06. Januar 2022

Eine Welt ohne staatliche Dienstleistungen muss nicht kompliziert sein Die „BRD GmbH“ als Antwort auf viele Fragen?

Wenn der Reichsbürger-Mythos Realität wäre

von Sascha Koll

Dossierbild

donnerstags um 12 Uhr

Die Erzählung der „BRD GmbH“ wird immer wieder durch selbsternannte Reichsdeutsche verbreitet. Ihrer Ansicht nach ist die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat und die Bürger sind Personal einer GmbH, was sie darin begründet sehen, dass auf dem Identitätsnachweis der Bundesrepublik „Personalausweis“ gedruckt steht. Überraschenderweise bemühen sie, trotz Ablehnung der Gesetze und Gerichte, immer wieder die Justiz, um gegen die „BRD GmbH“ zu klagen. Als jemand, der begriffen hat, dass der Konfliktentscheider nicht am Konflikt beteiligt sein darf, muss ich bei solch geistiger Akrobatik immer wieder schmunzeln.

Aber was, wenn die „BRD GmbH“ wirklich existieren würde?

Also Voluntarist lehne ich Herrschaft, der man sich nicht freiwillig untertan gemacht hat, ab – so auch die Herrschaft der Bundesrepublik Deutschland über mich. Was mich am meisten von diesen Reichsdeutschen unterscheidet, ist, dass ich nach Überwindung der Herrschaft der BRD keine neue Herrschaft errichten oder die alte wieder aufleben lassen will. Ich beschäftige mich lieber damit, Lösungen für Probleme zu erdenken, die in einer staatenlosen Gesellschaft auftreten können.

Nicht wenige Libertäre stellen die Behauptung auf, „der Staat“ – also der territoriale Gewaltmonopolist mit Letztentscheidungsmacht in allen Konflikten, auch die, die ihn selbst betreffen – wäre auch bloß ein Marktergebnis. Als Verfechter des freien Markts müsse man das einfach anerkennen. Und hier sehe ich ein Problem. Allein die Existenz des Staates, mit seinen zahlreichen Monopolstellungen in unzähligen Bereichen des Zusammenlebens, allem voran das Gewaltmonopol, ist der Beweis dafür, dass das Angebot sehr eingeschränkt und die Nachfrage somit stark verzerrt ist. Den Staat als Ergebnis von Angebot und Nachfrage auf einem freien Markt zu sehen, ist daher meiner Meinung nach absurd. Doch wie sähe „Staat“, beziehungsweise sein Dienstleistungsangebot, auf dem freien Markt aus?

Die Nachfrage nach „Staat“ besteht nur deshalb, weil Individuen bestimmte Leistungen in Anspruch nehmen möchten, die der Staat für sich monopolisiert hat, womit er der einzige Anbieter ist. Ein freier Markt hingegen wäre in der Lage, verschiedene Angebote zu machen. Viele Angebote verschiedenster Anbieter könnten jedoch auch zu Verwirrung oder Überforderung führen. So kommt es nicht selten vor, wenn ich mit „Staazis“ rede, dass sie in Anbetracht der Vielzahl der Verträge, die man schließen müsste, um den Status quo an enthaltenen Leistungen des Anbieters „Staat“ im freien Markt zu erhalten, überfordert sind. Es sei alles viel zu kompliziert und man müsse zu viel beachten, damit man auch wirklich zu 100 Prozent sicher sein könne, keine Leistung vergessen zu haben. Findige Unternehmer könnten genau darin eine vielversprechende Geschäftsidee sehen.

Ich erkenne an, dass es sehr viele Individuen gibt, die sich nicht um jede Kleinigkeit selbst kümmern wollen oder können. Wer möchte schon eine Vielzahl von Einzelversicherungen und Dienstleistungsverträgen abschließen und dadurch vielleicht noch die Übersicht verlieren? Wer, der spätabends von der Arbeit nach Hause kommt und einfach nur noch Zeit mit der Familie verbringen möchte, hat schon die Muße, sich dann um eine Vielzahl von Verträgen zu kümmern, die reevaluiert und gekündigt oder verlängert werden müssen?

Und genau hier kommt die „BRD GmbH“ beziehungsweise mehrere gleichartige Anbieter ins Spiel.

Ich stelle mir vor, Deutschland – besser die Welt – wäre plötzlich herrschaftslos. Jeder muss sich nun selbst darum kümmern, dass er eine Versicherung auf körperliche Unversehrtheit, auf sein Eigentum, gegen Feuer, für die Rente, Arbeitslosigkeit und gegen viele weitere Unsicherheiten abschließt. Das ist erst mal mühsam und kann, wenn man sich zuvor noch nie damit beschäftigt hat, auch Nerven kosten. Aber was ist, wenn das gar nicht so sein müsste? Ich sage im Gespräch immer gerne: „Ich will dir deinen Staat doch gar nicht wegnehmen. Ich möchte nur, dass er mich in Ruhe lässt.“ Die Lösung muss also darin liegen, Individuen die Angebote zu machen, die sie nachfragen. Wenn eine Nachfrage nach mütterlicher Vollumsorgung besteht, warum nicht ein Produkt mit dem Namen „Genau wie BRD“, „Nanny-Staat“ oder „Es bleibt hier alles so, wie es ist!“ anbieten?

Was spricht denn dagegen, ein Unternehmen zu gründen, das ehemalige Dienstleistungen des Staates anbietet und als Gegenleistung 70 Prozent des Einkommens der Kunden verlangt? Was spricht dagegen, die Kunden demokratisch über Leistungen abstimmen zu lassen? Wenn der Kunde es so will, soll er es so haben. Wenn es tatsächlich Nachfrage nach den Leistungen des Staates zu den Preisen und Bedingungen des Staates gibt, wird es nach Ansicht der Leute, die behaupten „Staat“ sei ein Marktergebnis, eine große Anzahl von Kunden geben.

Wer das Paket „Nanny-Staat“ bei der „BRD GmbH“ bucht, bekommt also alle Dienstleistungen, die die Bundesrepublik bisher übernommen hat. Für den Untertanen, der nun zum Kunden geworden ist, wird sich demnach nicht viel ändern, außer dass er sich sein Geld nun nicht mehr vom Staat rauben lässt, sondern freiwillig an die „BRD GmbH“ überweist. Dafür bekommt er ein Schneeballsystem, das sich „Rentenkasse“ nennt, Bildung für seine Kinder ausschließlich von diesem einen Anbieter und muss sich nicht darum bemühen, ein Entsorgungsunternehmen für seinen wöchentlichen Hausmüll zu beauftragen. Wenn das nicht ein guter Deal ist, was dann? Aber immerhin bleibt für ihn alles so, wie es ist. Sollte der Kunde doch irgendwann mit Leistungen und Preis unzufrieden sein oder einige Leistungen nicht benötigen, kann er, wie auf einem freien Markt üblich, ein kleineres Paket wählen oder den Anbieter wechseln.

Aber nicht nur Maximalstaatler, die sich um nichts kümmern wollen, kommen auf dem freien Markt auf ihre Kosten. Auch für Minimalstaatler wird es Angebote geben, die ihre Grundbedürfnisse von Polizei, Justiz und Infrastruktur decken, ohne dass sie sich mit jedem Detail im Einzelnen beschäftigen müssen. Wer befürchtet. bei der Privatisierung von Infrastruktur plötzlich an jeder Straßenkreuzung Maut zahlen zu müssen, wird sich über einen Anbieter freuen, der ihm diese Sorge abnimmt. Das Paket „Straßennutzung all-inclusive“ könnte, wie auch heute, für freie Fahrt sorgen. Der Kunde beauftragt praktisch den Anbieter damit, sich mit dem vermeintlichen Problem zu befassen und dafür Sorge zu tragen, dass er jede erdenkliche Straße ohne Hürden befahren kann. Das wird allerdings ähnliche Kosten bedeuten, wie sie heute zu zahlen sind. Andere entscheiden sich möglicherweise gegen das Paket „Straßennutzung all-inclusive“ und zahlen lieber nach individueller Nutzung.

Auch für unsere Sozialisten und Kommunisten bietet der freie Markt die Möglichkeit, die Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die sie sich wünschen. Denn es ist nicht mal nötig, Dienstleistungen bei Unternehmen und Versicherungen einzukaufen. Es wäre genauso gut möglich, sich genossenschaftlich und nicht profitorientiert zu organisieren, wenn man dies vorzieht. Auf dem freien Markt ist niemand gezwungen, im „Raubtierkapitalismus“ zu leben. Im Gegenteil: Ein freier Markt wird dafür sorgen, dass jeder genau die Dienstleistungen bekommt, die er sich wünscht, zu den Bedingungen, die er bevorzugt. Eine „BRD GmbH“, „Minimalstaat AG“ und „Straßennutzungsgenossenschaft“ bieten eine breite Produktauswahl und sind zur Kunden- oder Mitgliedergewinnung darauf angewiesen, die Leistungen im vereinbarten Rahmen und zu guten Preisen zur Verfügung zu stellen.

Als Voluntarist, der häufig bekundet, dass Steuern Raub sind, bekomme ich oft vorgeworfen, dass ich doch Straßen nutzen und die Polizei rufen würde, wenn ich überfallen würde. Alles richtig, und ich habe nie gesagt, dass ich nicht bereit sei, für Dienstleistungen, die ich in Anspruch nehme, zu zahlen. Ich wäre vermutlich Kunde der Pakete „Straßennutzung all-inclusive“, „Körperliche Unversehrtheit“ und „Eigentumsschutz“. Ich könnte aber auch verstehen, wenn jemand das „Nanny-Staat all-inclusive“-Paket für 100 Prozent seines Einkommens bucht, bei dem sogar das morgendliche Butterbrot geschmiert und nach dem Stuhlgang das Gesäß sauber gewischt wird. Soll doch jeder in dem Maße unselbstständig oder eigenverantwortlich sein, wie er möchte. Fest steht: Es braucht keinen Staat, um all dies bereitzustellen, und kompliziert muss es auch nicht werden, wenn man als Kunde auf die gewonnene Flexibilität verzichtet, die beim heutigen Staatsmonopol ohnehin nicht gegeben ist.


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