30. März 2022

Ein Land im Griff der Angst Fürchtet euch nicht!

Warum wir unseren Mut nicht verlieren dürfen

von Oliver Gorus

Dossierbild

mittwochs um 6 Uhr

Ein guter Bekannter von mir, den ich sehr mag, war einmal ein furchtloser Draufgänger gewesen. In seinen jungen Jahren war er Boxer – bei dem Sport stecken Sie auch mal ordentlich was ein, und vor den Einschlägen und den damit verbundenen Schmerzen und der Verletzungsgefahr dürfen Sie keine Angst haben, sonst haben Sie bereits verloren.

Mehr noch – Sie müssen die instinktive Angst vor der physischen Gewalt überwinden, um sich dem Gegner nicht nur zu stellen, sondern um selbst Schläge austeilen zu können: Sobald Sie selbst zuschlagen, geben Sie die Deckung zur Hälfte auf. Sie gehen ins Risiko. Sie brauchen Mut. Und den hatte dieser Mann. Früher jedenfalls.

Der Draufgänger

Später machte er sich selbständig und baute sein Geschäft zu einem kleinen Unternehmen mit rund einem Dutzend Angestellten aus. Auch das ist nichts für ängstliche Gemüter. Ich kenne das ja. Wer zahlt Ihnen Ihr Gehalt? Wer bezahlt Ihre Sozialversicherung? Wer also legt für Sie Geld fürs Alter und für den Krankheitsfall zurück? Wer sichert Ihnen den Job? – Die Antwort lautet: niemand.

Oder anders gesagt: Sie selbst. Oder noch mal anders gesagt: Ihre Kunden, aber nur dann, wenn Sie dafür sorgen, dass sie Ihnen vertrauen, sie darum mit Ihnen freiwillig Verträge machen und mit Ihrer Leistung so zufrieden sind, dass sie Ihre Rechnung freiwillig bezahlen. Was Sie dafür brauchen: Vertrauen. Nämlich Vertrauen in sich selbst, aber auch Vertrauen in die Welt: Die wird es schon gut mit Ihnen meinen!

Wenn Sie nicht nur selbständig, sondern Unternehmer, also Eigentümer einer Gesellschaft sind, die sogenannte „abhängig Beschäftigte“ hat, das heißt sozialversicherungspflichtig fest angestellte Mitarbeiter, dann tragen Sie nicht nur wirtschaftliche Verantwortung für sich und Ihre Familie, sondern auch für die Mitarbeiter und deren Familien.

Und das in einer ziemlich unternehmerfeindlichen Atmosphäre mit den weltweit höchsten Steuern und Abgaben und einem feindlichen Finanzamt, das permanent hinter Ihnen her ist, um endlich zu beweisen, dass Sie ein Verbrecher sind. Wer Angst vor Verantwortung oder ganz allgemein Angst vor der Zukunft hat, der fängt so was gar nicht erst an.

Der Bekannte von mir hatte keine Angst. Jedenfalls hatte er mehr Mut als Angst. Und sein Mut zahlte sich auch finanziell aus. Sein Geschäft lief gut, und so hatte er genügend Kleingeld, um einen Formel-3-Rennstall zu gründen. Er selbst fuhr leidenschaftlich gern mit seinen Boliden auf Rennstrecken. Auch das ein Beleg: Wenn Sie mit 300 Sachen auf eine Kurve zurasen, haben Sie kein Problem mit der Angst.

Die Angst vor dem tödlichen Virus

Aber heute, und das betrübt mich, heute ist er nur noch ein Schatten seiner selbst. Während der Corona-Krise hatte derselbe stolze Mann panische Angst, sich anzustecken. Wochenlang ging er nicht aus dem Haus. Monatelang sahen wir uns nicht. Im Sommer 2020 traute er sich vorsichtig wieder an die frische Luft. Selbst im Freien hielt er meterweise Abstand, wenn er Menschen begegnete.

Seine Arbeit, die er früher geliebt hatte, reduzierte er auf Homeoffice und Videokonferenzen. Spaß macht ihm das nicht mehr, aber anders geht es aus seiner Sicht nicht: viel zu gefährlich. Er war der festen Überzeugung, zu sterben, wenn ihn das Virus erwischt. Darum war er sofort beim Impftermin, sobald Impfstoff verfügbar war. Einen Tag nach der zweiten Impfung erlitt er einen Herzinfarkt. Operation. Knapp überlebt. Die Angst vor dem Virus blieb. Also impfte er weiter. Nach dem Boostertermin platzte ihm ein Gefäß im Bein. Ihm ging es immer schlechter, sowohl körperlich als auch psychisch. Die Angst fraß ihn auf.

Und dann bekam er auch noch Corona. Er verkroch sich im Bett und hatte Angst, eine Lungenentzündung zu bekommen, auf der Intensivstation zu landen und dort intubiert und an Geräten hängend zu verrecken.

Er überlebte auch das. Und wartet jetzt auf den nächsten, seinen vierten Impftermin. Ich habe Angst um ihn.

Fertig mit der Welt

Kürzlich saß ich mit ihm zum Kaffee auf anderthalb Meter Abstand auf der Terrasse zusammen, und er war sehr fatalistisch: Der Dritte Weltkrieg werde kommen, da sei er ganz sicher. Der Putin sei ein zweiter Hitler, der höre nicht auf. Als Erstes werde er Atombomben auf die deutschen Großstädte werfen. Die Amerikaner würden dann den atomaren Gegenschlag ausführen. Ab 30 gefallenen Atombomben sei die Erde unbewohnbar. Sagen die Experten. Das würde auf jeden Fall so kommen. Und das sei’s dann gewesen. Es gäbe keine Rettung mehr. Putin müsste eigentlich von seinen Generälen gestürzt werden, aber das seien nur Jasager. Alle Kritiker seien ja schon längst vergiftet oder eingesperrt. Der Putin werde die Welt zerstören. Auf jeden Fall. Und wir Deutschen seien als Erstes dran.

Ich war sprachlos. Die Angst hat ihn komplett überwältigt.

Und ich habe mich gefragt, wie das sein kann. Wie kann ein so lebensfroher, mutiger, Zeit seines Lebens der Angst trotzender Mensch so fertig mit der Welt sein? Wie kann einer, der früher immer Wege gefunden hat, heute keinen Ausweg mehr sehen? Wie kann einer, der sein Schicksal stets in beide Hände genommen hat, nun keine Hoffnung mehr haben? Wie kann einer, der im Leben stets Verantwortung übernommen hat, nun dem Bösen und Schlechten völlig ergeben sein?

Ich habe tagelang gerätselt, was diesen Mann so fertiggemacht hat.

Die Antwort ist einfach, wenn man sie erkennt: Er schaut jeden Abend fern.


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