23. März 2022
Vom Souverän zum Untertan: Die wahren Herrscher
Warum wir eine Zukunft ohne Politiker versuchen sollten
von Oliver Gorus
Allzu viele haben sich daran gewöhnt, nicht mehr ihren Augen und Ohren und ihrer Intuition zu trauen – deren Realität ist das, was „man“ ihnen sagt, was die Realität sei. Und so kommt es, dass geschätzt zwei Drittel der Leute nicht nur Staatsfernsehen glotzen, sondern allen möglichen Unfug glauben. Beispielsweise, dass sie krank sein könnten, ohne Symptome zu haben. Dass Ungeimpfte daran schuld seien, wenn sie trotz einer sogenannten „Impfung“ krank würden. Dass Menschen aus Afrika oder Asien einen Anspruch auf umfangreichste Sozialleistungen erwürben, sobald sie über die deutsche Grenze gelatscht seien. Dass Frauen in der Wirtschaft benachteiligt würden, dass unverhunzte Sprache frauenfeindlich sei, dass die EU ein Friedensprojekt sei, dass nachts die Sonne scheine und bei Flaute der Wind wehe oder dass Demokratie gleichbedeutend mit kollektiver Freiheit sei.
Wenigstens das mit der Demokratie muss mal klargestellt werden. Die allseits anerkannte Lehrmeinung über unsere Gesellschaftsform, die uns schon in der Schule eingebimst wird, ist eine Art Heiligsprechung der Demokratie und ihrer leuchtend positiven Begleiterscheinungen: Gerechtigkeit, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Friede, Freude, Eierkuchen.
Dabei lernen wir auch, dass eine Demokratie im Sinne eines Volksentscheidungsmechanismus zur Ermittlung von Mehrheiten alleine zwar die Grund- und Freiheitsrechte nicht sicherstellen kann, da sie eine potenzielle Unterdrückung der jeweiligen Minderheit in sich trägt, also eine Tyrannei der Mehrheit, die schon Alexis de Tocqueville Mitte des 19. Jahrhunderts brillant beschrieb, dass aber zumindest unsere Demokratie auf einem Menschenbild fuße, das die Grundrechte beinhalte, dass hier ja niemand von der politischen Willensbildung ausgeschlossen werde, dass außerdem Minderheitenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung im modernen Verfassungsstaat die Versicherung dafür seien, dass die Grundrechte wirksam geschützt seien.
Gut, so weit die paradiesischen Bedingungen, die wir gefälligst so wahrnehmen sollen.
Ein Ring, sie zu knechten
Was ich aber sehe, wenn ich meinen eigenen Augen traue, ist das Bild, dass die Monokultur der demokratischen Verfassungsrepubliken in der westlichen Welt eine Sackgasse der Geschichte ist. Gemeinsam mit ihnen ist das Konzept der in den Verfassungen verbrieften Grund- und Freiheitsrechte als Abwehrrechte gegen den Staat gescheitert. Und das deshalb, weil die Demokratien eben keineswegs den Schutz der Grund- und Freiheitsrechte garantieren, weil die Sicherheitsmechanismen der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung auf sehr einfache Weise von den Herrschern ausgehebelt werden. Überhaupt ist die Demokratie im Wortsinn einer Volksherrschaft Augenwischerei, weil in allen Demokratien über kurz oder lang das Volk nicht der Herrscher, sondern der Untertan ist.
Die sogenannte Pandemie war der Lackmustest für die deutsche Demokratie und ihre Verfassung. In dieser Krise, als die Politiker mit dem Infektionsschutzgesetz ein Ermächtigungsgesetz wie in den 30er Jahren aufgrund einer postulierten Dauerkrise wie in den 30er Jahren durchgesetzt haben, hätte sich die Verfassung bewähren müssen, denn sie war geschaffen worden, um das, was in den 30er Jahren geschehen ist, nie wieder zuzulassen.
Um es deutlich auszusprechen: Die Bundesrepublik Deutschland verfügt nicht über eine konsequente Gewaltenteilung. Eine Verfassung ohne Gewaltenteilung ist aber nichts wert, weil da nämlich niemand einer sich aufgebenden Legislative in den Hintern tritt, weil da niemand eine Exekutive, die sich der Parlamentskontrolle entzieht, in die Schranken weist, weil da die Presse der Exekutive nach dem Mund redet, weil da der Verfassungsschutz die Regierung schützt und nicht die Verfassung, weil da die obersten Gerichte wie Rechtfertigungsministerien der Regierung funktionieren. – Ganz offensichtlich lässt sich jede Verfassung aushöhlen, wenn eine Gewalt alle anderen in den Griff bekommt.
In Deutschland haben es die Parteien geschafft, ein Kartell zu bilden und sich das Land mitsamt seinen Bewohnern und deren Ressourcen zur Beute zu machen – ein Ring, uns zu knechten. Sie kämpfen nun schlauerweise nicht mehr gegeneinander wie noch vor vier, fünf, sechs Jahrzehnten, sondern sie kämpfen gemeinsam gegen den Bürger.
Die Strategie, die sie von Volksdienern zu Volksbeherrschern gemacht hat, ist simpel: Die über mehrere Legislaturperioden dominierenden Parteien besetzen einfach alle Gewalten personell: Legislative, Judikative, Exekutive und Medien werden in allen Führungspositionen mit Parteileuten besetzt. Die Parteien bilden so die eigentliche und mächtigste Gewalt im Staat. Noch konkreter: Die allein durch die Parteien existierenden Berufspolitiker sind die mächtigste Menschengruppe im Staat. Sie sind die Fürsten von heute. Und sie sind mächtiger, als es die Aristokraten in den Monarchien jemals waren.
Kein demokratischer Notausgang
Im Grundgesetz steht lediglich, dass die Parteien, die ja aus Politikern bestehen, an der politischen Willensbildung mitwirken sollen. Dort steht aber nicht, dass die Parteien alles durchdringen und beherrschen sollen. Dass es trotzdem so gekommen ist, kann keine Verfassung verhindern.
Die auf den ersten Blick salomonische Idee des Parlamentarischen Rats war wohl, dass über die Zweitstimmen die Hälfte des Bundestags mit Parteisoldaten besetzt wird, während über die Erststimmen parteiunabhängige Direktkandidaten die andere Hälfte des Parlaments bilden. In einem solchen nur zur Hälfte durch Parteien gebildeten Parlament wäre beispielsweise die Besetzung von höchsten Richterposten mit Parteigängern nicht durchsetzbar. Auch ein als Infektionsschutzgesetz getarntes Ermächtigungsgesetz wäre undenkbar. Auch eine Impfpflicht könnte nicht beschlossen werden, weil der in den Grund- und Freiheitsrechten codierte Minderheitenschutz von einem parteiunabhängigen Verfassungsgericht durchgesetzt würde.
Aber die Gründerväter der Bundesrepublik haben die Parteien unterschätzt: Die haben sich nämlich auch die Erststimmen gesichert und sich 100 Prozent der Parlamente und 100 Prozent der Regierungsposten unter den Nagel gerissen. Die Bürger kennen heute gar nichts anderes als Parteipolitiker. Sie kämen niemals auf die Idee, parteiunabhängige Kandidaten in ihr Landesparlament oder in den Bundestag zu wählen.
Jeder, der sich als solcher aufstellen ließe, würde von den allmächtigen Parteien sofort diskreditiert, diffamiert, als radikal oder extremistisch verschrien und von ihren Parteifreunden in den Medien gnadenlos fertiggemacht werden. Das würde schon auf lokaler Ebene mithilfe von parteihörigen Regionalzeitungen blendend funktionieren. Es gibt also auf demokratischem Wege kein Entrinnen aus der Herrschaft der Parteien.
Wer es unbedingt mit einer Demokratie versuchen will, braucht zwingend Gewaltenteilung, sonst wird die Demokratie zur Tyrannei der Mehrheit. Wer aber Gewaltenteilung will, muss die Parteien komplett abschaffen beziehungsweise systematisch völlig entmachten, zu reinen Vereinen ohne jedes Privileg degradieren. Denn Gewaltenteilung und Parteien sind wie Feuer und Wasser. Sobald Sie sich die Parteien eingetreten haben, können Sie die Grund- und Freiheitsrechte über kurz oder lang vergessen. Sie landen in einer Tyrannei der Mehrheit, Sie schlittern von der Demokratie in eine Ochlokratie, und dann bricht entweder der Totalitarismus oder das Chaos oder beides nacheinander aus.
Volksherrschaft ohne Demokratie
Wer Parteien und Politiker entmachten will, muss ihnen auf irgendeine Weise die Beute wegnehmen: das Geld beziehungsweise die Verfügungsgewalt über das Geld der Bürger. In einem künftigen Gesellschaftssystem, das besser funktionieren soll als die derzeit handelsüblichen Verfassungsdemokratien, muss der Geldstrom genau andersherum fließen – statt von der Zentrale in die Länder, die Landkreise und die Gemeinden muss das Geld der Bürger zuerst zur Gemeinde fließen und von da zum Landkreis, von da ins Land und von da in die Zentrale für einige wenige Restaufgaben. Das wäre dann echte Dezentralität, echte Subsidiarität, nicht nur dessen aktueller Abklatsch.
Es ist gar kein Wunder, dass Politiker aller Parteifarben Zentralismus lieben und Subsidiarität seit Jahrzehnten systematisch unterlaufen, ignorieren oder zerstören, denn Zentralismus bedeutet Machtakkumulation, und Macht zieht Politiker an, wie Misthaufen Fliegen anziehen. Am liebsten würden Politiker ihren Misthaufen wie Babylons Turmbauer bis in den Himmel auftürmen, wenn sie könnten. Sie arbeiten jedenfalls daran.
Noch besser als die Begrenzung der Macht der Politiker wäre es allerdings, Politiker gleich komplett abzuschaffen. Eine solche Gesellschaft ohne Politiker liegt irgendwo in der Zukunft und wartet auf ihre Entdeckung. In ihr ist das öffentliche Recht gestrichen. und jedes Gut hat seinen privatrechtlichen Eigentümer. Das Gemeingut und der komplette öffentliche Sektor sind abgeschafft und verboten. Der Kunde wird dann die Macht haben, nicht der Politiker. Eine solche Privatrechtsgesellschaft würde nicht Demokratie genannt werden. Aber tatsächlich wäre sie im eigentlichen Sinne demokratischer als alles, was es bis dato an Gesellschaftsentwürfen gegeben hat: Jeder wäre Kunde und sämtliche Macht wäre unter allen Kunden aufgeteilt.
Wer Demokratie nicht nur beschwören, sondern wirklich eine echte Demokratie, also eine Volksherrschaft haben will, der muss eine Privatrechtsgesellschaft errichten – und endlich aufhören mit diesen blöden Wahlen dieser blöden Parteipolitiker.
Anzeigen
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv Abonnenten der Zeitschrift „eigentümlich frei“ zur Verfügung.
Wenn Sie Abonnent sind und bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, nutzen Sie bitte das Registrierungsformular für Abonnenten.
Mit einem ef-Abonnement erhalten Sie zehn Mal im Jahr eine Zeitschrift (print und/oder elektronisch), die anders ist als andere. Dazu können Sie dann auch viele andere exklusive Inhalte lesen und kommentieren.