenn er einen Dieselmotor hat. Elektrobusse sind teurer. Die Schienen, die Triebwagen und Waggons, der Strom, der Kraftstoff, die Instandhaltung, die Arbeitskräfte samt Betriebsrat und Verdi huckepack … selbstverständlich verursacht der öffentliche Nahverkehr Kosten! Selbstverständlich ist er auch trotz kräftiger Fahrpreise defizitär. Und selbstverständlich gefallen sich manche Menschen darin, die Kosten auf die anderen Menschen abzuwälzen, indem einfach der Staat die Leistung erbringt und die Kosten über Steuern und Abgaben eintreibt. Dann bezahlt der Unternehmer Adam den Bus, den der Schnorrer Stephan gerne nimmt.
Die Vorstellung, ein Dienst des Staates könnte kostenlos sein, ist völlig irre. Nur weil durch den Staat Kosten vom Kunden zu völlig Unbeteiligten verschoben und umverteilt werden, wird eine Dienstleistung ja nicht kostenlos. Sie wird nur ungerecht. Aber diese Denke ist Teil der in unserem Land derzeit vorherrschenden Kultur des Lebens auf Kosten anderer: Dabei geht es stets darum, den Staat damit zu beauftragen, Kosten von sich selbst und bestimmten Opfergruppen auf vermeintliche Tätergruppen wie die letzten verbliebenen Nettosteuerzahler zu überwälzen und dabei noch die moralische Überlegenheit für sich zu beanspruchen.
Bei allen verstaatlichten Wirtschaftssektoren wie Bildung, Energie, Gesundheit unter anderen funktioniert das hervorragend, nicht nur beim öffentlichen Nahverkehr. Und die Profiteure fühlen ihren moralischen Anspruch gegen die bösen Zahler ganz deutlich!
In der Obhut des Staats
Da prallen zwei Lebenswelten aufeinander: die ländliche, provinzielle, selbstverantwortliche Lebensart der sogenannten „einfachen Leute“ und die urbane, zentralistische, sozialistische Lebensart der Staatsgläubigen. Warum sollte ein Busfahrer in Berlin, Zürich oder Wien so hilfsbereit sein wie der im Bergdorf südlich des Hauptalpenkamms? Und warum sollte er sich Zeit nehmen, um wildfremden Leuten von Herzen etwas zu geben und zu helfen? Das würde ja gar keinen Sinn ergeben.
In der etatistischen Welt der Städter sorgen nicht die Bürger füreinander, sondern dort sorgt der Staat für alle Bedürfnisse der Bürger: Sicherheit, Gesundheit, Ernährung, Arbeit, „Soziales“ … Wo auch immer ein Lebensrisiko droht, ist der Staat dazu da, den Bürger durch Beschulung, Arbeitslosigkeit, Elternschaft, Alter, Krankheit und so weiter von der Geburt bis zum Tod zu transportieren, zu umsorgen, in Sicherheit zu wiegen. Als einzige Gegenleistung will er, dass die Schutzbefohlenen täglich Television glotzen, um brav und gehorsam zu bleiben und alle vier Jahre beim Kreuzchenmachen mitspielen. Finanziert wird das alles von „den anderen“, nämlich der versklavten Minderheit der Nettozahler.
Als Empfänger von staatlichen Garantien, Gaben oder gar als Staatsangestellter oder Beamter braucht es keinen Blick für den Nächsten, es braucht keinen Einsatz für andere, es braucht keine Fürsorge, Freundlichkeit oder Nächstenliebe. Das macht doch bereits der Staat!
Wenn Sie in einer Stadt leben oder jedenfalls mit der Grundhaltung eines typisch etatistischen und somit materialistischen Städters leben, egal ob in einer mietgedeckelten Wohnung im Ballungsraum oder in der KfW-bezuschussten Doppelhaushälfte im Vorort: Machen Sie es einfach wie alle anderen! – Leben Sie auf Kosten der anderen, lernen Sie, was Ihre Ansprüche gegen „die Allgemeinheit“ sind, fordern Sie, was das Zeug hält, und vertrauen Sie auf den Staat, der für Sie sorgt.
Die anderen dagegen können nach ihrer Fasson glücklich werden.
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Kommentare
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