16. März 2022

Als der Westen einmal zusammenbrach Die kurze Geschichte einer Wiedergeburt

Wurzeln einer Hochkultur

von Oliver Gorus

Dossierbild

mittwochs um 6 Uhr

Privateigentum, individuelle Freiheit und freie Märkte hatten einst das Kraftzentrum des Westens gebildet. Alles andere, insbesondere die Hochtechnologie, der Wohlstand für alle und die reiche abendländische Kultur, baute darauf auf und wurde aus diesem geistigen Zentrum zweieinhalb Jahrhunderte lang tagtäglich gespeist und vorangetrieben.

Anfang des 20. Jahrhundert aber befiel der Kollektivismus dieses Kraftzentrum wie ein Pilz. Er nagte am Westen, laugte ihn aus, verbrauchte und verzehrte seine Substanz. Der Westen wurde immer schwächer, das Privateigentum wurde nach und nach über Steuern, Abgaben und Inflation kollektiviert, das Individuum wurde mit immer neuen gewaltbewehrten Zwängen dem Kollektiv untergeordnet und die Märkte wurden einer nach dem anderen in Zentralplanungswirtschaftssektoren umgewandelt. Die technologische Entwicklung geriet ins Stocken. Der Wohlstand für alle stagnierte zuerst auf einem Plateau Ende der 1990er Jahre und begab sich dann ab etwa dem Jahr 2000 auf rasante Talfahrt. Und die Kultur brachte keine Werke von Weltformat mehr hervor.

Schließlich kollabierte er von innen heraus. Anfang des 21. Jahrhunderts war die Ära des Westens vorbei.

Chaosjahre

Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Ein Bild des Jammers. Seine Schwäche versuchte er mit Großmäuligkeit, Arroganz und Überheblichkeit zu übertünchen, aber jeder konnte sehen, wie lächerlich seine Doppelstandards waren, wie hohl die Phrasen von Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit klangen, wie abgenutzt die Argumentationsmuster des einst allen anderen Weltregionen überlegenen Westens waren.

Indien, China und Russland schlossen sich zu einem Pakt gegen den Westen zusammen und begannen, sich gemeinsam systematisch unabhängig von ihm zu machen und seinen Niedergang mit gezielten Nadelstichen und geplanten Schachzügen zu beschleunigen. Sie entamerikanisierten die Welt, sie ließen den Dollar implodieren, entwickelten eigene Handels- und Zahlungssysteme, bildeten einen starken Wirtschaftsraum, der florierte, während der Westen die Geister, die er in seiner Hybris gerufen hatte, nicht mehr loswurde: Die staatlichen Papiergeldwährungen verfielen, die überalterten und fehlausgebildeten Staatsvölker verbrauchten mehr, als sie erwirtschafteten, die an Big Pharma verkauften Bevölkerungen kränkelten, die Stadtzentren waren islamisch dominiert und es herrschte dort die Scharia, die letzten Leistungsträger zogen sich in Zitadellen zurück und überließen die Politiker der Wut der vom Staat ausgebeuteten und hungernden Bevölkerung, die nichts mehr zu verlieren hatte.

Der Versuch der Politiker, im Kartell mit Big Tech und Big Media einen totalitären und zentralisierten Überwachungs- und Polizeistaat in Europa nach dem Handbuch von George Orwell zu errichten, schlug fehl, die Vereinigten Staaten von Europa zersplitterten schon nach kurzer Zeit genauso wie die Vereinigten Staaten von Amerika.

In vielen Regionen des Westens brach die Energie- und Nahrungsmittelversorgung zusammen, Chaos brach aus. An den Rändern fielen die islamische Welt, Lateinamerika und Russland über die wehrlosen Reste her, im Inneren bildeten sich Milizen zur Selbstverteidigung von Gemeinden, Städten und Stadtteilen.

Staat? Nein, danke!

Manche Regionen stabilisierten sich schnell. Zurückgeworfen auf die Fundamente ihrer Kultur, besannen sich die Menschen auf das, was ihre Zivilisation einst ausgemacht hatte: Privateigentum, individuelle Freiheit und freie Märkte.

Die Männer trugen Waffen: erstens, um ihre Familie und ihr Eigentum jederzeit schützen zu können, zweitens, um nie wieder in die Knechtschaft eines Staates zu gehen. Lieber tot als Untertan! Innerhalb der Grundstücksgrenzen, innerhalb der eigenen Wohnung herrschte der Eigentümer, galten seine Regeln. Auf den Grundstücken und in den Wohnungen der anderen galten deren Regeln. Und Gemeineigentum beziehungsweise öffentliches Recht gab es keines mehr. Das Selbstbestimmungsrecht galt universell und absolut für jeden. Konflikte wurden ausgetragen und entschieden, meistens friedlich, manchmal geschlichtet von privaten Schiedsgerichten. Territoriale Monopolisten der Rechtsprechung wurden in den meisten Regionen nicht mehr geduldet – zu laut hallten die Rechtsbrüche der staatlichen Gerichte nach.

Die Menschen einigten sich auf geeignete staatsunabhängige Währungen, doch gab es überall immer mehr als nur ein übliches Zahlungsmittel, es herrschte Wettbewerb beim Geld und damit Preisstabilität. Verträge mussten eingehalten, Schulden mussten zurückgezahlt werden, der Zins wurde frei ausgehandelt.

Eigentum kollektivieren zu wollen, war in den meisten Gegenden unmöglich geworden, da Steuereintreiber ihres Lebens nicht mehr sicher gewesen wären. Der Staat hatte jedes Vertrauen verspielt und einzelne Versuche, neue Staatsmonopole zu errichten, wurden schnell im Volkszorn erstickt. Politiker gab es fast überall überhaupt keine mehr. Stattdessen organisierten sich die Menschen selbst: Regeln wurden verhandelt. Unternehmen wurden gegründet und mit den Aufgaben betraut, die sich früher der Staat angemaßt hatte. Privatrechtsgesellschaften entwickelten sich.

Der Wilde Westen

In manchen Gegenden klappte das gut, in anderen schlecht. Die Menschen schauten sich voneinander ab, was in der einen Region gut funktionierte, und vermieden, was in der anderen Region schlecht funktionierte. Die Menschen lernten schnell. Es entstand ein wilder freier Markt von unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen: Königreiche und Fürstentümer, freie Privatstädte, Hansestädte, christliche Gesellschaften, islamische Kalifate, völkische Bundgemeinschaften, kantonale Selbstverwaltungen mit Volksabstimmungen. Vergessliche Menschen gründeten auch kleine Imitate der alten demokratischen Verfassungsstaaten und ließen sich erneut von Politikern beherrschen.

In manchen Regionen sammelten sich gar die übrig gebliebenen Staatsgläubigen, errichteten kleine kommunistische Staaten mit Mauern und Stacheldraht drumherum, bauten Bespitzelungssysteme auf, beschworen jährlich wechselnde Katastrophen und Krisen und zahlten sich ein bedingungsloses Grundeinkommen von hastig gedrucktem Zentralbankgeld aus. In diesen Staaten hungerten die Menschen und fielen nach und nach auf das Niveau des Mittelalters zurück, aber immer wieder gab es vor allem junge Leute von überallher, die in diese Staaten zuwanderten, weil sie diesmal aber wirklich den echten Sozialismus errichten wollten. Und zwar vegan und klimaneutral.

Der Westen insgesamt aber wurde ein bunter dezentraler Flickenteppich, der sich mehrheitlich auf seine freiheitlichen, christlichen, aufklärerischen Wurzeln besann, sich rasend schnell entwickelte, schon nach wenigen Jahrzehnten wieder auf dem Wohlstand vom Ende des 20. Jahrhunderts angekommen war und zu neuen kulturellen und technologischen Höhenflügen ansetzte.

Die vielen kleinen Gesellschaften, die vielen kleinen Unternehmen, die vielen kleinen Märkte waren schneller, besser, wahrer, konstruktiver, menschlicher, fröhlicher, glücklicher, gesünder, freier – und gemeinsam mächtiger als alles, was die Welt zuvor gesehen hatte.


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