02. November 2024

Nach Hoppes Kritik Wie mangelhaft ist Mileis Libertarismus?

„Ich habe nicht den Eindruck, dass er Rothbard ernsthaft studiert hat.“

von Robert Grözinger

Artikelbild
Foto (Bukele und Milei) von Javier Milei auf X

Vor zwei Monaten schrieb ich in ef 245 über den neuen Präsidenten Argentiniens Javier Milei. Anlässlich der Preisverleihung an ihn durch die Hayek-Gesellschaft hatte er eine inspirierende Rede über seinen intellektuellen Werdegang gehalten. Wie viele andere auch, war ich von seiner Präsentation recht angetan, wusste er doch zentrale Intellektuelle wie Murray Rothbard, Hans-Hermann Hoppe und Ludwig von Mises zu zitieren. Besonders die zwei Erstgenannten hatte Milei als geistige Vorbilder genannt.

Aber ich äußerte am Ende meines Artikels folgende Warnung: „Wir sollten nie das mahnende Wort eines amerikanischen libertären Journalisten des 20. Jahrhunderts vergessen. M. Stanton Evans sagte einmal: ‚Wir Libertäre haben keine Freunde in hohen Positionen, denn sobald sie diese Positionen erreichen, hören sie auf, unsere Freunde zu sein.‘“ Ich schloss mit den Worten: „Wir dürfen gespannt sein, ob ‚el Loco‘, ‚der Verrückte‘, das Evans-Gesetz bricht.“

Nun erfahren wir aus berufenem Mund, dass genau das geschehen sein mag. Vor wenigen Wochen äußerte sich Hans-Hermann Hoppe erstmals öffentlich zu Milei. Auf der diesjährigen Konferenz seiner Property and Freedom Society im türkischen Bodrum stellte er dem Mann mit dem wilden Schopf und der aggressiven Rhetorik kein gutes Zeugnis aus (siehe die hier im Heft abgedruckte Stellungnahme Hoppes, Seite 19–23).

Hoppe stuft unter anderem Mileis derzeitige Weltsicht als „ungefähr so kultiviert wie die eines amerikanischen Highschool-Absolventen“ ein und kritisiert, dass der Argentinier überhaupt keine Kenntnis von revisionistischer Geschichtsschreibung zu haben scheint. Er habe nicht den Eindruck, dass Milei Rothbard, auch wenn er ihn häufig erwähnt, je ernsthaft studiert hat.

Besonders heftig geht Hoppe Milei in Sachen Außenpolitik an, wo er „einfach ein netter Junge“ sei, „der den Hauptlinien und Hinweisen folgt“. Genau deswegen, glaubt Hoppe, werde der argentinische Präsident „von den Eliten nicht als Bedrohung angesehen“. Hoppe schließt sein ziemlich vernichtendes Urteil mit den Worten: „Milei ist kein Held. Er ist besser als vieles von dem anderen Mist, das herumläuft, aber das war es auch schon.“ Soweit die zornige Koryphäe aus dem türkischen Bodrum. 

Unter dem Youtube-Video der Ausführungen Hans-Hermann Hoppes finden sich eine Reihe von Kommentaren, die ihn dafür kritisieren, die politischen Realitäten Argentiniens außer Acht gelassen zu haben. Hoppe selbst hatte in seinen Ausführungen zugegeben, weder Spanisch zu sprechen noch Argentinien gut zu kennen. Ein Hauptaugenmerk legen manche Hoppe-Kritiker darauf, dass Milei im Parlament nicht einmal annähernd eine Mehrheit für seine libertären Reformen hat. Ein Kommentator etwa schreibt, Milei habe zehn Prozent des Senats und 15 Prozent des Parlaments hinter sich, während die Peronisten – „Sozialisten und Kommunisten“ – Unterstützung von 48 Prozent des Senats und 46 Prozent der Parlamentsabgeordneten haben.

Unter diesen Umständen sind libertäre Reformen schwierig, das stimmt. Vielleicht ändern sich die Mehrheitsverhältnisse in den Kammern nach deren nächsten Wahlen, dann werden wir weitersehen. Aber: Das entlastet Milei nicht vom Vorwurf, außenpolitisch unnötig einseitig zugunsten des höchst antilibertären, freiheitsfeindlichen US-Imperiums agiert zu haben.  

Wenn wir ihm keine üblen Machenschaften unterstellen wollen, können wir noch immer davon ausgehen, dass Milei es ehrlich mit dem Libertarismus meint. Auch wenn er ihn nicht ganz verstanden haben mag – insbesondere, was Geschichtsrevisionismus und Außenpolitik betrifft –, besteht noch Hoffnung. 

Einerseits kann er schon mit dem wenigen, was er an libertärer Politik einbringt, der Welt zeigen, wie viel Gutes mit ihr möglich ist. Wie vor ihm Ludwig Erhard, Margaret Thatcher und Ronald Reagan. 

Andererseits hat Milei im Wahlkampf die Namen Rothbard, Mises und Hoppe sowie ihre Werke einem viel breiteren Publikum bekannt gemacht, insbesondere in der spanischsprachigen Welt. Das allein ist schon – wortwörtlich – Gold wert.

Hans-Hermann Hoppe sorgt sich zu Recht um den Ruf des Libertarismus. Inwiefern er sich in Hinblick auf Milei Sorgen machen muss, wird sich noch zeigen. Auf jeden Fall dürfen wir annehmen, dass dem Argentinier das mit der Note „mangelhaft“ ausgestattete Zeugnis aus Bodrum zugespielt wird. Ganz ignorieren kann er es nicht.

Hat Milei aufgehört, unser Freund zu sein? Für ein solches Urteil ist es noch zu früh. Kritische Begleitung wie die von Hoppe dürfte ihm jedoch helfen, wenn er auf Kurs bleiben will.

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Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 18. Oktober erschienenen November-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 247.


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