An die Direkte Aktion
Erschienen in: Direkte Aktion (www.fau.org) Nr. 129 (1998)
Betr. Artikel: "Marktplatz für Rinks und Lechts" in Direkte Aktion Nr. 128
Liebe Mitanarchisten vom Syndikat, es ist schön, daß Ihr mit Eurem aus den "Antifaschistischen Nachrichten" übernommenen Artikel über die von mir mitherausgegebene Zeitschrift "eigentümlich frei" den Anarcho-Kapitalismus zur Kenntnis nehmt. Sachliche Fehler (ich bin kein Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen, nicht einmal mehr Mitglied in der Staatspartei FDP) in diesem Artikel habe ich zur Korrektur der dortigen Karteikarten gleich direkt an die Horch- und Guck-Organe der selbsternannten "Antifa" gesandt. Ihr selbst überschreibt den Artikel mit den Worten, daß der Anarcho-Kapitalismus eine "Spielart von Möchtegern-Anarchismus" sei. Nun gut, wenn in jedem zweiten Artikel in der Direkten Aktion eher noch der weitere Ausbau des ("Sozial"-)Staats gefordert wird, dann könnte ich auch einfach den Vorwurf zurückgeben - und Ihr würdet diesen Brief gleich in die Tonne drücken. Aber so einfach will ich es mir und Euch nicht machen. Abseits von der notwendigen Diskussion um das Eigentumsrecht (zu der ich Euch herzlich einlade, wo und wann auch immer) möchte ich Euch direkt die anarchistische Gretchenfrage stellen: Stellt Euch vor, der Staat wäre futsch, Hurra! Nun leben also viele verschiedene Menschen in Anarchie, (notwendigerweise nicht allzuviele) Etatisten (die dem Staat nachtrauern), Anarcho-Syndikalisten, Anarcho-Kapitalisten - und all' die anderen bekannten Spielarten. Einige leben ohne Privateigentum in freiwilliger Kommune und wir Anarcho-Kapitalisten handeln, mit Arbeit und Kapital und mit privatem Geld. Obwohl ich davon überzeugt bin, daß dies keine notwendige Prämisse sein muß, stellen wir uns der Einfachheit halber vor, daß die einzelnen freiwilligen Gesellschaften räumlich voneinander getrennt sind, hier ein Dorf, da ein Dorf, hier eine Stadt, dort eine Stadt. Hier nur Privateigentum, dort nur ohne, und manchmal auch je nach Gusto mit Mischformen. Libertären Anarcho-Kapitalisten wären natürlicherweise alle Nicht-Kapitalisten völlig wurscht, da Sie keinen Handel treiben wollen und da deshalb keiner (gegenseitig) vom Geschäft profitieren könnte. Laissez-faire! Und freiwilliges Gemeineigentum ist auch ideologisch Null Problemo für Anarcho-Kapitalisten (was theoretisch sehr umfangreich in der anarcho-kapitalistischen Literatur, z.B. von Murray Rothbard, unter dem Stichwort "Non-Aggression-Axiom des Libertarianism" erörtert wurde). Was kümmert einem Geschäftsmann ein definitiver Nicht-Kunde? Nichts (jedenfalls ohne das Gewaltmittel Staat in der Hand oder im Kopf)! Aber nun zu Euch: Könntet Ihr mit Menschen in der Nachbarschaft leben, die sich nicht Eurem Kollektiv anschließen wollen? Menschen, die anders leben wollen? Die Antwort entscheidet: Entweder Ihr sehnt Euch doch nach einem Gewaltmonopol und seid nicht tolerant, dann träfe der Vorwurf des Möchtegern-Anarchismus tatsächlich Euch. Oder aber Ihr könntet, wie wir, sehr friedlich mit(ohne)einander auskommen und ließet jeden Menschen selbst über seinen Lebensstil entscheiden (wir nenen das Selbsteigentum). Dann aber frage ich Euch: Was trennt uns noch, um gemeinsam für den (notwendigerweise vielgestaltigen) Anarchismus zu streiten?
Libertäre und anarcho-kapitalistische Grüße
André F. Lichtschlag
Mitherausgeber "eigentümlich frei"