29. Juli 2018

Nachruf auf Manfred Brunner Mutig. Ehrlich. Anders.

Vorkämpfer für ein freiheitliches Europa, sachkundig und rebellisch zugleich

von Kristof Berking

Dossierbild

Manfred Brunner hat recht behalten. Der mit dem Vertrag von Maastricht eingeschlagene Weg der Europäischen Gemeinschaft vom Europa der Freiheit und Selbstbestimmung zu einem Europa der Institutionen und Bürokraten, vom Europa der gewachsenen Vielfalt, integriert über die Bewegungsfreiheit und den freien Markt, hin zu einem Europa der verordneten Gleichschaltung, ist verhängnisvoll. Der Euro pervertiert Europa und muss permanent gerettet werden. Europa ist vorhanden, sagte Brunner immer, und müsse nicht erst politisch geschaffen werden. Und eine europäische Demokratie könne es nicht geben: „Demokratie bedarf des Demos, und ein europäisches Volk gibt es nicht.“

Gegen ein konstruiertes Europa vom Reißbrett

Als der spätere Vertrag von Maastricht verhandelt wurde, war Brunner Kabinettchef des deutschen EG-Kommissars Martin Bangemann, zuständig für den Binnenmarkt. In dieser Position versuchte er, die Verhandlungen zu korrigieren, zog damit den Zorn Helmut Kohls auf sich und verließ schließlich 1992 Brüssel aus Protest gegen die dann beschlossene Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. 

Mit dem Staatsrechtsprofessor Karl Albrecht Schachtschneider als Prozessbevollmächtigtem erhob Manfred Brunner 1993 Verfassungsbeschwerde gegen den Maastricht-Vertrag. „Wenn ich in meinem Leben nichts erreicht haben sollte“, sagte er später einmal, „als dies, dass das Bundesverfassungsgerichtsurteil in dem von mir erstrittenen Maastricht-Urteil den Artikel 38, nämlich das Recht des deutschen Volkes zur Teilnahme an der Bundestagswahl, ausgeweitet hat auf das Recht des deutschen Volkes zur Mitwirkung an demokratischen Entscheidungsprozessen und damit den Rätemechanismus der Europäischen Union in seine Schranken gewiesen hat, dann habe ich schon viel erreicht“. Das stimmt. Das Urteil zum Maastricht-Vertrag erteilte auch einem europäischen Bundesstaat eine verfassungsrechtlich bindende Absage und kennzeichnete die EU als einen Verbund selbständiger Staaten, was indes die eine große sozialdemokratische Maastricht-Partei, wie Brunner CDU-CSU-SPD-FDP-Grüne gerne nannte, nicht davon abhielt, auf einen europäischen Superstaat hinzuwirken.

Konsequenterweise verließ Brunner 1993 auch die FDP, für die er von 1972 bis 1987 im Münchner Stadtrat gesessen hatte und deren bayerischer Landesvorsitzender er 1983 bis 1989 gewesen war, scharte Gleichgesinnte um sich und rief zur Gründung einer Partei oder Bürgerbewegung auf, die dann im Januar 1994 erfolgte. Der „Bund Freier Bürger“, wie sich diese Sammlungsbewegung nannte, startete ein „Volksbegehren ‚Rettet die D-Mark‘“ und errang im Juni 1994 bei der Europawahl 1,1 Prozent der Stimmen. Bereits 1995, nur ein Jahr nach Gründung, legte der Bund Freier Bürger ein liberal-konservatives Vollprogramm vor, „Freiheit braucht Mut“, das die in den 80er Jahren ausgebliebene geistig-moralische Wende für alle Bereiche der Politik ausbuchstabierte. Doch Wahlerfolge des zunächst als „Professorenpartei“ belächelten und dann als populistisch beschimpften BFB stellten sich nicht ein. Bei der Landtagswahl in Bayern 1994 waren es nur 0,5 Prozent. Bei den Kommunalwahlen in Bayern 1996 konnte Manfred Brunner mit immerhin 3,6 Prozent für den BFB erneut in den Münchner Stadtrat einziehen, als dessen bester Redner er von Peter Gauweiler gewürdigt wurde. Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 1997, der letzten Wahl vor der Euro-Einführung, die noch etwas hätte ändern können, blieb es bei kläglichen 1,3 Prozent. Bei der Bundestagswahl 1998 schließlich war der Bund Freier Bürger nach der Verschmelzung mit anderen Gruppierungen schon nicht mehr ganz die Brunner-Partei und verschwand mit 0,2 Prozent in der Versenkung. Im Jahr 2000, Brunner war schon gar nicht mehr Mitglied, löste sich die Partei auf.

Inspiration und Vorbild für Tausende

Wenn auch der Wahlerfolg ausblieb, so hat Manfred Brunner doch eine große Wirkung entfaltet, eine Wirkung, die er nie gehabt hätte, wenn er ein Leben lang als Rechtsanwalt tätig gewesen wäre; das war sein Beruf, in den er nach seinem politischen Leben auch zurückkehrte. Er hat Tausende persönlich inspiriert, ja begeistert. Er war Vorbild und vielfach auch Mentor, denn die, die er zum Handeln motivierte, waren durchweg Neulinge in der Politik. Brunner seinerseits war auch durch ein Vorbild in seiner Jugend zur politischen Tätigkeit inspiriert worden, durch Thomas Dehler, der im Haus seines Großvaters, der Schatzmeister der bayerischen FDP war, oft zu Gast war und den Brunner als gemeinsamen politischen Ahnen der Bewegung bezeichnete.

In einem Gespräch sagte Brunner einmal, man könne im Vorhinein nicht wissen, ob ein Reformer schon Luther oder noch Hus ist. Der eine wurde noch auf dem Scheiterhaufen verbrannt für etwas, wofür der andere auf dem Sockel steht. Manfred Brunner hatte das Zeug zum freiheitlichen Reformator der Republik, aber die Zeit war noch nicht reif. Die Altmedien fungierten noch verlässlich als Torwächter der Altparteien – Brunner und der BFB wurden totgeschwiegen oder diffamiert –, und das Internet und soziale Medien standen noch nicht zur Verfügung. Die Mitstreiter mussten auch die ernüchternde Erfahrung machen, dass der deutsche Michel oder überhaupt das Bürgertum sich frühestens rührt, wenn die Katastrophe schon im Vorgarten angekommen ist. Brunner selbst wusste, dass Menschen, die beides zugleich sind, sachkundig und rebellisch, nur selten vorkommen.

Er war solch ein sachkundiger Rebell und hat einen sehr hohen Preis für seinen Mut gezahlt. Doch auch noch im Scheitern, im Umgang mit der auch persönlichen Niederlage und mit der Art, wie er sich, nachdem er alles auf eine Karte gesetzt und hoch verloren hatte, wieder aufrappelte und quasi noch einmal ein neues Leben anfing, ist Manfred Brunner ein Vorbild. Seine stets positive und trotz aller Zumutungen immer auch lebensfrohe Haltung war beispielhaft. Auf den Spuren Goethes, den er oft zitierte, durchwanderte er sein geliebtes Italien. Einem Pilger gleich, näherte er sich noch dem Katholizismus an. Viel Zeit verbrachte er mit seinen Enkeln. Am 22. Juni 2018 ist er überraschend im Alter von erst 70 Jahren gestorben.

Abschied von einem Idealisten, der viele Menschen zusammenführte

Die große Anzahl von Freunden bei der Beisetzung auf dem Waldfriedhof in München und die dort vorgetragenen rührenden Wünsche der Enkel für ihren Großvater sagen viel über den geliebten Menschen Manfred Brunner. Von öffentlichem Interesse bleibt seine Person indes durch sein politisches Engagement. Manche ziehen den Schluss, dass er zu anständig war für die Politik. Doch wie kann man zu anständig sein für die Politik! Dass er eine sichere Karriere als Spitzenbeamter, übrigens wenige Monate bevor er Pensionsansprüche erworben hätte, freiwillig aufgab, weil er die falsche Politik seines Dienstherrn nicht mittragen konnte, dass er gerade nicht Partikularinteressen bediente, sondern immer den ganzen Menschen sah und in den Mittelpunkt stellte und Politik für das ganze Volk machte – das war es doch gerade, was die Menschen begeisterte und dazu brachte, ihm zu folgen und selber aktiv zu werden. Gerade durch seinen Idealismus und seine Warmherzigkeit, sein positives Denken und konstruktives Handeln, seine Belesenheit und Bildung führte er Menschen zusammen.

Seine Reden waren so überzeugend und mitreißend, weil er durch seine spirituelle Rückbindung immer den großen Sinnzusammenhang herzustellen vermochte. Dem herrschenden Materialismus trotzte er mit der Schau auf die Wirklichkeit hinter den Dingen. So leitete er eine letzte große Rede an die Mitglieder des Bundes Freier Bürger 1998 mit der Bemerkung ein, „dass wir wissen, dass das Materielle nur eine äußere Form der Wirklichkeit erfasst und 

dass Deutschland eine Partei des neuen Idealismus braucht“. Mehr noch als ein Sinnsucher, als welchen er sich selber betrachtete, war Manfred Brunner ein Sinnstifter.

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Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv publizierten Beiträgen in der Aug./Sept.-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 185.


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