01. Februar 2019
Das Schwinden persönlicher Verantwortung: Die dunkle Seite der Opfergesellschaft
Paradiesische Zustände für die Regierung
von Frank Jordan

Ich glaube, man kann sich darauf einigen, dass der Ausdruck „jemandem die Schuld geben“ auch bedeutet, dass jemand anderer als man selbst verantwortlich ist für den eigenen Zustand oder die Situation, in der man sich befindet. Kurz: dass Schuld abgeben auch Verantwortung abgeben bedeutet. Hier Täter, dort Opfer. Solches gibt es, und es ist fürchterlich, denn es bedeutet für das Opfer Ohnmacht und Ausgeliefertsein.
Wo aber eine Gesellschaft die persönliche Verantwortung als etwas Belastendes definiert und Pflicht zu etwas umdeutet, von dem erlöst zu werden ein jeder das Recht habe, wird sie zu einer Ansammlung von Opfern und Opfergruppen. Sie verurteilt sich und einen Großteil ihrer Bürger damit nicht nur freiwillig zu einer künstlichen Ohnmacht (die Fatalität dessen, was das psychisch, gerade bei Jungen bewirkt, sei hier nicht Thema), sondern verhöhnt damit im gleichen Atemzug auch echte Opfer. Das allein ist schon dunkel genug. Aber es ist erst der erste Schritt.
Der nächste ist die immer detailliertere und ausgetüfteltere Definition von Opfergruppen. Sie führt dazu, dass sich eines Tages jeder zumindest einer, meist aber mehreren solcher Gruppen zurechnen oder zugehörig fühlen kann. Im Umkehrschluss bedeutet das aber zwingend, dass auch die Tätergruppen immer feiner und ausgeklügelter definiert werden. So lange, bis alle Opfer sind. Und so lange, bis jeder irgendeiner Opfergruppe gegenüber auch Täter ist. Was dann?
Für eine Regierung sind das in Verbindung mit einem bunten Strauß von Antidiskriminierungsgesetzen paradiesische Zustände. Denn wo es ein Gesetz gibt, da gibt es ja bekanntlich auch das Verbrechen. Und wo jeder ein Verbrecher ist, ist alles andere nur noch eine logistische Frage. Jene, ob es genügend Käfige gibt und Züge, die hinfahren.
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Autors.
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