Zumutungen statt Wahlgeschenke

von André F. Lichtschlag, Herausgeber der libertären Zeitschrift “eigentümlich frei”

in: Smart Investor, Ausgabe April 2004

Deutschland hat fundamentale Strukturprobleme. Die Sozial-, Renten- und Gesundheitssysteme stehen trotz erster zaghafter Rennovierungsversuche immer noch vor dem Zusammenbruch. Wir leisten uns überbordende Bürokratie, Hochsteuer und Überregulierungswahnsinn. Und dazu noch allerhand poltischen Klein-Unsinn, etwa Dosenzwangspfand, nach dem wir klebrige Coladosen ins Geschäft zurücktragen; subventionierte und unwirtschaftliche Windräder, welche die Landschaft verschandeln; Ladenschlusszwangszeiten, die uns einen schönen Sonntag vermiesen; subventionierte und unwirtschaftliche Hochschulen, an denen sich auf Kosten aller viele Studenten nach dem Freibierprinzip zu Taxifahrern ausbilden lassen; einen Ständestaat mit Zwangskammern und Zwangshandwerksordnungen, die dafür sorgen, dass wir z.B. für eine Wohnungsrenovierung selbst ran oder die besten Freunde nerven müssen; Zuwanderungsregeln, die mit dem Sozialstaatsblankoscheck ausgerechnet jene anziehen, die gerade nicht zum Arbeiten hierherkommen. An all das haben wir uns sogar mehr oder weniger gewöhnt. Obwohl die ganze Welt über jeden einzelnen dieser Punkte nur mitleidig lächelt – und derweil wirtschaftlich mit großen Schritten am chronischen Patienten Deutschland vorbeizieht.

Andererseits: Der Bundeskanzler hat unzweifelhaft begonnen, die wachsenden Probleme wahrzunehmen, während der Vorgänger sie noch meist ignorierte. Der kommende Bundespräsident wird noch stärker die Dinge beim Namen nennen, wenn er endlich im Mai den Grüß-August aus Wuppertal abgelöst hat. Und immer mehr Menschen sind auch ganz offen der Meinung, dass wir den einst heiligen Sozialstaat dringend zurückfahren müssen. Ja, selbst die Parteien arbeiten allesamt zag- bis fieberhaft an nötigen Kurskorrekturen. Das Problembewusstsein ist inzwischen vorhanden. Und dazu verkünden die Börsen noch einen weltweiten Konjunkturaufschwung.

Einst hatten alle Regierungen im Amt einen Bonus. Kohls Regierung war nach fast 50 Jahren Bundesrepublik 1998 die erste, welche vom Wähler – und nicht durch einen Koalitionswechsel – abgelöst wurde. Jahrzehntelang verteilte die Politik großzügig den Wohlstand an die Interessengruppen. Jahrzehntelang – am Ende exponentiell – wachsender Sozialismus waren die Folge.

1998 ist die Politik-Blase geplatzt, noch vor der Börsen-Blase. Es gibt nun nichts mehr zu verteilen. Der Staat hat deutlich über seine Verhältnisse gelebt. Und lebt es weiter, sekündlich wächst die Schuldenlast. Regierungen müssen nun Zumutungen statt Geschenke verteilen. Und werden deshalb nach einiger Zeit abgewählt, weil das keiner so schön findet. Tun sie es nicht, werden sie auch abgewählt, denn dass es so wie bisher nicht mehr weitergeht, weiß inzwischen auch jeder. Ob Schwarz-Blau in Österreich oder Rot-Grün in Deutschland: die Zeit der Wahlniederlagen für die noch zögerlichen Erstreperaturregierungen hat lange schon begonnen.

Ob Deutschland es noch einmal packt, das wird sich im ersten Jahr der neuen Merkel-Regierung zeigen. Denn dann muss an Reformtempo deutlich zugelegt werden. Die neue Regierung wird nur dieses eine Jahr Zeit haben, an möglichst vielen Stellen den Staat zurückzufahren und neosozialistischen Unsinn allerorten endlich zu beenden. Dann folgen für sie die Wahlniederlagen und sie kann nur hoffen, dass die Reformen in drei Jahren bis zur nächsten Wahl greifen und Deutschland wieder Tritt fasst.

Es ist leider wahr: Unsere Zukunft hängt an den berühmten Haaren von Angela Merkel sowie an der Verfassung ihrer Partei beim kommenden Regierungswechsel irgendwann zwischen Sommer 2004 und Herbst 2006. Entpuppt sie sich tatsächlich – ausgeschlossen ist das nicht! – als Mischung aus Ludwig Erhard und Maggie Thatcher, so gibt es eine Chance auf Umkehr.

Börsianer handeln gerne mit Frühindikatoren. Ich möchte die sofortige Behebung der oben genannten Klein-Unsinne als politische Frühindikatoren nach dem Regierungswechsel anbieten: Wenn z.B. die neue Regierung nach drei Monaten beschlossen hat, dass wir Sonntags auch mal einkaufen dürfen und die klebrigen Coladosen wieder dahin werfen dürfen, wo sie hingehören – dann könnten wir doch noch auf einen guten Weg hoffen.

Mit den Besitzstandswahrern, Studiumsparasiten und Windradfanatikern stehen wir alle am Abgrund. Es wird die Zeit kommen, wo wir deren Ideen und Strukturen über die Schwelle schubsen müssen. Oder selbst unendlich lange fallen werden – gaaaanz langsam.  

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