02. Februar 2022

Was würde Ockham heute sagen? Warum es keine Weltverschwörung gibt

Die wahren Gründe für die Krise

von Oliver Gorus

Dossierbild

mittwochs um 6 Uhr

Als ich vor ein paar Tagen gelesen habe, dass die Bundesregierung seit Beginn der Corona-Maßnahmenkrise mehr als 660 Millionen Impfdosen bei der Pharmaindustrie bestellt hat, wovon noch knapp 500 Millionen übrig sein müssten, habe ich zuerst das Atmen vergessen. – Steuergelder! Knapp acht Impfdosen pro deutscher Nase vom Säugling bis zum Greis! 20 Euro pro Dosis! 13 Milliarden Euro! Entspricht anderthalb Jahren Staatsfunk! – Aber der Atemreflex verhindert dann in solchen Fällen ja zuverlässig, dass wir verenden. Ich habe nach Luft geschnappt und dann hat mir so manches gedämmert.

Beispielsweise dass diese epidemiologische Krise, die zu einer Verfassungs- und einer Demokratiekrise geworden ist und die über kurz oder lang eine Staatskrise werden wird, ganz einfach und schlüssig zu erklären ist. Und dass sie weniger mit Klaus Schwab oder Bill Gates und mehr mit William of Ockham zu tun hat.

Heute ist der 2.2.22 – trinken Sie erst mal einen Schnaps. Und dann springen Sie mit mir bitte mal siebenhundert Jahre zurück:

Die Schwurbler des Mittelalters

William of Ockham gilt heute als einer der bedeutendsten Philosophen des Mittelalters. Er startete seine Karriere als Influencer des 14. Jahrhunderts von der Universität von Oxford aus, indem er sich mit dem Kanzler der Uni anlegte. William war eben ein Querdenker – oder besser gesagt: ein Selberdenker, der eigene Thesen über die Welt entwickelte, anstatt nur die des Establishments nachzubeten. Der Kanzler wollte ihn mundtot machen, wie man das eben seit Urzeiten mit allen aufmüpfigen Geistern macht, deren Followerschaft eine bestimmte Größe überschreitet und die dadurch den Machthabern unbequem werden.

Der Kanzler ging also zum Papst nach Avignon und denunzierte Ockham, dessen Accounts daraufhin von Faktencheckern überprüft wurden, die 29 Posts fanden, die den päpstlichen Nutzungsbedingungen für die Welt widersprachen.

Das heißt, William wurde der Häresie, also eine vom Mainstream abweichende Meinung zu vertreten, bezichtigt. Es ging damals nicht darum, ob die Impfung wirkt oder nicht und ob Ungeimpfte auf Dauer besser vor Infektionskrankheiten geschützt sind als Geimpfte, sondern zum Beispiel darum, ob die Erbsünde den Menschen grundsätzlich verdorben hat oder nicht.

Ockham fand, dass der Mensch durch die Sache mit Eva, dem Apfel und der Schlange eben noch lange kein Sünder per Werkseinstellungen ist, sondern durchaus frei von Sünde leben könne, wenn er sich nur ein wenig anstrenge. Er begründete das auch ganz logisch: Der Mensch sei ja von Gott geschaffen und Gott würde nichts grundsätzlich Böses oder Schlechtes erschaffen. Jeder Mensch komme also frei von Sünde auf die Welt und habe dann durch sein Verhalten die Wahl, ob er zum Sünder werde oder nicht. Das ist eigentlich eine sehr gute Nachricht. Denn sie enthält nichts anderes als: die Freiheit!

Aber so viel Selbstverantwortung ist den Mächtigen selbstverständlich ein Dorn im Auge. Man braucht da gar nicht die Theologie oder die Philosophie zu bemühen. Es genügt zu verstehen, dass die Mächtigen ein ganzes Reich zu verlieren haben, wenn sie die Menschen nicht als hoffnungslose Sünder klein und gefügig halten. Wo kämen wir denn hin, wenn die Menschen plötzlich selbst die Verantwortung für ihr Leben übernähmen? Dann würden sie sich ja von der gefügigen Herde emanzipieren und zu freien Individuen werden, und dann bräuchte es am Ende die Hirten ja gar nicht mehr!

Übertragen auf die heutige Zeit würden ARD, ZDF und DLF unisono mit allen führenden Politikern von morgens bis abends herunterbeten, wie verdorben der Mensch sei. Würden Sie dann mit Ockham so pelagisch dagegen argumentieren, dass dieser deprimierende Gedanke doch ziemlich unlogisch sei und dass der Mensch selbst die volle Verantwortung für sein Wirken und damit auch für seine Sünden habe, würden Sie ruckzuck von Youtube, Twitter und Facebook fliegen, sobald Sie eine bestimmte Reichweite erreicht hätten. Jede Wette.

Und stellen Sie sich zum Beispiel noch vor, die Menschen würden sich an Ockhams These orientieren und in heutiger Zeit für ihre Gesundheit selbst die Verantwortung übernehmen. Sie würden sich entscheiden, ihren Körper zu ehren und zu pflegen, indem sie sich gesund ernähren, sich der Sonne und der frischen Luft aussetzen, den Bewegungsapparat trainieren, sich nicht regelmäßig mit Alkohol, Nikotin und Pharmaprodukten vergiften und sich von den Staatsmedien nicht täglich Angst einjagen lassen. Sie wären glatt gesund, ihr Immunsystem würde den ollen Coronavirus wegputzen und die Herrscher hätten keinen Grund, ihnen die Freiheits- und Menschenrechte zu entziehen oder sie zur Impfung zu zwingen. Die Herrscher wären machtlos und überflüssig. Sie müssten sich aus der Privatsphäre, zu der die persönliche Gesundheit nun einmal gehört, einfach heraushalten.

Anhand dieser Analogie können Sie vielleicht nachvollziehen, wie genervt das päpstliche Establishment von Ockhams Selbstwirksamkeits-Thesen gewesen sein muss.

Cancel Culture

Und Ockham ging noch weiter. Er bot dem Papst die Stirn. Ockham war Franziskaner und damit selbstgewählt besitzlos. Der Papst dagegen war steinreich und schwelgte im Luxus. Darin alleine lag schon Zündstoff.

Zu der damaligen Zeit war die Armutsfrage keine politische oder soziologische, sondern eine theologische: Es war umstritten, ob Franziskanermönche oder gar der ganze Orden verpflichtet waren, in kompletter Armut, also frei von Eigentum zu existieren, um so dem Geiste des heiligen Franziskus zu entsprechen. Das mit der Armut war auch gar nicht so einfach umzusetzen. Insbesondere: Was sollte der Franziskanerorden denn machen, wenn ihm Immobilien und andere weltliche Dinge von Wert geschenkt oder vererbt werden? Und weiter: Hatten Jesus und die Apostel privates Eigentum oder nicht? Wenn nicht, folgte dann daraus, dass ein Leben in Nachfolge Christi bar jeden Eigentums zu führen sei? Und galt das nur für die Bettelmönche oder für den ganzen Orden oder gar für die ganze Kirche?

Davon wollte der Papst nichts wissen. Und das kann ich nachvollziehen. Wenn einem der reichsten und am ausgiebigsten im Luxus lebenden Menschen der Welt die freiwillige Armut nicht sehr sympathisch ist, dann braucht man gar keine philosophischen Argumente. Da genügt es, die Menschen zu kennen.

Aber dass der Papst die Verfechter der kirchlichen Armut dann gleich als Häretiker verfolgen und hinrichten ließ, war reichlich übertrieben. Können es die Mächtigen denn nicht einfach aushalten, dass manche Menschen anderer Meinung sind als sie? Müssen dann immer gleich die Andersdenkenden als Schwurbler, Nazis, Querdenker oder Häretiker bezeichnet, ausgestoßen, entrechtet und verfolgt werden? Müssen es die Herrscher immer übertreiben? Das fand auch William of Ockham komplett durchgeknallt. Und unerschrocken. wie er war, befand er nun seinerseits, dass der Papst nicht mehr alle Tassen im Schrank habe, der Häresie schuldig und vom Glauben abgefallen sei. Und sagte das auch öffentlich.

Jetzt wurde es ernst. William musste untertauchen und fliehen.

Beim gleichgesinnten Kaiser Ludwig IV. von Bayern fand er mit seinen Freunden Unterschlupf. Der Ludwig hatte mit dem Papst nämlich den gleichen Zoff. Im sicheren München wurde William dann zum giftigsten Stachel im Fleisch des Papstes. Natürlich wurde er exkommuniziert.

Einfache Erklärungen genügen

Aber als aus der Kirche verstoßener Philosoph publizierte er fleißig und wurde umso wirkungsvoller und einflussreicher. Er vertrat inhaltlich unter anderem ein bis heute populäres Grundprinzip, nämlich das Sparksamkeitsprinzip oder Prinzip der Parsimonie, später „Ockhams Rasiermesser“ genannt.

Dieses Prinzip gebietet Sparsamkeit bei Hypothesen: Wesenheiten dürfen nicht über das notwendige Maß hinaus vermehrt werden. Unpräzise ins 21. Jahrhundert übersetzt, könnte es so ähnlich heißen wie: Einfache Erklärungen genügen!

Und wenn Sie das auf die Politik zuspitzen, können Sie das mit dem genialen libertären Science-Fiction-Autor Robert A. Heinlein tun: Schreibe niemals der Bösartigkeit zu, was ausreichend durch Dummheit erklärt werden kann!

Ich will das Rasiermesser mal neu anschleifen: „Glaube keiner Verschwörungstheorie, wenn es genügt, ein Phänomen durch Menschliches, allzu Menschliches zu erklären.“

Mit anderen Worten: Der riesige Schaden an der Gesellschaft, den die Politiker im Verbund mit der Pharmaindustrie gerade anrichten, ist wahrscheinlich gar nicht die Ausführung eines großen Plans. Um es zu erklären, braucht es keinen diabolischen Klaus Schwab und seinen Great Reset, es braucht keinen finsteren Bill Gates, es braucht keine Theorie der Bevölkerungsreduktion, keine Weltverschwörung. Um es zu erklären, genügen Gier, Machtgeilheit, Kleingeistigkeit, Angst, Überheblichkeit, Größenwahn, Inkompetenz und Dummheit. Die Mächtigen sind nicht so gefährlich, weil sie so groß und so übermächtig sind, sondern weil sie so klein und so unfähig sind.

Nehmen wir zum Beispiel die Lüge, es würde keine Impfpflicht geben: Zu Beginn wollten die Politiker nur keine Unruhe heraufbeschwören, weil sie Angst vor dem Volk haben. Außerdem wollten sie nicht blöd dastehen, weil sie zu wenig Impfstoff bestellt hätten. Denn sie haben Angst vor dem Volk. Also bestellten sie in ihrer Unfähigkeit viel zu viel Impfstoff. Dann bemerkten sie, dass sie am Ende womöglich dafür verantwortlich sein werden, auf dem Impfstoff sitzen zu bleiben und Milliarden verschwendet zu haben. Und sie haben ja Angst vor dem Volk. Vor dem würden sie ja dann schon wieder blöd dastehen. Also wollen sie jetzt auf Teufel komm raus die Impfpflicht, um möglichst viel von dem Zeug noch wegzuimpfen.

Ja, das ist sehr simplifizierend. Selbstverständlich spielen da noch jede Menge anderer Gründe und Motive mit. Aber mit Ockhams Rasiermesser lässt sich als bestimmendes Motiv der Politiker die Angst herausschneiden, im moralischen Sinne als schlechter Mensch dazustehen. Als blöder Trottel, der nichts Gutes im Sinn hat außer dem Eigennutz und dem Machterhalt und der schon gar nicht die Gesundheit der Bevölkerung im Sinn hat. Ganz einfach. Keine Weltverschwörung notwendig.

All die nicht gehaltenen Versprechen und all die Behauptungen, die allesamt zusammensanken wie ein misshandeltes Soufflé: Vielleicht sind die Eliten einfach nur heillos überfordert. Vielleicht menschelt es einfach nur allzu sehr. Vielleicht ist der ganze Laden nur von Dilettanten geführt. Vielleicht gibt es gar keinen großen Plan. Vielleicht passieren solche Desaster wie der Atomausstieg, die Flüchtlingskrise oder die Corona-Krise nur aus schlichter menschlicher Unvollkommenheit. Aus Kleingeistigkeit. Aus Unfähigkeit.

Und das ist keine Entschuldigung.


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